Mark Rowlands: Der Läufer und der Wolf. Berlin 2014: Rogner & Bernhard. 240 S.; 19,95 € ©Rogner & Bernhard.
Über Lauf-Philosophien und Marathon-Predigten … Eine Auswahl neuerer laufliterarischer Bücher – Prof. Detlef Kuhlmann stellt vor
Über das Laufen ist schon viel geschrieben worden. Jahr für Jahr kommen neue Bücher hinzu. Dabei hat sich neben den herkömmlichen Trainings-, und Anleitungs- und Ratgeber-Büchern längst ein weiteres Genre herausgebildet, das man im weitesten Sinne als laufliterarische Stilform bezeichnen kann.
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Dafür stehen Namen bekannter Autoren wie Günter Herburger (u.a. „Lauf und Wahn“) und Alan Sillitoe („Die Einsamkeit des Laufstreckenläufers“) oder Haruki Murakami („Wovon ich rede, wenn ich vom Laufen rede“).
Wie reichhaltig inzwischen die Zugänge zum literarischen Schreiben über das (ausdauernde) Laufen geworden sind, zeigt die kleine Auswahl an neueren Produktionen, die hier in kurzer loser Folge skizziert werden:
Das erste Buch will eine einzige Frage beantworten: „Warum wir Marathon laufen und was wir dabei denken“ (Untertitel). Dazu benötigt der Autor 42,195 Kapitel, nimmt uns vorher mit in den „Startbereich“ (Vorwort) und lässt uns auch danach im „Zielbereich“ (Nachwort) nicht ganz allein. Matthias Politycki (geb. 1955), selbst Marathonläufer und im Hauptberuf ein erfolgreicher Schriftsteller, der seit über 25 Jahren Romane, Erzählungen, Essays sowie Gedichte publiziert (zuletzt 2013 „Samarkand Samarkand“, davor u.a. „Weiberroman“), fragt sich im Buch beispielsweise gleich bei Km 1 „Alles richtig gemacht?“ (Kapitel-Überschrift); bei Km 4 läuft er über „Die blaue Linie“, bei Km 15 lernen wir von ihm „Läuferdeutsch“ und stellen bei Km 21 ernüchternd fest: „Die Elite ist schon durch“, bei Km 27 heißt es dann „Haltung wahren“.
Wie nicht anders zu erwarten war, begegnet ihm bei km 32 „Der Mann mit dem Hammer“; ab Km 40 dürfen wir uns schon mit „Trophäen“ beschäftigen, bevor der Autor bei Km 42 schließlich die „Fata Morgana“ sieht: „Das profane Portal ist nichts weiter als der Eintritt in den Garten Eden alias Zielbereich“ (S. 298). Da darf ein letztes Mal gejubelt werden, denn: „Direkt hinterm Ziel grinst keiner mehr. Macht keiner einen Luftsprung, feiert niemand“. Die „Postmarathonale Depression“ (Überschrift im Ziel) nimmt ihren Lauf. Das große Glück, seinen ersten Marathon gefinsht zu haben, kommt nie wieder. Und warum laufen wir nun Marathon? Mitten im Buch gibt Politycki darauf eine knappe, aber geradezu augenscheinliche Antwort – nämlich der „Eindrücke wegen. Und was wir dabei denken? Gar nichts, das ist es ja! Wir sind ganz Auge, mehr läßt (sic! D. K.) die Dynamik des Ereignisses nicht zu“ (S. 180). Allein der Eindrücke wegen lohnt sich also das (Marathon-) Laufen – und die Lektüre des Buches auch.
