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04
08
2009

„Ich weiß nicht, ob ich bei dieser WM überhaupt Leichtathletik sehen werde“, sagt Clausen. 2002, als er in München die EM mitorganisierte, hat er sich wenigstens den 10 000-Meter-Lauf von Dieter Baumann anschauen können. Aber diesmal?

Training mit … Heinrich Clausen: Kulturattachés statt Sprintstars – Organisator Heinrich Claussen tut alles für eine erfolgreiche Leichtathletik WM – und verpasst dabei viel. Friedhard Teuffel im Tagesspiegel

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Der Tag beginnt wie in der großen Politik: mit einer Kabinettsitzung. Es ist 9.15 Uhr, die einzelnen Ressorts tragen ihren Stand der Dinge vor, Heinrich Clausen sitzt in der Mitte des Sitzungssaals und lässt sich berichten. Mit Bleistift macht er sich auf einem kleinen Zettel Notizen. Einiges ist tatsächlich politisch, der Manager Ceremonies – man könnte ihn auch Zeremonienmeister nennen – erörtert gerade, in welcher Sprachreihenfolge die Gäste bei der Eröffnungsfeier im Olympiastadion begrüßt werden sollen.

Englisch, Französisch, Deutsch, schlägt er vor und Clausen nickt. Der Manager des Kulturstadions fragt, wer denn vom Organisationskomitee beim Tag der Botschaften am Brandenburger Tor anwesend sein werde. Schließlich habe soeben auch der chinesische Kulturattaché zugesagt.

Clausen wird selbst kommen, das ist eine Aufgabe für einen Geschäftsführer. Obwohl es kurz vor dem 100-Meter-Finale der Männer ist, dem größten Spektakel dieser Weltmeisterschaften. „Ich weiß nicht, ob ich bei dieser WM überhaupt Leichtathletik sehen werde“, sagt Clausen. 2002, als er in München die EM mitorganisierte, hat er sich wenigstens den 10 000-Meter-Lauf von Dieter Baumann anschauen können. Aber diesmal?

Arbeitstage von sieben bis elf

Diese Weltmeisterschaften in Berlin sind noch ein bisschen größer, mehr Teilnehmer, wahrscheinlich mehr Zuschauer, mehr Fernsehen und noch mehr Regeln, Ansprüche, Vorschriften. Dass es nicht mehr lange hin ist bis zur Eröffnung, sieht man Heinrich Clausen an. Die Erschöpfung hängt schwer an seinen Augenlidern. Um sechs Uhr ist Clausen, 59 Jahre, wie jeden Tag aufgestanden, um sieben war er mit schwarzem Cordsakko und grauer Cordhose im Büro. In der Regel verlässt er es abends um elf.

Zwei Geschäftsführer leiten das Organisationskomitee der WM. Weil sein Kollege Frank Hensel gleichzeitig noch Generalsekretär des Deutschen Leichtathletik- Verbandes ist und sich um die Sportpolitik kümmern muss, ist Clausen der sichtbare der beiden, zuständig für die Mitarbeiter, die Verwaltung, die Sporttechnik. An diesem Morgen macht er um kurz nach zehn, wie jeden Tag, seine Runde durch die Räume am Adlerplatz auf dem Olympiagelände; etwa 90 Mitarbeiter haben hier ihr Büro. Im zweiten Stock warten einige neue Volunteers auf ihren ersten Einsatz. Sie werden zu den wenigen Menschen gehören, denen Clausen an diesem Tag nicht seinen Arm um die Schulter legt.

Progressive Rock zum Durchhalten

Durch sein Arbeitszimmer rauscht Clausen nur kurz. Über seinem fast tennisnetzhoch mit Papier belegten Schreibtisch hängen drei gerahmte Poster wie ehrenhafte Entlassungsurkunden, von der EM 1986 in Stuttgart, der WM 1993 in Stuttgart und der EM 2002 in München. Bei allen drei Leichtathletik- Veranstaltungen hat Clausen mitgearbeitet, in Berlin ist er zum Organisationschef aufgestiegen. In einem Regal hat er mehrere Fächer mit CDs gefüllt, Progressive Rock wie von seinem neuen Lieblingsmusiker Neal Morse soll helfen, dass ihm die Tage nicht so lang vorkommen.

Es ist zwanzig vor elf, jetzt beginnt sein Parcours, jeden Tag will Clausen alle Baustellen inspizieren, beginnen möchte er diesmal mit dem Akkreditierungszentrum im olympischen Reiterstadion. Dorthin fährt er jetzt mit seinem dunklen Audi A6, im Autoradio läuft Star FM. Eine kurze Pause legt er noch im Schulungsraum neben der Akkreditierung ein, dort werden gerade vierzig Volunteers eingewiesen, die freiwilligen Helfer. Mehr als 5000 werden es insgesamt sein, die sich um Fahrdienst, Akkreditierung, Betreuung von Athleten, Gästen, Journalisten kümmern oder bei der Organisation der Wettbewerbe mitarbeiten.

Clausen stellt sich vor sie: „Ihr seid das Gesicht der WM, die Erinnerung an eine Veranstaltung hängt immer davon ab, wie man aufgenommen und wie man bedient wird. Immer versuchen, freundlich zu sein, nie jemanden stehen lassen.“ Dann überlässt er dem Referenten wieder das Podium.

