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13
06
2009

Ob Frank Busemann oder Dieter Baumann, das ist gar nicht so wichtig. Vor zehn Jahren hörte die Leichtathletik in Deutschland noch auf Namen, auf den von Heike Drechsler oder Lars Riedel. Sie waren eine goldene Generation. Seitdem haben die deutschen Leichtathleten zwei Olympische Spiele hintereinander vermurkst.

Unter ihrer Hürde – Deutsche Leichtathleten haben zwei Olympische Spiele nacheinander vermurkst. Nun naht, nur ein Jahr nach dem blamablen Auftritt in Peking, die Weltmeisterschaft im eigenen Land – die Generalprobe dafür: das Istaf morgen in Berlin – Friedhard Teuffel im Tagesspiegel

By GRR 0

Frank Busemann war nie Olympiasieger und nie Weltmeister. Aber jubeln wie sie, das konnte der Zehnkämpfer. Seine Spezialität war die elfte Disziplin, der Freudensprung, da kam er höher als alle Konkurrenten. Bei den Olympischen Spielen von Atlanta hüpfte er für die Silbermedaille aufs Siegerpodest, als ob es dafür noch einmal Punkte gäbe.

Er war der fröhliche Schlaks aus Westfalen, kein grimmiger Eisenbieger, sogar zum „Sportler des Jahres“ wurde er gewählt, das ist jetzt 13 Jahre her. Busemann, heute 34, lebt gut davon, dass sich viele an ihn erinnern. Aus seiner Geschichte hat er eine Firma gemacht, er hält Vorträge in Unternehmen, um Mitarbeiter zu motivieren. Dass auch sie Mehrkämpfer seien und durchhalten müssten wie er damals. Als sportlicher Leiter eines Gesundheitszentrums an der Ostsee ist er ebenfalls angeworben worden. Auf der Straße werde er noch erkannt, „ach der Baumann, sagen die Leute“. Er lacht.

Ob Frank Busemann oder Dieter Baumann, das ist gar nicht so wichtig. Vor zehn Jahren hörte die Leichtathletik in Deutschland noch auf Namen, auf den von Heike Drechsler oder Lars Riedel. Sie waren eine goldene Generation. Seitdem haben die deutschen Leichtathleten zwei Olympische Spiele hintereinander vermurkst. Aus Athen kamen sie mit zwei Silbermedaillen nach Hause, aus Peking mit einer bronzenen Plakette – so wenig wie zuletzt 1904.

Ins Fernsehen schaffen sie es auch kaum noch. In den Stadien bestimmt der Fußball das Programm, viele Laufbahnen sind verschwunden, zuletzt in Stuttgart, dort hatte 1993 die letzte Leichtathletik-WM in Deutschland stattgefunden.

In diesem Jahr gibt es nun wieder eine große Bühne: Am Sonntag im Berliner Olympiastadion das Istaf, das größte deutsche Leichtathletik-Meeting, und im August dann werden hier die Weltmeisterschaften ausgetragen. Wer hier auftritt, braucht besonders gute Nerven. Denn er läuft, springt oder wirft nicht nur für sich, sondern für eine ganze Sportart.

Es ist schwer geworden, so unbekümmert um eine Medaille zu kämpfen wie Frank Busemann. „Ich hatte vor nichts Angst. Der größte Hemmschuh ist die Angst vor der Niederlage“, sagt er und glaubt, genau die bei deutschen Athleten beobachtet zu haben. Vor kurzem hat er jedoch einen gesehen, bei dem es anders war. „Mit was für einer Selbstsicherheit der im Startblock stand.“ Es war ein Zehnjähriger bei einem 50-Meter-Rennen.

Bis der groß ist, kann die Leichtathletik nicht warten. Sie braucht schnellstens wieder Helden. Einige scheint es auch zu geben, aber wie viel halten sie aus?

Die Hallen-Europameisterschaften im März in Turin, der erste Höhepunkt des Jahres. Sebastian Bayer aus Aachen läuft zum Weitsprung an. 8,17 Meter sind seine Hallen-Bestleistung – bei 8,71 Meter landet er. Sofort wird er als der deutsche Bob Beamon gefeiert, als Nachfahre des Jahrhundertspringers aus den USA.

