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15
12
2010

Die Justiziarin und kommissarische Leiterin der NADA, Anja Berninger, über den „Fall Ovtcharov“ und mehr Glaubwürdigkeit im Kampf gegen Doping.

„Verbände müssten künftig teilweise auf Autonomie verzichten“

By GRR 0

DOSB PRESSE: Die Welt-Anti-Doping-Agentur WADA hat wegen des Freispruchs von Tischtennis-Nationalspieler Dimitri Ovtcharov vorsorglich ein Veto beim Internationalen Sportgerichtshof CAS eingelegt und den Deutschen Tischtennis-Bund (DTTB) aufgefordert, den Fall noch einmal nachzuarbeiten. Was ist das Besondere daran?

ANJA BERNINGER: Uns gegenüber wurde das Verfahren von Seiten des DTTB transparent und gründlich durchgeführt. Trotzdem ist noch in enger Abstimmung mit der WADA zu prüfen, ob das Resultat des Ergebnis-Managements akzeptabel ist. Wenn nicht, dann müssen NADA oder WADA das gesamte Verfahren an sich ziehen und neu aufrollen. Im Unterschied zu anderen Verfahren in der Vergangenheit geht es in diesem Fall nicht darum zu beurteilen, ob bestimmte Sanktionen angemessen sind, weil es ja gar keine Sanktionen gegeben hat. Die Bestimmungen sehen vor, dass die WADA spätestens innerhalb von 21 Tagen reagieren muss, nachdem die Unterlagen des Vorgangs bei ihr vollständig eingetroffen sind. Innerhalb dieser Frist hat sich die WADA jetzt geäußert.

DOSB PRESSE: Bei Schwimmerin Sonja Schöber wurde nach ihren zwei positiven Proben die vom Deutschen Schwimm-Verband (DSBV) verhängte Einjahressperre vom CAS auf Drängen der NADA jüngst auf zwei Jahre verdoppelt. Von Eisschnellläuferin Claudia Pechstein hat es nie eine positive Doping-Probe gegeben, sie wurde aufgrund des so genannten indirekten Nachweises gesperrt. Von Dimitri Ovtcharov lagen sowohl eine glasklare positive A- als auch eine positive B-Probe vor. Trotzdem durfte er nach einer kurzen Pause wieder munter ins Wettkampfgeschehen eingreifen. Wie soll der Sportfan das alles noch verstehen?

BERNINGER: Prinzipiell ist jeder Fall anders und entsprechend individuell zu bewerten. Bei dem Tischtennisspieler haben wir es mit einer Besonderheit zu tun, dass der DTTB im Rahmen seines Ergebnis-Managements zu der Auffassung kam, der Athlet habe seine persönliche Unschuld nachweisen können. Entsprechend wurde das Verfahren ohne Sanktionen eingestellt.

DOSB PRESSE: Sie plädieren dafür, dass bei positiv getesteten Athleten statt eines Verbandes der größeren Glaubwürdigkeit wegen besser die NADA die Federführung innehaben sollte. Warum ist das im Fall von Dimitri Ovtcharov anders gelaufen?“

BERNINGER: In Deutschland ist das Zusammenspiel zwischen NADA und den Spitzenverbänden so geregelt, dass wir von unserer Seite die Erstbegutachtung darüber vornehmen, ob bei einem positiven Fall das Kontroll- und Analyseverfahren gemäß den international gültigen Standards durchgeführt wurde und ob die Sportlerin oder der Sportler eine Ausnahmegenehmigung für die bei ihr oder ihm gefundene Substanz besitzt. Anschließend wird der jeweilige Verband mit dem weiteren Vorgehen betraut und damit entscheidet der betroffene Verband auch selbständig, ob gegen den Athleten ein Disziplinarverfahren eingeleitet werden soll oder nicht. Das ist die momentan übliche Praxis. Einzige Ausnahme war bisher der Deutsche Eishockey-Bund. Zwischen dem DEB und der NADA gibt es eine vertragliche Vereinbarung, wonach uns als NADA für den Eishockeysport das Ergebnis-Management komplett übertragen ist.

