Blog
28
08
2010

Übrig geblieben ist Tyson Gay. Er hat als einziger die beiden Jamaikaner in dieser Saison besiegt: Powell im Juli mit 9,94 Sekunden in Gateshead, Bolt Anfang August in Stockholm

Tyson Gay – Der Primus der Geschlagenen – Michael Reinsch, Brüssel, in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung

By GRR 0


Es sollte Abschluss und Höhepunkt der neuen Diamond League sein: Ein Sprint mit Usain Bolt, Asafa Powell und Tyson Gay. Doch Bolt und Powell haben die Saison beendet. Es ist das Schicksal von Gay, dass er an Bolt einfach nicht vorbei kommt.

„Den vielleicht berühmtesten Athleten der letzten zehn Jahre zu verlieren, ist nicht lustig“, klagt Wilfried Meert, der Direktor des Leichtathletik-Sportfestes von Brüssel.

Usain Bolt, der schnellste Mann der Welt, hätte die Hauptfigur des Sprint-Finales der Saison an diesem Freitagabend werden sollen: zum Schluss und als Höhepunkt der neuen Diamond League im Rennen mit seinem jamaikanischen Landsmann Asafa Powell und dem amerikanischen Herausforderer Tyson Gay. Doch Bolt und Powell haben die Saison beendet und sind, mit Rückenschmerzen, nach Jamaika zurückgeflogen.

Übrig geblieben ist Tyson Gay. Er hat als einziger die beiden Jamaikaner in dieser Saison besiegt: Powell im Juli mit 9,94 Sekunden in Gateshead, Bolt Anfang August in Stockholm, wo er ihm in 9,84 Sekunden 13 Hundertstelsekunden, das entspricht knapp anderthalb Metern, voraus war. Das waren die ersten 100-Meter-Läufe von Gay in dieser Saison. Im Mai hatte er das Jahr mit einem 200-Meter-Lauf ohne Kurve in 19,41 Sekunden begonnen, einem Weltrekord der obskuren Sorte. Doch der Preis dafür waren immer wiederkehrende Erschöpfungs- und Verletzungspausen.
 
Gay läuft phantastische Zeiten – nur immer etwas zu spät

9,78 Sekunden bei Kälte und Gegenwind in London: Gay ist der schnellste Mann des Jahres9,78 Sekunden bei Kälte und Gegenwind in London: Gay ist der schnellste Mann des Jahres

Es ist das Schicksal von Gay, dass er mit seinen Weltklasse-Leistungen nicht die Welt des Sprints beherrscht, sondern stets Usain Bolt hinterher rennt, dem menschlichen Blitz und größten Unterhaltungsstar der Leichtathletik. Bei den Olympischen Spielen von Peking fegte der Jamaikaner ihn, den Doppel-Weltmeister des Vorjahres, mit Weltrekorden über 100 und 200 Meter sowie mit der Staffel und seinen Tänzen auf der Laufbahn aus den Schlagzeilen und vom Bildschirm. Bei der Weltmeisterschaft im vergangenen Jahr blieb Gay trotz einer chronischen Leistenverletzung Bolt auf den Fersen und holte in 9,71 Sekunden die Silbermedaille. Vor Peking wäre diese Zeit noch Weltrekord gewesen.

Doch in Berlin war Gay nur der Erste der Geschlagenen und verzichtete auf weitere Starts. Als alle Welt noch über Bolts Berliner Bestzeit von 9,58 Sekunden staunte und glaubte, Gay habe sich resigniert zurückgezogen und endlich an der Leiste operieren lassen, da zeigte dieser, dass er genauso schnell sein kann wie die Nummer eins der Welt. In Schanghai lief er 9,69 Sekunden, die Zeit, mit der Bolt in Peking Olympiasieger geworden war.
 

Damals, ein Jahr und einen Monat zuvor, hatte das noch als Fabel-Weltrekord gegolten. Nun war die Zeit, obwohl bis heute die drittbeste auf dieser Strecke, längst überholt. „Technisch mangelhaft“, kommentierte Gay seinen Lauf. Das ist seine Art zu sagen: Ich kann noch schneller.
Ihm wird nur der indirekte Vergleich bleiben

Nun scheint er endlich ohne Beschwerden. Seinen Start hat er verbessert, und sein Selbstbewusstsein dürfte auch gewachsen sein. Schließlich ist er es, der den schier Unbesiegbaren besiegt hat. Doch Gay scheint sich nicht einmal freuen zu können über den Triumph. „Ehrlich, tief in mir weiß ich, dass er nicht hundertprozentig fit war“, sagt der 28 Jahre alte Gay zu seinem Sieg über den vier Jahre jüngeren Bolt. „Ich warte immer noch darauf, dass wir beide hundertprozentig (fit) an den Start gehen und Asafa auch.“

Auch in Brüssel wird ihm nur der indirekte Vergleich mit dem Mann bleiben, der das Maß aller Dinge in der Leichtathletik geworden ist, vom Tempo bis zu den Werbeverträgen, und der selbstverständlich auch die Plakate des Sportfestes in Brüssel ziert. In London lief Gay vor 14 Tagen bei Kälte und Gegenwind 9,78 Sekunden. „Es stimmt, ich bin der schnellste Mann der Welt in diesem Jahr“, sagt er. „Aber geistig und körperlich fühle ich mich in der Lage, meine persönliche Bestleistung zu verbessern, wenn die Bedingungen gut sind. Das ist es, was ich am Freitag tun will.“ Wer 9,69 Sekunden unterbietet, streift zumindest den Weltrekord.
Gay will es allen beweisen: „Ich bin auch ein harter Kerl“

Immerhin hat er auch Bolt schon einmal abgehängt: in Stockholm im AugustImmerhin hat er auch Bolt schon einmal abgehängt: in Stockholm im August

In einer Disziplin ist Gay dem Mann, dem er seit drei Jahren meist hinterherrennt, längst voraus: Während sich Bolt ziert, auf die 400 Meter zu wechseln, ist er dazu wild entschlossen. „Ich will entschieden mehr 400-Meter-Rennen laufen. Ich will in die 400-Meter-Staffel der USA“, sagt Gay. „Eines Tages will ich Teil einer Mannschaft mit Jeremy Wariner und den anderen sein. Diese Erfahrung hatte ich noch nicht.“

In diesem Jahr kam Gay praktisch ohne Training auf 44,89 Sekunden. „Natürlich sind die 400 Meter eine harte Strecke“, sagt er. „Man wird schwindelig im Kopf, und einem wird übel im Bauch. Aber ich will's versuchen.“

Dann verrät er, was er beweisen will: „Ich bin auch ein harter Kerl.“

 Michael Reinsch, Brüssel, in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Sonnabend, dem 28. August 2010

author: GRR

Comment
0

Leave a reply