Horst Milde - Photo: Norbert Wilhelmi
Triers Platz in der Laufgeschichte – Horst Milde verabschiedet – Berthold Mertes berichtet
Wenn er als Zehnjähriger vor der elterlichen Bäckerei und Konditorei am Tempelhofer Damm stand und in den Himmel blickte, dann sah er die Rosinenbomber einschweben. Die Kindheit war für Horst Milde und seine Generation alles andere als ein Zuckerschlecken.
Sie prägte den mit einem grundsätzlichen Optimismus gesegneten Berliner und weckte in ihm eine unglaubliche Schaffenskraft, die den seit seiner Jugend begeisterten Mittelstreckenläufer später bekannt werden ließ als jenen „Mann, der den Berlinern das Laufen beibrachte“. 1964 bereits veranstaltete er am Berliner Teufelsberg den ersten Volkslauf mit 700 Teilnehmern, 1974 führte Milde im Grunewald die erste Marathonveranstaltung für jedermann durch.
Es waren die Anfänge des weltberühmten BERLIN-MARATHON, dem er 30 Jahre lang als Renndirektor vorstand, bevor er die Leitung der Veranstaltung 2004 an seinen Sohn Mark übergab.
Vor einer Woche nun hat Trier Eingang in die Annalen des deutschen Laufsports gefunden als der Ort, an dem Horst Milde, der Vater deutscher Laufveranstaltungen, der Ehrenvorsitz der German Road Races (GRR) verliehen worden ist – jener Interessenvereinigung der wichtigsten deutschen Läufe. Milde zählte 1995 zu den GRR-Gründern und diente dem Verein bis 2022 als Vorsitzender.
Auch mit 84 Jahren steckt Milde voller Tatendrang – das spürten die 100 Gäste, die zur Gala „Deutschlands Läufer des Jahres 2022“ in den Römersaal eingeladen worden waren. „Ich komme vom BERLIN-MARATHON mit 40.000 Teilnehmern und bin jetzt gelandet bei 80 Gefangenen, die in der Justiz-Vollzugsanstalt Plötzensee laufen“, berichtete der im blauen Sakko mit rotem Einstecktuch und schickem roten Rollkragenpullover ans Rednerpult getretene ältere Herr von seinem jüngsten Projekt, dem Plötzenseer 10-Kilometer-Lauf für Gefangene, und ergänzte: „Warum mache ich das? Weil mir das Organisieren einfach Spaß macht.“ Quasi selbstverständlich hat Milde eine 1-km-Runde auf dem Gefängnisgelände exakt vermessen lassen, so dass die Strecke sogar Weltrekordansprüchen genügen würde.
Award sportliches Lebenswerk für die Steffny-Brüder
Weiter, immer weiter. Ebenso unermüdlich wie Milde ist ein weiterer junggebliebener Achtziger, der in Trier aus den Händen der GRR-Vorstandsmitglieder Sascha Wiczynski und Wilfried Raatz den „Lauf-Oscar“ in der Kategorie „Award sportliches Lebenswerk“ erhielt: Manfred Steffny (81) – auch er ein Motor der deutschen Laufbewegung. Der zweimalige Marathon-Olympiateilnehmer (1968 in Mexiko und 1972 in München) schrieb den Bestseller „Marathon-Training“ und ist bis dato Chefredakteur der von ihm gegründeten „Lauf-Bibel“ SPIRIDON. Das monatliche Fachmagazin liefert der Szene seit Jahrzehnten Impulse – auch heutzutage noch. Für Steffny ist die Ehrung etwas ganz Besonderes, weil er in Union mit Herbert Steffny in der Heimatstadt der Brüder ausgezeichnet wurde.
Manfred, geboren am 14. August 1941 in Trier, stand im orangefarbenen Jacket auf der Bühne und glänzte später rhethorisch und fachlich in seiner Laudatio, die er auf Deutschlands ersten Marathon-Europameister Richard Ringer hielt, der im Römersaal die Trophäe für den „Läufer des Jahres 2022“ entgegennehmen durfte. Steffny war in seinen frühen Wirkungsjahren wie Milde auch Veranstalter. Er organisierte 1978 die Premiere des einstmals legendären Nürburgringlaufs mit 5000 Startern, bevor er sich immer mehr auf seine journalistische Rolle konzentrierte.