Der Internationale Leichtathletik-Verband reagiert sofort. Ein neues deutsches Gesicht, was kann es Besseres geben vor der WM? Bayer soll deshalb Besuch bekommen. „Day in life“ heißt das Projekt, das der Verband regelmäßig durchführt, Journalisten besuchen die Athleten zu Hause. Erst schöne Bilder und Geschichten machen aus einem Sieger einen Star, und eine Sportart mit Stars ist eine Sportart ohne Sorgen. Also fliegen Journalisten nach Jamaika zum Sprinter Asafa Powell oder nach China zum Hürdenläufer Liu Xiang. Und nach dem Märzsprung nach Aachen zu Sebastian Bayer.

Eine Trainingseinheit soll es geben, Interviews mit Trainer und Athleten aus seiner Gruppe, mittags steht eine Einladung bei seinen Eltern auf dem Programm, sie wollen ihn mit seiner Freundin zum 23. Geburtstag überraschen. Doch dann sagt Bayer kurzfristig alles ab. Er war mit seinen letzten Ergebnissen nicht zufrieden und geht alleine trainieren.

Mit einem wie Bayer will Frank Busemann nicht tauschen. „Ich möchte heute kein Athlet mehr sein.“ Ein gespaltenes Verhältnis hat er zu seinem Sport bekommen. Auf der einen Seite steht die Faszination für die Leistung, das dramatische Duell auf der Zielgeraden, die Ästhetik der Bewegung, die Tradition. Aber es ist eine andere Seite hinzugekommen. „Jeder, der als Erster ins Ziel kommt, wird sofort verdächtigt“, sagt Busemann. Das Thema Doping habe ihn erst nach seiner Karriere eingeholt. „Da habe ich so viel erfahren und mich gefragt: Wie blind bist du eigentlich gewesen? Wie Alice im Wunderland bin ich durch die Welt gegangen.“

Tränen seien ihm gekommen, als er ein Interview mit einem Dopingdealer gelesen hat, der Leichtathleten mit Stoff versorgte. Seitdem überlegt sich Busemann zweimal, ob er bei der Ehrenrunde eines Siegers im Stadion aufsteht oder lieber sitzen bleibt. Busemann war Anti-Doping-Vertrauensmann im Deutschen Olympischen Sportbund. Doch er sagt: „Die Leute haben überhaupt keine Ahnung, wie weh das tut, sauberen Sport zu treiben.“ Dennoch hat er sich immer weiter gequält, ist nach acht Stunden Arbeit bei der Sparkasse noch auf den Sportplatz gegangen.

Eine solche Einstellung kann Jürgen Mallow den deutschen Athleten nicht beibringen, doch sie besser zu machen, ist seit fünf Jahren seine Aufgabe. Er ist viel in der Leichtathletik herumgekommen, bis er Cheftrainer wurde und 2008 Sportdirektor. Die WM in Berlin ist für den 64-Jährigen die letzte Mission – und die wichtigste. Man kann sich den Hanseaten Mallow auch als Lateinlehrer vorstellen mit seiner verkopften Sprache, er denkt sich tief in den Sport hinein, analysieren kann er besser als motivieren. „Bei Sebastian Bayer zeigt sich die Halbwertszeit der Leistungen in der Öffentlichkeit.“ Das Interesse habe nur zwei Wochen gedauert.

Das Fernsehen zeige nicht mehr, wie hoch Ariane Friedrich springt, wie weit Robert Harting den Diskus wirft und Christina Obergföll den Speer oder wie schnell Irina Mikitenko den Marathon läuft. „Mir tun die Athleten leid, sie haben noch nicht einmal die Chance, die Aufmerksamkeit von Energie Cottbus zu bekommen“, sagt Mallow. Die Kugelstoßerin Nadine Kleinert, Olympiazweite, bekam die größten Schlagzeilen, als sie erklärte, sie wolle mit dem Boxen anfangen.

Laufen, springen, werfen – darin steckt eben auch eine Rangfolge. Mit den Erfolgen ihrer Werfer allein kann sich die deutsche Leichtathletik kaum behaupten. In den 60er Jahren wurde der Verband in der Szene sogar noch Deutscher Läufer-Verband genannt. Ein Deutscher war es, Armin Hary, der als Erster die 100 Meter in handgestoppten 10,0 Sekunden sprintete. Später waren die Mittelstreckenläufer erfolgreich.

