Sven Güldenpfennig: Weltsport in der Weltpolitik. Über die Autonomie und Abhängigkeit des Sports. Arete Verlag: Hildesheim 2015. 464 Seiten; 34,95 Euro. ©Arete Verlag: Hildesheim
Umfassendes über den Kulturfaktor „Weltsport in der Weltpolitik“ – Prof. Detlef Kuhlmann
In nahezu jährlicher Regelmäßigkeit legt der habilitierte Sport- und Kulturwissenschaftler Dr. Sven Güldenpfennig, inzwischen als freier Autor in Vohburg an der Donau lebend, seit Anfang des Jahrtausends Bücher in seiner Reihe „Sport als Kultur – Studien zum Sinn des Sports“ vor.
Die Werke sind meistens „dicke Wälzer“ mit mehreren hundert Seiten. Dabei stellen sich Fragen wie diese: Wie schafft der Autor das? Und: Wer schafft das alles gleich ganz zu lesen?
Die neueste Veröffentlichung mit genau 464 Seiten, die vor wenigen Wochen vom arete-Verlag in Hildesheim ausgeliefert wurde, diskutiert „Über die Autonomie und Abhängigkeit des Sports“ (Untertitel) – ein brennendes Thema ist das allemal, zumal es Güldenpfennig jetzt dabei speziell um die Verortung des „Weltsports in der Weltpolitik“ (gemäß Haupttitel) geht. Was genau ist damit gemeint? Wie geht der Autor dabei vor?
Ausgangspunkt ist „die Frage, wie es dem Kulturfaktor Weltsport gelingen kann, sich so weit mit den in der Weltpolitik agierenden Mächten zu arrangieren, dass er seine eigenen kulturellen Ziele verwirklichen kann, ohne die eigene Macht zu überdehnen und an allfälligen Vereinnahmungsversuchen externer Mächte zu ersticken“ – so heißt es im Vorwort.
Für seine umfassenden Antwortversuche hat Güldenpfennig im „Chor von Pressestimmen“ recherchiert, alles fein säuberlich aus Artikeln von Tageszeitungen wie „Die Welt“, die „Süddeutsche Zeitung“, die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“, den „Donaukurier“ u.a. zitiert und in Fußnoten datiert.
Dadurch wird „ein Bild von der unbefriedigenden realen und von der wünschenswerten ideellen Stellung des Weltsports in der Weltpolitik“ detailreich entworfen. Güldenpfennig plädiert dabei für eine Revision aufgrund der medialen Vereinfachungen, die den sportpolitischen Diskurs gegenwärtig vehement beeinflussen.
Nach dem Vorwort besteht das Werk aus insgesamt sieben Kapiteln. In den beiden ersten be-schreibt der Autor die Eigenschaften des Sports, die seine Bedeutung in der Weltpolitik begrün-den können. Das Kapitel drei ist fokussiert auf den Wertekanon des Sports, auf den sich die sportliche Praxis berufen und die der Sport für seine Glaubwürdigkeit und Zukunftsfähigkeit nutzen kann – nicht zuletzt auch im Hinblick auf den sportpolitischen Diskurs, den Güldenpfennig auf den Prüfstand stellt.
Das folgende Kapitel vier begibt sich (gemäß Überschrift) mit „Olympia auf dem Weg nach Rio 2016“, bevor die globale Sportpolitik der Gegenwart am Beispiel der FIFA („Schauermärchen aus Tausendundeinem Korruptions-Verdacht“) und danach der Sturz des Jo-seph Blatter als „Ein Stück aus dem Tollhaus“ gekennzeichnet werden – hier jedoch als „Eine Gegenpolemik“! (Teil der Überschrift von Kapitel sechs), weil die mediale Kampagne gegen das Führungssystem des Weltverbandes „irreführende Signale für Kulturmission und Autonomie-Anspruch der Sportpolitik insgesamt aussendet“.
Das vorletzte Kapitel behandelt die Friedensidee des Sports am Beispiel israelisch-deutscher Versöhnung. Das Buch endet in Kapitel acht mit geschichtsphilosophischen Notizen zur Sportgeschichte.
Wenige Monate vor Beginn der Olympischen Sommerspiele in Rio sei exemplarisch ein kurzer Blick in jenes Kapitel geworfen, in dem sich Sven Güldenpfennig mit dem Leser bzw. der Leserin auf den Weg nach Rio aufmacht.
Zwischenfrage daher: Was ist noch mal der kulturelle Kern der Olympischen Idee? Güldenpfennig benennt drei wesentliche Konsens-Faktoren: Bei Olympia kommen erstens die weltbesten Athletinnen und Athleten zusammen. Bei Olympia werden zweitens die weltweit verbreitetsten Sportarten in einem gemeinsamen Ereignis „gespielt“. Und Olympia zeichnet sich drittens wegen des vierjährigen Rhythmus durch Verknappung gegenüber anderen großen Sportveranstaltungen aus, wodurch sein Stellenwert nochmals erhöht wird.
Das sportlich besehen Besondere bei Olympia ist, „dass hier sich die gesamte Welt des Sports selbst begegnet“. Die damit einher gehende internationale Verständigung beschreibt Güldenpfennig demgegenüber „nur“ als ein wünschenswertes Ziel im Sinne eines Nebeneffektes, der aus dem sportlichen Widerstreit erwächst.
Güldenpfennig belässt es aber keineswegs bei der nüchternden Beschreibung der (eigensinnigen“) olympischen Kernausstattung. Auf dem Weg nach Rio macht er nämlich (etwa in der Buchmitte) auch noch halt in mehreren deutschen Städten mit Ambitionen als Ausrichter von Olympischen Spielen, allen voran München und Hamburg. Dort geht es um den Wettbewerb im Bewerbungsverfahren für die Vergabe der Ausrichtung der Winter- bzw. Sommerspiele durch das IOC.
Dieser Wettbewerb ist in Wirklichkeit – so Güldenpfennig – ein dreifacher: nämlich auf einer sachlichen, ferner auf einer politischen und nicht zuletzt ist es einer auf der von ihm jetzt sogenannten heimlichen Ebene, wo „die dreistesten Korruptionsversuche sich durchsetzen“.
Im Nachtrag: Leider ist das Buch vor dem Hamburger Bürgerschaftsvotum im November 2015 in Druck gegangen, so dass der negative Ausgang und dessen sportpolitische Bewertung nicht mehr aufgenommen und hinterfragt werden konnte. Das Kapitel endet daher auf Seite 234 mit der (leider inzwischen widerlegten) Prognose des Ruder-Olympiasiegers und Hamburger Wirtschaftswissenschaftlers Prof. Wolfgang Maennig, der bereits am 21. März 2015 laut Zitat aus der Süddeutschen Zeitung prophezeite: „Deutschland ist dran, nicht die USA“.
Prof. Detlef Kuhlmann
Sven Güldenpfennig: Weltsport in der Weltpolitik. Über die Autonomie und Abhängigkeit des Sports. Arete Verlag: Hildesheim 2015. 464 Seiten; 34,95 Euro.