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30
04
2008

Wien-Marathon. Der New Yorker Victor Sailer ist der Spezialist für Marathon-Fotografie. Früher arbeitete er als Feuerwehrmann in Queens – doch 9/11 veränderte sein Leben.

Victor Sailer: Ein Leben auf dem Rücksitz – MARKKU DATLER – Die Presse

By GRR 0

WIEN. Am Sonntag wird der Amerikaner Victor Sailer wieder aufgeregt die Wagramer Straße auf und ab laufen. Um 8:30 Uhr sucht er seinen Motorrad-Fahrer, da darf nichts passieren, schließlich startet 30 Minuten später der Vienna City Marathon. Hat er den rasenden Kollegen gefunden, gibt es kein Halten mehr: Sailer nimmt auf dem Rücksitz Platz, er sitzt Rücken an Rücken mit dem Fahrer und beginnt unentwegt einen der 30.000 Läufer oder kunterbunte Motive zu fotografieren.

Ab dem Startschuss spielen Tempo, Wind und Wetter keine Rolle mehr, da ist der Amerikaner in seinem Metier. Auch dass sein Biker fährt „wie die Feuerwehr“, macht dem gebürtigen New Yorker nichts aus – er war selbst ein „fire worker“.

Die Lebensgeschichte von Victor Sailer liest sich wie ein Hollywood-Roman, sie hat jedoch einen tragischen Hintergrund. „Victah“, wie sie ihn im Big Apple tauften, arbeitete als Polizist und 25 Jahre lang als Feuerwehrmann in Whitestone Queens. Schon damals liebte er die Fotografie, schob aber stets seinen Dienst. „Beides war immer eine Herzensangelegenheit für mich“, erzählt der 48-jährige Amerikaner und lächelt etwas gequält. Denn diese Erinnerung wird er vermutlich niemals löschen können: Er hatte am 11. September 2001 Dienst in seiner Wache.

Die Schicht endete um 8:50 Uhr, und er wusste aus den Funksprüchen bereits, dass ein Flugzeug in das World Trade Center gekracht war. Dennoch wurde er abgelöst, vielleicht rettete ihm das, in diesem Augenblick für ihn beinharte Kommando sein Leben. Ein Teil der getöteten Feuerwehrleute kam aus Queens, es waren „Freunde“ und Kollegen von Victor Sailer.

New Yorker sind härter

„Es war der reine Horror“, erzählt Victor Sailer noch heute und fügt im gleichen Atemzug hinzu, dass er seitdem „jeden Augenblick mehr genießen“ könne. Natürlich war er, als er gesehen hatte, dass die Türme eingestürzt waren und welche Dimension dieser Terror-Anschlag erhalten hatte, zur Wache zurückgefahren, um mitzuhelfen. Er sah in den kommenden Stunden danach viel Leid, Zerstörung, Tote – aber Zorn, Enttäuschung oder Hass, das sind alles Begriffe, die der Amerikaner nicht anspricht, dafür war das Erlebte offensichtlich zu prägend. Außerdem müsse es doch weitergehen.

Seit 2002 widmet er sich ausschließlich der Fotografie, mittlerweile hat er seine eigene Agentur in Long Island, hat sich auf 42,195-km-Rennen spezialisiert und kennt weltweit Veranstalter, Läufer, Stars und alle Strecken, zumindest vom Rücksitz eines Motorrades aus. „Deshalb bin ich auch jetzt wieder in Wien, ich fotografiere hier bereits zum dritten Mal für die Organisatoren. Es ist eine tolle Stadt – ähnlich wie New York.“

Dort sei freilich mittlerweile alles „wieder normal“, sagt Sailer und lächelt wieder, diesmal nicht mehr gequält, sondern erleichtert. New Yorker seien härter, „tougher“, eben widerstandsfähiger als alle anderen Amerikaner. „Wir erleben Unfälle, Überfälle und anderes Unheil – aber die Menschen sind immer noch da…“

Wie die Mondlandung

In Wien genieße er die Atmosphäre, das Flair des Rennens, die Strecke mitsamt dem Zieleinlauf am Heldenplatz. Ob er diesmal beim Start anstatt auf einem Motorrad nicht lieber mit einem Feuerwehrauto unterwegs sein würde, nahm Victor Sailer gelassen auf. Obwohl es, ließ er seinem New Yorker Charme freien Lauf, doch irgendwie ein „Jahrhundert-Erlebnis“ wäre. Ebenso wie die erste Mondlandung oder der Besuch des Papstes in New York. Manche Dinge würden im Leben eben passieren, grundlos oder aus Bestimmung.

Hauptsache, man genieße jeden Augenblick. Negatives hat Victor Sailer schon genug erlebt.

www.vienna-marathon.com

MARKKU DATLER – Die Presse) – vom 25.04.2008

author: GRR

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