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08
04
2023

Eine Rose für Erwin von Witzleben - Foto: Dina Fiehn

Tod und noch mehr Leben! Gedanken zum Erinnerungslauf durch Berlin Moabit und Mitte am Karfreitag 7. April 2023   von Dr. Erdmute Nieke

By GRR 0

Karfreitagmorgen kurz vor 9.30 Uhr finden sich an einer Straßenecke in Berlin-Moabit 23 Läufer:innen ein. Abgesehen von ein paar Hundespaziergängerinnen schläft die Stadt an diesem kalt-grauen Feiertagsmorgen noch. Doch die 23 Läufer:innen kennen sich irgendwie alle und sind schon frisch und munter.

Nach einer kurzen Begrüßung geht es auch sofort los. Die Gruppe läuft nicht um die Wette, sie laufen so langsam, dass alle mitkommen. Denn diese Läufer:innen sind auf einem besonderen Karfreitagsweg. Es ist ein Erinnerungslauf, diesmal unter dem Thema: „Tod und Leben! Wenn wir die Geschichte vergessen, holt sie uns ein.“ Der Weg geht über zwölf Kilometer und führt an zehn besonderen Orten entlang und erinnert an besondere Menschen.

Menschen, die ihr Leben lassen mussten für ihre Ideen und Ideale, aber auch an Menschen, die für das Leben gekämpft haben.

Das Robert Koch-Institut  – Foto: Iki Freiwald

Rudolf Virchow und Robert Koch waren zwei Kämpfer für das Leben. An Rudolf Virchow erinnert auf dem Karlplatz vor der Charité ein Denkmal und eine Erinnerungstafel an der Marschallbrücke. An der Marschallbrücke, die über die Spree führt, hat Rudolf Virchow am 18. März 1848 mit auf der Barrikade gestanden. Das hat ihm seine Stelle an der militärärztlichen Akademie in Berlin gekostet. Der Nobelpreisträger Robert Koch hat ein eigenes Mausoleum im heutigen Robert-Koch-Institut. Beide Ärzte werden von uns mit Rosen bedacht.

Eine Rose für Rudolf Virchow – Foto: Dina Fiehn

Günter Litfin wurde nur 24 Jahre alt. Er war Maßschneider, arbeitete in Charlottenburg und lebte in Weißensee mit seinen beiden Brüdern und seiner Mutter. Am 24. August 1961 wollte er die Freiheit wählen. Er wurde beim Versuch durch den Humboldthafen am heutigen Hauptbahnhof zu schwimmen, von einer Kugel tödlich am Hinterkopf getroffen. Das erste Maueropfer! An ihn erinnert ein ehemaliger Grenzwachturm in der Kieler Straße, den sein Bruder nach der Jürgen in Erinnerung an seinen getöteten Bruder nach dem Mauerfall bewahrte. Am Turm steht das Motto unseres Laufes: „Wenn wir die Geschichte vergessen, holt sie uns ein ein.“ Wir laufen am Gedenkstein der Tat entlang. Für Günter legen wir hier eine Rose nieder.

Wir erinnern uns an fünf Menschen, die im Widerstand gegen den Nationalsozialismus aktiv waren und von den Nationalsozialisten hingerichtet wurden.

Zuerst zwei Frauen: Erika Gräfin von Brockdorff und Cato Bontjes van Beek. Beide waren in der Widerstandsgruppe der Roten Kapelle aktiv, sie wurden verraten, verurteilt und 1943 in Plötzensee im Alter von 32 und 23 Jahren hingerichtet. Seit 2019 gibt es einen Ort, der an sie erinnert. Auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof in Berlin Mitte wurden 2019 mehr als 300 mikroskopische Präparate bestattet, die der Anatom Hermann Stieve von den ermordeten Frauen in Plötzensee zu Forschungszwecken entnahm. An dieser ungewöhnlichen und späten Grabstelle legen wir für Erika und Cato eine rote Rose nieder.

Außerdem erinnern wir uns an drei Männer, die in das Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 involviert waren. Da ist zuerst Erwin von Witzleben (geb. 1881), kurzzeitig war er Oberbefehlshaber West der Wehrmacht und wird am 21. Juli 1944 festgenommen und von Freisler am 8. August 1944 zum Tode verurteilt und noch am gleichen Tag in Plötzensee erhängt. Seine Grabstätte befindet sich auf dem Invalidenfriedhof. Auch für ihn legen wir eine Rose nieder.

Der Bruder von Dietrich, Klaus Bonheffer und Albrecht Haushofer gehörten ebenfalls zu den Verschwörern gegen Hitler. Klaus Bonhoeffer wird im Oktober 1944 verhaftet und Albrecht Haushofer im Dezember. Beide sitzen im Moabiter Zellengefängnis in Haft und werden am 22. und 23. April 1945 direkt hinter dem Gefängnis von einem Sonderkommando des Reichssicherheitshauptamtes erschlossen. Klaus ist 44 Jahre alt geworden und Albrecht 42.  An Klaus Bonhoeffer erinnert ebenfalls auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof ein Grabstein.

Albrecht Haushofer hat in seiner Haftzeit im Zellengefängnis 80 Sonette verfasst. Im heutigem Geschichtspark vom ehemaligen Zellengefängnis, das 1958 abgerissen wurde, hören wir passend zum Karfreitag mit der Aussicht auf Ostern Albrechts Sonett „Qui Resurrexit“ –  Der wieder auferstanden ist. Es ist ein beeindruckender Text über seinen Glauben an Jesus Christus. Auch für ihn hinterlassen wir eine Erinnerungsrose an einer symbolisch nach gebauten Gefängniszelle.

Gruppe im Geschichtspark ehemaliges Zellengefängnis Moabit – Foto: Manuela Mühlhausen

Am Grab von Bertolt Brecht auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof hören wir sein Gedicht „Epilog vom Karfreitag“ von 1919. Texte zum Tag, Brecht denkt hier über den Sinn des Todes Jesu nach.

Bertolt Brecht Denkmal  – Foto: Horst Milde

Eine weitere Rose legen wir auf unserem Weg am Deportationsmahnmal an der Putlitzbrücke nieder, hier befand sich der Güterbahnhof Moabit, von dem 32.000 jüdische Berliner:innen in die Konzentrationslager deportiert wurden. Ein Davidstern und eine Treppe, die in das Nichts führt, erinnert uns an diese grausamen Taten.

Deportationsmahnmal Putlitzbrücke – Foto: Dina Fiehn

Nach zwölf intensiven Erinnerungs-Lauf-Kilometern wird die Straßenecke in in Moabit, an der sich die Gruppe traf, in ein kleines Buffet verwandelt. Es gibt süße und herzhafte Leckereien, Kaffee, heißen Tee und alkoholfreies Bier. Trotz der Frische reden wir noch ein wenig miteinander – vor allem über das Leben – und wir sammeln eine Spende für Ärzte ohne Grenzen, denn auch heute kämpfen Menschen für das Leben.

23 Menschen haben den Laufsport am Karfreitag genutzt um an Menschen und Orte zu erinnern, damit sich die grausame Geschichte und Vergangenheit nicht wiederholt, denn nur wenn wir die Geschichte vergessen, holt sie uns ein. Mögen alle diese mutigen Menschen unvergessen sein und uns Lebende mahnen für das Leben zu kämpfen. Ein guter Gedanke zum Karfreitag!

Dr. Erdmute Nieke

www.lauffreude.berlin

 

author: GRR