Angefangen hatte Steffny als Mitarbeiter beim „Trierischen Volksfreund“, gelangte über eine Lokalausgabe der „Rhein-Zeitung“ und den „General-Anzeiger“ in Wuppertal als Redakteur zur renommierten Nachrichtenagentur Sport-Informations-Dienst (SID), ehe er den Sprung in die Selbstständigkeit als Verleger und Chefredakteur von SPIRIDON wagte und sich in Erkrath bei Düsseldorf niederließ. Außerdem trainierte er namhafte Athleten wie die seinerzeit Weltrekord laufende Christa Vahlensieck – und wirkte nicht zuletzt als Ratgeber für seine zwölf Jahre jüngeren Bruder Herbert, der erst spät in die Marathonkarriere startete und als erster Deutscher eine Marathon-Medaille bei Europameisterschaften gewann (Bronze 1986 in Stuttgart).
Herbert Steffny grüßt von Hawaii
Steffny, der Jüngere, grüßte per Videobotschaft von Hawaii – mit einem Glas Wein in der Hand am Strand stehend: „Leider bin ich beruflich verhindert wegen des Honolulu-Marathons, sonst wäre ich gerne in Trier dabei gewesen.“ Die Auszeichnung sei ihm eine große Ehre, sagte der 69 Jahre alte Autor des Bestsellers „Das große Laufbuch“, Marathon-Fernsehexperte und Veranstalter von Laufseminaren sowie -reisen, und ergänzte: „Wobei ich der Meinung bin, dass ich erstens noch nicht alt genug dafür bin – und Manfred den Award eigentlich viel mehr verdient hat.“ Damit würdigte er die Pionierrolle seines Bruders als „Kämpfer für die Laufbewegung auch in Zeiten, als Laufen noch nicht Mainstream war, sondern das alles im Gegenwind stattgefunden hat.“
Trier blickt also nicht nur auf eine große römische Vergangenheit zurück, sondern hat bereits seit etlichen Jahrzehnten auch Laufgeschichte geschrieben. Als dereinst Horst Milde zu den Rosinenbombern aufblickte, rannte Manfred Steffny als Kind um die Blöcke im nördlichen Trierer Stadtteil. Damals als Exot. Inzwischen begeistern große Veranstaltungen, zu denen auch der Silvesterlauf Trier zählt, die Menschen mit großem Sport – und bringen sie in Bewegung. Horst Milde und Manfred Steffny zählen in der neuzeitlichen olympischen Geschichte zweifelsohne zu Deutschlands Pionieren in Sachen „Laufen für alle“.
Schon gehört? Gesa ist schwanger, läuft aber noch
Zukunftsweisend waren die Themen der zweitägigen GRR-Jahrestagung im Anschluss an die Gala. Höhepunkt war die Diskussionsrunde mit dem renommierten Fernsehjournalisten Ralf Scholt, ARD-Fernsehkommentator beim EM-Triumph Richard Ringers, und dem Social Media-Experten Jan Erik Kruse, der unter anderem die Erfolgskampagne der asics-Frontrunner initiierte und derzeit als Marketingleiter der Fa. Falke arbeitet. Gerade beim Wiederaufbau traditioneller Laufevents nach der Corona-bedingten Krise ist es umso wichtiger geworden, alle modernen Medienkanäle zu nutzen. Auf allen Wegen ist der Kern die Story, die Aufmerksamkeit weckt und weitererzählt wird.
Am Beispiel des 33. Bitburger 0,0%-Silvesterlaufs in Trier bedeutet das: Hast du schon gehört? Richard Ringer kommt! Gesa Krause erwartet Nachwuchs, läuft an Silvester aber noch. Und, ganz frisch: Amanal Petros kommt. Neben dem Marathon-Europameister also auch der deutsche Rekordler. Nicht zu vergessen: Die Sambatänzerinnen. Egal, wie kalt es wird.
Läufer des Jahres 2022 im Überblick:
Läuferin des Jahres:
Konstanze Klosterhalfen (TSV Bayer 04 Leverkusen)
Läufer des Jahres:
Richard Ringer (LC Rehlingen)
Nachwuchsläuferin des Jahres:
Jolanda Kallabis (FT 1844 Freiburg)
Nachwuchsläufer des Jahres:
Lukas Ehrle (LG Brandenkopf)
Trainer des Jahres:
Armin Beyer (VfL Löningen)
Award sportliches Lebenswerk:
Manfred und Herbert Steffny (Trier)
#gemeinsammehrbewegen-Preis:
Laufmützen Usedom
Berufung zum GRR-Ehrenvorsitzenden:
Horst Milde (Berlin)
Eine Bildergalerie von der Läufer-Gala und der GRR-Jahrestagung, freundlicherweise zur Verfügung gestellt von Norbert Wilhelmi …
Berthold Mertes
Alle Fotos: Norbert Wilhelmi