DOSB PRESSE: Hinzu kommt nun der Allgemeine Deutsche Hochschulsportverband, für den Sie ab 1. Januar 2011 ebenfalls das Ergebnismanagement übernehmen. Wäre es nicht spätestens jetzt an der Zeit, vergleichbare Vereinbarungen mit sämtlichen Verbänden abzuschließen?

BERNINGER: Über dieses Thema sind wir mit den Spitzenverbänden des deutschen Sports derzeit in Kontakt, wobei diese Gespräche erst begonnen haben. Die Regeln zu verändern würde bedeuten, dass die Verbände im Umgang mit mutmaßlichen oder tatsächlichen Dopingsündern auf ihre Verbandsautonomie, die ihnen verfassungsrechtlich gewährt wird, künftig teilweise verzichten müssten. Einige Verbände haben bereits ihre Bereitschaft erklärt. Andere sind eher zurückhaltend. Die Motive sind unterschiedlicher Natur. Sei es mit Blick auf ihre fachlichen oder wirtschaftlichen Kapazitäten oder weil man der Meinung ist, es sei höchst unwahrscheinlich, dass man sich in seinem Zuständigkeitsbereich mit einem Dopingfall wird auseinandersetzen müssen, so dass sich die Installierung eines verbandsinternen Instanzentzugs nicht rentieren würde. Grundsätzlich lässt sich jedenfalls sagen: Solange das Ergebnis-Management in den Händen der Verbände liegt, schwebt natürlich immer das Damoklesschwert des Vorwurfs der Befangenheit über ihnen.

DOSB PRESSE: Sie meinen den Vorwurf, dass man mit Dopingsündern aus den eigenen Reihen – gelinde gesagt – eher nachsichtig umgeht?

BERNINGER: Natürlich sind die Verbände in solchen Situationen immer einer ganz besonderen öffentlichen Beobachtung ausgesetzt. Würden sie die Federführung bei der Behandlung von Dopingfällen abgeben, dann könnten sie sich von der Last des Vorwurfs der Befangenheit leicht befreien. Das Prozedere an eine neutrale Instanz zu übertragen, das würde zugleich die Tür zu einer nationalen einheitlichen Sportrechtsprechung nach vereinheitlichten Maßstäben aufstoßen. Die NADA könnte vom ersten Verdachtsmoment bis zur Einleitung eines Verfahrens die Federführung übernehmen. Anschließend sollte die Entscheidung einem unabhängigen Schiedsgericht obliegen. Auf diese Weise würde das komplette Verfahren einschließlich der Anhörung der betroffenen Athleten vor einer neutralen Instanz stattfinden. Ein unabhängiges Sportschiedsgericht würde letztlich darüber entscheiden, ob und welche Sanktionen zu verhängen sind. Eine solche generelle Neuordnung würde bedeuten, dass alle Athleten gleich behandelt werden, egal aus welchen Sportarten und Verbänden sie kommen.

DOSB PRESSE: Der DTTB hat das Verfahren mit der Begründung eingestellt, der Sportler habe bei einem Aufenthalt in China in einem Hotel unwissentlich kontaminiertes Fleisch zu sich genommen. Wie geht dieser Freispruch mit dem Grundsatz der strict liability konform, wonach kein Athlet aus der Verantwortung genommen werden kann für das, was er – auch unwissentlich – seinem Körper zuführt?

BERNINGER: Die Entscheidung des Verbandes, auf ein Disziplinarverfahren zu verzichten, widerspricht diesem Grundsatz keineswegs. Das ist kein Widerspruch zu den Prinzipien der strict liability. Mit der positiven A- und B-Probe liegt unzweifelhaft ein Dopingverstoß vor. Wären die positiven Proben bei einem Wettkampf genommen worden, dann hätte das Ergebnis annulliert werden müssen. Dann hätte der Sportler seine Medaille unmöglich behalten können. Er wäre nachträglich disqualifiziert worden, was jedoch nicht automatisch weitere Sanktionen nach sich zieht. Bevor das geschieht, hat der Sportler ein Recht auf eine Prüfung der genauen Umstände seines positiven Doping-Tests. Dazu gehört selbstverständlich auch eine persönliche Anhörung des Betroffenen. Aus Sicht seines Verbandes konnte der Athlet unter anderem mit Hilfe einer Haarprobe seine persönliche Unschuld nachweisen.“

author: GRR

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