Matthias Politycki: 42,195. Warum wir Marathon laufen und was wir dabei denken. Hamburg 2015: Hoffmann und Campe. 314 S.; 20 €
Das zweite Buch ist eine Sammlung von 27 Predigten des Berliner Pfarrers und Marathonläufers Klaus Feierabend (geb. 1934), die er in den Jahren 1986 bis 2013 jeweils am Vorabend zum Berlin-Marathon in der (stets überfüllten) Kaiser-Wilhlem-Gedächtnis-Kirche beim sog. „Ökumenischen Abendgebet“ gehalten hat. Den gewählten Titel „Vom Lauf des Lebens“ kann man so oder so verstehen. Auf jeden Fall gelingt es Prediger Feierabend immer wieder, die versammelte Marathongemeinde mit anschaulichen Bibel- und Lauf-Bildern für sich zu gewinnen – oder wie es Horst Milde, der Erfinder und langjährige Macher des Berlin-Marathons in seinem Vorwort zum Buch auf den Punkt bringt: „Legendär sind seine Predigten zu den Läufergottesdiensten, völlig ungewöhnlich für eine Kirche ist es, wenn während der Predigt plötzlich Beifall aufbrandet, er hat den Läufern auf’s Maul geschaut und kann das in seine läuferisch-kirchlichen Weisheiten einflechten“.
Wenigstens ein paar weise Kostproben solcher sportlich-theologischen Verknüpfungen seien im Streifzug durch die im Buch chronologisch versammelten Predigttexte angefügt: „Laufen macht nicht Glauben, aber Christen sollten laufen. Denn: der Glaub gewinnt durch Laufen“. Oder: „Man muss nicht laufen, um leben zu können. Aber wer läuft, lebt exemplarischer. Er vermag aufmerksamer als viele Mitmenschen Zwischentöne wahrzunehmen“. Oder: Was für eine beunruhigende, geradezu aufwühlende, aber nützliche Erfahrung, wenn du einmal die gewohnte Laufrunde andersherum machst“. Oder ganz einfach: „Läufer sind Lernende“. Das zweite Vorwort zum Buch hat der ehemalige Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirch in Deutschland, Alt-Bischof Prof. Wolfgang Huber (Berlin) verfasst.
Klaus Feierabend: Vom Lauf des Lebens. 27 Predigten zum Berlin-Marathon aus den Jahren 1986 bis 2013. Hildesheim 2014: Arete Verlag. 136 S.; 14,95 €
Das dritte Buch stammt von einem Sportredakteur der Welt-Gruppe, der hauptsächlich für den FC Bayern München und die deutsche Fußball-Nationalmannschaft schreibt … und natürlich selber regelmäßig läuft. Das Buch ist in einer Reihe erschienen, die allein deswegen so erfolgreich sein muss, weil es irgendwann 111 Titel geben wird, die jeweils 111 Gründe angeben, warum was gut, Tennis zu spielen oder angeln zu gehen, und warum es gut, Borussia Dortmund etc. zu lieben. Apropos lieben: Im ersten Kapitel mit der Überschrift „Liebe, Sex und Zärtlichkeit“ nennt der Autor tatsächlich immerhin acht Gründe, die uns in dieser Hinsicht das regelmäßige und ausdauernde Laufen schmackhaft machen wollen.
Der erste Grund bringt es auf den Punkt: Läufer haben mehr Sex als Nicht-Läufer, zumindest haben das diverse Studien (aus den USA) ergeben, die hier als „Beweis“ angegeben werden.
Damit kein falscher Eindruck entsteht: Das Buch versteht sich nicht als ein trockene wissenschaftliche Abhandlung, sondern ist durchaus kurzweilig zu lesen, allein schon deshalb, weil die jeweilige Begründung zu einem vom Autor attestierten Grund meistens nur aus einer einzigen Buchseite besteht. Die insgesamt elf Kapitel beschäftigen sich mit „Grund-Elementen“ wie „Lauf dich erfolgreich“, sie laden ein zu „Rennen von Hamburg bis zum Nordpol“ und klären uns auf über „Nette Nebeneffekte“. Bei der Vielzahl der aufgeführten Gründe dürfte sich irgendwo jeder wieder finden bzw. angesprochen fühlen, der bereits läuft oder immer schon mit dem Laufen anfangen wollte. Fazit: Man muss durch Lektüre des Buches der Sache nur vorab richtig auf den Grund gehen …
Julien Wolf: 111 Gründe, Laufen zu gehen. Berlin 2015: Schwarzkopf & Schwarzkopf. 238 S.; 9,99 €
Das vierte Buch ist eine Anthologie mit insgesamt 18 Texten, die in den Jahren 1940 bis heute entstanden sind. Geschrieben haben sie 15 Autoren und drei Autorinnen (nämlich: Kathrine Switzer aus den USA, und die beiden deutschen Marathonläuferinnen und Zwillingsschwestern Anna und Lisa Hahner). Der Buchtitel suggeriert, dass sich alle Texte mit der magischen Distanz beschäftigen, also vom Marathon handeln. Auf einige trifft das sicher zu, andere gehen aber über die Distanz von 42 195 Metern hinaus oder treten gar nicht diese Strecke an.
