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25
05
2012

2011 IAAF World Athletics Gala Monte Carlo, Monaco November 12, 2011 Photo: Giancarlo Colombo@PhotoRun 631-741-1865 Victah1111@aol.com www.photorun.NET

Usain Bolt Star, Dirigent und Clown – Michael Reinsch, Ostrava in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung

By GRR 0

Bolt sitzt zum Auftakt seiner kleinen Europatournee in Ostrava vor Dutzenden von Journalisten und dirigiert das Klicken der Fotoapparate. Zeigt er nach links, rattern hier die Auslöser, wendet er sich nach rechts, drücken die Fotografen dort ab. Rechts, links, rechts, links gibt er fröhlich den Einsatz, dann beide gleichzeitig.

Funktioniert, als hätten sie’s geprobt. Der schlaksige Superstar aus Jamaika lacht. Bolt kommt aus dem Stadion, wo er mit Vorschulkindern herumgerannt ist und gespielt hat. Er trägt Kopfhörer um den Hals, klopft Rhythmen auf dem Mikrofon, spricht wie der Klassenclown mit verstellter Stimme. Ein kindliches Gemüt, könnte man meinen, das sich langweilt in der Welt der Erwachsenen.

Doch Bolt ist in diesem Jahr so ernst wie lange nicht. Er hat eine Mission, er will eine Legende des Sports werden. Der Albtraum des vergangenen Jahres, als er im Sprint-Finale der Weltmeisterschaft in Südkorea wegen Fehlstarts ausschied, hängt ihm nach. „Wenn ich in großartiger Form bin, wird mich in London niemand schlagen“, tönt er. „Das ist sicher.“ Bei den Olympischen Spielen will Bolt wiederholen, was er in Peking erreichte.
 
Das waren drei Olympiasiege. Und das waren drei Weltrekorde, die er längst unterboten hat. Bei der Weltmeisterschaft von Berlin 2009 hat er seine Bestzeit über 100 Meter auf 9,58 Sekunden gedrückt. Die Marke über 200 Meter verbesserte er in Berlin auf 19,19 Sekunden.
Gemeinsam mit Yohan Blake, der an seiner Stelle in Südkorea Weltmeister wurde, sowie Nesta Carter und Michael Frater drückte er bei der WM 2011 den Staffel-Weltrekord auf 37,04 Sekunden.
 
Mit seinen phänomenalen Leistungen weckt der 25 Jahre alte Bolt Verdacht und gilt zugleich als Retter der Leichtathletik, die zwischen öffentlichem Desinteresse und großen und kleinen Doping-Skandalen unterzugehen drohte. „Vielleicht ist es wahr“, sagt Bolt lässig. „Also ja, ich glaube, dass ich den Sport zum Besseren verändert habe.“ Es sind auch die Nachrichten auf den Gesellschaftsseiten, die von Bolts Konzentration zeugen.

Als Fotos erschienen waren, auf denen er und die Modedesignerin Lubica Slovak sich küssen, brach in Jamaika eine emotional geführte Diskussion über den Zusammenhang vom Erfolg schwarzer Männer und der Hautfarbe ihrer Partnerinnen aus. Schnell folgte die Meldung, Bolt habe die Beziehung beendet, um sich besser auf Olympia vorbereiten zu können.

Die Werbekundschaft reißt sich um ihn

Das scheint vorgeschoben, besonders, wenn man die Präsenz Bolts in der Werbung sieht. Er habe Herbst und Winter genutzt für die Aufnahmen, heißt es dazu aus seinem Camp. Wie gut Bolt als Schauspieler ist, realisiert man, wenn die Show vorbei ist und er, als sei der Vorhang gefallen, verschwindet. Neben dem Mode- und Sportartikelhersteller Puma, der das Talent Bolt vor mehr als einem Jahrzehnt entdeckte, haben der Getränkehersteller Gatorade und die Uhrenmarke Hublot sich der Aufmerksamkeit versichert, die er erregt. In Europa wirbt er zudem für Visa und in Großbritannien für Virgin Media.

Den kleinsten Teil der mehr als zehn Millionen Euro, die so zusammenkommen, tragen die jamaikanische Telefongesellschaft Digicell sowie Soul bei, Hersteller der Kopfhörer, die Bolt in Ostrava trägt. Mehr als sechseinhalb Millionen Menschen verfolgen Bolt auf Facebook; kein Wunder, dass bald eine Bolt-App und ein Internet-Spiel erscheinen. Da erscheinen die 300.000 Dollar Antrittsgeld, die Bolt verlangt, fast wie Kleingeld.

Als wollte er seine Überlegenheit und seinen Wert belegen, sagt Bolt: „Ich wäre froh, wenn ich sagen könnte: Wenn ich in großer Form bin und einen guten Start habe, wird es ein Weltrekord.“ Doch nur das Ergebnis, nicht die Zeit liege in seiner Macht: Der 5. August in London, der Sonntagabend mit dem Sprintfinale, könnte kalt oder verregnet sein. Was seinen Beitrag dazu angehe, sei alles auf bestem Wege, versichert Bolt. Der Coach sei happy, er selbst sei konzentriert.

42 Schritte – kein Fehltritt

Doch Yohan Blake, sein Partner in der Trainingsgruppe von Glen Mills, wird ihm die Titel nicht schenken. Zum Ende der Saison stellte er, noch 21 Jahre alt, in 9,82 und 19,23 Sekunden beeindruckende Bestzeiten auf; seine 200 Meter von Brüssel sind die zweitschnellsten, die es je gab. Bolt und Blake sind die Einzigen, die den Weltrekord von Michael Johnson unterboten haben: jene 19,32 Sekunden, die als Jahrhundertrekord galten. Bis Bolt kam.

Um Geschäft und Konzentration nicht zu stören, haben Bolt und Blake einige tausend Kilometer zwischen sich gelegt. Der eine sprintet in Amerika, der andere in der Alten Welt. Bolts Rennen in Ostrava, Rom und Oslo gehen alle über 100 Meter. Die zweihundert habe er drauf, sagt er, die hundert seien viel technischer. Deshalb arbeite er am Start und am Übergang in die ersten Meter, mit dem Aufrichten und dem Erreichen der Höchstgeschwindigkeit. 42 Schritte braucht Bolt bis ins Ziel.

Einen Fehltritt will er ausschließen.

 

Michael Reinsch, Ostrava in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Freitag dem 25. Mai 2012

author: GRR

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