Jetzt laufen sie oft hinterher. „Die Globalisierung hat uns voll erwischt“, sagt Mallow. Immer mehr Länder schicken ihre Athleten ins Rennen. Wenn Geld im Spiel ist, weil ein Stab fürs Stabhochspringen 1000 Euro kostet oder gut ausgebildete Trainer die Wurftechnik analysieren müssen, mischen die Deutschen vorne mit. Aber je billiger es wird, und Laufen kostet eigentlich nichts, desto geringer sind ihre Erfolgsaussichten. Die besten Läufer kommen aus Afrika, und es werden mehr, weil es die jungen Sportler anspornt, dass sich die erfolgreichen von ihren Prämien eine Farm aufbauen oder ein Hotel. Existenzsicherung durchs Laufen.

Dieter Baumann hat dagegen seine Besessenheit gesetzt. Sein ganzes Leben ordnete er dem Laufen unter. Als sich im Endspurt des olympischen Finales von Barcelona 1992 über 5000 Meter eine Lücke zwischen lauter Afrikanern auftat, schlüpfte der Schwabe hindurch und gewann. Seitdem nennt man ihn den weißen Kenianer. Dass Baumann später einen positiven Dopingtest abgab, auch wenn er wegen einer manipulierten Zahnpastatube Opfer gewesen sein könnte, hat es der deutschen Leichtathletik nicht leichter gemacht.

Sie muss sich in zwei harten Wettbewerben gleichzeitig behaupten: in dem gegen andere Länder um Medaillen und dem gegen andere Sportarten um Aufmerksamkeit und Talente. „Sperrig“ nennt Mallow seine Sportart, die bei Olympischen Spielen auf 47 Disziplinen kommt. Wenn in einer Ecke des Stadions gerade einer die Kugel stößt, läuft eine andere zum Dreisprung an, und an einer dritten Ecke knallt ein Startschuss. Um das alles attraktiv abzubilden, laufen bis zu 50 Fernsehkameras, für ein Fußballspiel in der Bundesliga reichen zwölf.

An der Basis kämpft die Leichtathletik mit Maßband und Stoppuhr gegen Fuß- und Basketbälle, mit Staffeln gegen Mannschaften. Im Schulsport, früher Basis der Leichtathletik, kommt es nicht mehr gut an, in einer Reihe zu warten, dann in eine feuchte Sandgrube zu springen und sich wieder hinten anzustellen. Da helfen auch die Bundesjugendspiele wenig. „In angelsächsischen Ländern werden Erfolge über den Schullautsprecher bekannt gegeben“, sagt Jürgen Mallow, „bei uns ist das Leistungsdenken abhanden gekommen.“

Die Leichtathletik ist trainingsintensiv. Sieben bis zehn Jahre müsse man investieren, und das in jungen Jahren, um ganz nach vorne zu kommen, sagt Mallow. Aber kaum noch Sportlehrer könnten sich für die Leichtathletik begeistern. Auch gute Trainer zu finden, ist schwer geworden. Ein Bundestrainer, immerhin ein leitender Angestellter, verdient bei überdurchschnittlichem Kündigungsrisiko im Jahr vergleichsweise geringe 54 000 bis 61 000 Euro.

Trotzdem muss die Leichtathletik nicht um ihr Leben rennen. Denn es gibt sie, die jungen Talente. Solche wie Julia Fischer.

Sie bereitet sich gerade auf ihr Training im Sportforum Berlin-Hohenschönhausen vor, auf dem Platz wird die 19-Jährige später mit ihren 1,90 Meter nicht zu übersehen sein. Als sie zwölf war, hat sie ein Lehrer für die Leichtathletik entdeckt. „Sonst würde ich jetzt vielleicht Querflöte spielen.“ Vorbilder hatte sie schon. „Astrid Kumbernuss und Lars Riedel, weil sie ausgesehen haben wie Musterathleten.“ Fischer wurde selbst Diskuswerferin, 2008 gewann sie bei der Junioren-Weltmeisterschaft die Goldmedaille. „Es ist ein Lebensgefühl, das man hat, immer unterwegs sein, neue Leute kennen lernen, unsere Trainingsgruppe ist wie eine Familie.“

Dafür hat sie ihre Schulzeit auf 14 Jahre gestreckt, um mehr Zeit zum Trainieren zu haben, sechs Mal in der Woche. „Die Kräfte, die da beim Werfen wirken“, sagt sie, „das ist schon geil.“

 Friedhard Teuffel im Tagesspiegel, Sonnabend, dem 13. Juni 2009

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