Deswegen lauten die Überschriften, denen die Texte zugeordnet, sind auch treffend: „Meister Marathon“ – „Fartlek/Fahrtspiel“ – „Extreme Läufe“. Herausgeber Werner Irro, der selbst den ersten Beitrag („Der lange Lauf“) verfasst hat, verrät uns leider nicht, wie ausgerechnet diese Auswahl an Texten zustande gekommen ist, zumal hier mit elf die Mehrzahl der Autoren aus dem Ausland (u.a. Emil Zatopek, Adharanand Finn, Tom McNab) versammelt ist. Schön zu lesen sind die Texte alle mal – im Klappentext werden sie sogar als „hohe Literatur“ zum Laufen angekündigt. Auf bekannte und im Sammelband vertretene Autoren wie Alan Sillitoe, Haruki Marukami und Péter Nádas mag da sicher zutreffen, aber warum ist dann kein Text vom Alt-Meister der Laufliteratur Günter Herburger dabei, von Siegfried Lenz und seinem Läufer Bert Buchner (im Klassiker „Brot und Spiele“) ganz zu schweigen.
Werner Irro (Hrsg.): 42195 Meter Marathon. Die magische Distanz. Hamburg 2014: Ellert & Richter Verlag. 224 S.; 14,95 €
Das fünfte Buch hat einen merkwürdigen Titel und stammt von dem gleichnamigen Autor, der schon „Der Philosoph und der Wolf“ geschrieben hat. Mark Rowlands ist tatsächlich Professor für Philosophie an der Miami University in Florida und natürlich in seiner Freizeit selbst Läufer. Insofern ist sein Buch eine Mischung aus philosophischem Essay und gedanklicher Reflexion seiner eigenen Lauftätigkeit, für die er sich nicht besonders talentiert hält. Umso schärfer fallen dann seiner laufphilosophischen Erkenntnisse aus, die wesentlich um die Frage kreisen, warum das Laufen überhaupt Sinn macht: Laufen ist für Mark Rowlands ein Weg, um zu verstehen, was wichtig und wertvoll im Leben ist. Diesen Weg kann man – das fügt er allerdings ehrlich hinzu – auch anderswie und ohne das Laufen finden.
Das Laufen ist für Mark Rowlands immer auch ein Ort des Erinnerns, wo die (längst vergessenen) Trivialitäten des Lebens plötzlich wieder auf der Bühne des (laufenden) Bewusstseins auftauchen und neu bedacht werden können. Das Laufen eröffnet uns dadurch einen Spielraum für freie Gedanken. Das alles erscheint vor dem Hintergrund möglich, dass das Laufen an sich nutzlos ist und deshalb zu jenen menschlichen Tätigkeiten gehört, „die ihren Zweck in sich selbst haben“. Und weil das so ist, können wir unser Laufen unterschiedlich mit Sinn belegen: „Manche laufen um ihrer Gesundheit will, manche um Stress im Büro oder in der Familie abzubauen, wieder andere, weil sie gern unter Leuten sind, und noch andere laufen, weil sie gern an Wettkämpfen teilnehmen und dabei Medaillen sammeln“.
Ein Fazit zum Schluss: Beim Laufen können alle auf ihre Weise fündig werden – beim Lesen der fünf vorgestellten Bücher übrigens auch!
Mark Rowlands: Der Läufer und der Wolf. Berlin 2014: Rogner & Bernhard. 240 S.; 19,95 €
Prof. Detlef Kuhlmann
Hier die Online-Petition zum Unterstützen gegen die DLV-LAUFMAUT:
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