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TOUR DE SKI 2021/2022: Warum ausgerechnet eine Amerikanerin im Mittelpunkt steht Von KLAUS BLUME
Sie weiß längst, von zehn Amerikanern können „mindestens elf gar nichts, wirklich rein gar nichts“ mit dem Begriff „Skilanglauf“ etwas anfangen. „Deshalb kennen sie mich auch nicht, haben nie von mir gehört oder etwas über mich gelesen“, erklärt die Amerikanerin Jessie Diggins ihre Anonymität, daheim in den Vereinigten Staaten.
Andernorts sei das anders. Völlig anders. So steht die 30-Jährige aus Minnesota bei der heute in der Schweiz beginnenden 16. Tour de Ski – einem Langlauf-Rennen über sechs Etappen – wieder einmal im Mittelpunkt des weltweiten Interesses.
Sie gewann schließlich nicht nur die letzte „Tour de Ski“, sondern auch gleich noch den Gesamt-Weltcup der Ski-Langläuferinnen. „Schließlich bin ich endlich an diesem Punkt meiner Karriere angelangt“, erklärt sie die Ballung dieser Erfolge. Und verschweigt dabei geflissentlich, dass sie 2013 schon mal Weltmeisterin gewesen ist und es 2018 sogar zur Olympiasiegerin gebracht hat. Habe aber daheim auch so gut wie niemand bemerkt.
Wie auch?
Im Gegensatz zu den skandinavischen Verbänden in Norwegen, Schweden und Finnland aber auch zu der mächtigen Föderation in Russland – die allesamt mit Heerscharen an hauptamtlichen Helfern und Weltfirmen als Sponsoren arbeiten – ist das amerikanische Team eigentlich kaum wahrnehmbar. Diggins, immerhin derzeit die erfolgreichste Skilangläuferin der Welt, wird lediglich von der zweimaligen Weltcup-Siegerin Rosie Brennan und dem zweimaligen Junioren-Weltmeister Gus Schumacher unterstützt.
Jessie Diggins erzählt: „Eines der lustigen Fakten über unser Team ist, dass unsere Physiotherapeuten, unsere Masseure und sogar die Teamärzte ausschließlich ehrenamtlich tätig sind. Diese großzügigen, fleißigen Menschen unterbrechen ihre Arbeit und ihr Familienleben zuhause, um mit uns auf Reisen zu gehen und unsere müden und schmerzenden Körper von Wochenende zu Wochenende zusammenzuhalten.“
Und dann erläutert sie: „Ich glaube, es ist aber zugleich eines der motivierendsten Dinge, Teil eines solchen verrücken Team zu sein. Das inspiriert mich, stets den letzten Tropfen an Energie aus mir heraus zu holen. Denn ich weiß, wie schwer es ist und wieviel Arbeit es kostet, uns überhaupt irgendwo in der Welt an den Start zu bringen.“ Um in der Nationenwertung, hinter Norwegen und Schweden sogar auf Platz drei zu rangieren – noch vor Rußland.
Um das alles zu begreifen: Jessie Diggins ist neben ihrem Landsmann Bill Koch die einzige Amerikanerin, die bisher einen Weltcup-Gesamtsieg im Skilanglauf erkämpfen konnte. Koch gelang das übrigens 1982 (!), sechs Jahre, nachdem er die erste amerikanische Olympia-Medaille im Langlauf gewonnen hatte – 1976 in Innsbruck, über 30 Kilometer.
Jetzt hat ihn Jessie Diggins überflügelt, „weil es schon immer ein großer Traum von mir gewesen war, jederzeit für Siege bereit zu sein, egal, in welcher Disziplin und in welcher Stilart: Ob klassisch oder im freien Stil, im Sprint oder auf den Distanzstrecken. Endlich bin ich an diesem Punkt meiner Karriere auch angekommen. Und das ist fantastisch.“
Aber es sei ein verrücktes Leben, das sie dafür führe, ein Leben aus dem Koffer, „nicht nur von November bis März“ – sondern ständig.
Vor allem bei den Saisonvorbereitungen im Sommer. „Aber du musst dabei eben immer daran denken: Das Training, und sei es auch noch so hart, wird niemals zur Schleiferei, wenn es Spaß macht.“
Klaus Blume
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