"Phasen, in denen man sich selbst hasst"

Mit dem Akkreditierungsbüro ist Clausen zufrieden, also schnell zurück ins Auto. „Es gibt so Phasen, in denen man sich selbst hasst dafür, dass man sich auf so etwas eingelassen hat“, sagt Clausen und wirkt für einen Moment, als stecke er mitten in dieser Phase. Seit Januar hat er sich nur ein freies Wochenende zu Hause bei München gegönnt, ansonsten arbeitet er durch. Seine Frau habe ihn am Anfang noch einige Male besucht, aber dieses Programm sei inzwischen eingestellt. „Sie sagt, dass ich hier sowieso keine Zeit für sie hätte, und das stimmt ja auch.“

So anstrengend es auch ist, Clausen fürchtet sich schon vor dem Moment, wenn es vorbei sein wird nach vier Jahren Arbeit für dieses Projekt. „Dann fällt man in ein tiefes Loch, das dauert bestimmt ein halbes Jahr“, sagt er, „aber am schlimmsten ist es, wenn die Mitarbeiter weg sind. Du hast sie alle eingestellt und mit ihnen zusammengearbeitet, die Arbeit hat zusammengeschweißt und dann sitzt du plötzlich nur noch mit fünf Leuten im Büro.“

Inzwischen ist Clausen am Internationalen Fernsehzentrum angekommen, einem Containerdorf direkt am Südtor des Olympiastadions. Er nimmt dort erst einmal Vili Nedialkova in den Arm, eine kräftige Bulgarin, die für die öffentlich-rechtlichen Sender die Zusammenarbeit mit den ausländischen Stationen koordiniert. „Gestern sind die Japaner gekommen, morgen kommen die Koreaner“, berichtet sie Clausen, bevor sie wieder in einem Container verschwindet.

Alles ist noch rechtzeitig aufgebaut worden, denn am Anfang hatte es eine Panne gegeben.  Das Containerdorf hat zwei Geschosse, Ground Floor und First Floor, und als ein Bauarbeiter all seine Englischkenntnisse zusammengekratzt hatte, begann er mit dem First Floor als unterstem Geschoss. Inzwischen steht jeder Container an der richtigen Stelle.

Alles in Sicherheit, wenn Hertha kommt

Das Fernsehen mache ihm auch am meisten Arbeit, sagt Clausen. „Die wollen ständig noch etwas verändern, dann muss man noch mal die Kamerapositionen überprüfen und so weiter.“ Außerdem müsse die ganze Fernsehtechnik gesichert werden, vor allem, wenn Hertha BSC vor der WM noch für ein Spiel ins Olympiastadion einzieht.

Beim Verlassen des Fernsehzentrums stolpert Clausen über ein paar lose herumliegende Pflastersteine: „Können Sie dem Bauleiter mal sagen, dass das in Ordnung gebracht wird?“, ruft er einem Mann vom Sicherheitsdienst zu. Clausen, aufgewachsen in Schleswig-Holstein, hat in Stuttgart Bauingenieurwesen studiert, und wie eine Bauaufsicht läuft er auch übers Gelände. „Dass die Leute so was nicht sehen, das kapier ich nicht“, sagt er. Als er zurück zum Auto geht, stecken zwei oberkörpertätowierte Bauarbeiter die Köpfe zusammen. „Wer war das denn?“ – „Der Chef der Leichtathletik-WM“ – „Ach, dafür ist das alles hier.“

30 Tonnen Hemden, Hosen, Jacken

In der Tiefgarage des Olympiastadions schaut sich Clausen nun die ersten von 200 Fahrzeugen des Sponsors an, mit denen während der WM vor allem die Gäste chauffiert werden. Um den Verkehr mache er sich keine Sorgen mehr, sagt Clausen. „Die S-Bahn fährt bald wieder dreimal in zwanzig Minuten hier zum Olympiastadion.“ Während der WM wird der Takt noch einmal erhöht, so hat man es ihm versprochen, sagt er und lenkt seinen Wagen weiter zum Pressezentrum auf dem Maifeld. Dort fragt er nach dem Zeitplan für das Aufstellen von Tischen und Stellwänden. „Wenn es mit einer Firma nicht funktioniert, muss ich auch mal mit der Faust auf den Tisch hauen.“

Ansonsten sei er aber zum Motivieren da. „Die Leute sollen gerne hierherkommen und für die WM arbeiten“, sagt er, bevor er noch bei der Kleiderausgabe für die Volunteers vorbeischaut, wo 30 Tonnen von Hemden, Hosen, Jacken auf die freiwilligen Helfer warten.

Clausens Tag wird weitergehen mit einer weiteren langen Sitzung, ehe er abends um acht die wichtigste Zahl des Tages per E-Mail erhält: den Stand des Ticketverkaufs. Davon hängt auch persönlich etwas ab. Er hat sich auf eine Wette eingelassen mit seinen Kollegen vom Organisationskomitee. Wenn 500 000 Tickets verkauft sind, wird er ein Glas Alkohol trinken, egal, was für eins.

Es wird für den Asketen Heinrich Clausen das erste in seinem Leben sein.

Friedhard Teuffel im Tagesspiegel, Montag, dem 3. August 2009 

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