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16
05
2011

Mit seinen frechen Sprüchen, seinem Selbstbewusstsein und seinen Eskapaden wirkte der kenianische Olympiasieger Wanjiru in der Szene der stillen Ausdauersportler wie ein Rockstar. Nach einem Ehestreit stürzt er aus sechs Metern in den Tod.

Tod des Marathon-Olympiasiegers – Wunderläufer und Rockstar – Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung

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Der Marathon-Weltrekord war sein nächstes Ziel. Schon seit Jahren hatte Sammy Wanjiru angekündigt, im Herbst in Berlin die 2:03:59 Stunden von Haile Gebrselassie zu unterbieten. Vergangene Woche meldete sich sein Manager beim Berliner Renndirektor Mark Milde. Leben und Karriere des Langstrecken-Wunderkindes bleiben unvollendet.

Wanjiru, der mit 21 Jahren erster und einziger Marathon-Olympiasieger Kenias wurde, starb am Sonntag bei einem Sturz vom Balkon seines Hauses in Nyahururu im Rift Valley. Er war 24.

Bei den Olympischen Spielen von Peking 2008 zeigte Wanjiru, dass er Grenzen versetzen kann in der Königsdisziplin des Langlaufs. In der feuchten Hitze der chinesischen Hauptstadt und in einem Rennen ohne Tempomacher übernahm er früh die Führung und siegte in 2:06:32 Stunden – so schnell war noch nie jemand einen Meisterschafts-Marathon gelaufen und schon gar kein Einundzwanzigjähriger. Wanjiru lief sechs Marathons in seinem Leben, fünf davon gewann er. In London 2008, vier Monate vor dem Olympiasieg, wurde er Zweiter.

Mit seinem Kampfesmut erwarb er sich den Ruf, bester Marathonläufer der Welt zu sein, und verdiente Millionen. „Er war eines der größten Marathon-Talente, die es je gegeben hat", sagte Milde am Montag. „Er hatte eine ganz besondere Gabe, über seine Grenzen hinaus zu gehen." Seine Bestzeit von 2:05:10 Stunden beschreibt nicht annähernd, welch ein Läufer Wanjiru war.

Er gewann neben dem olympischen die Marathons von Fukuoka, London und zwei Mal den von Chicago. Dabei lief er schnell, mutig und elegant. Bei seinem Comeback nach einer langen Verletzungspause in Chicago im Oktober 2010 – beim London-Marathon hatte er aufgeben müssen – lieferte er sich ein faszinierendes Duell mit dem Äthiopier Tsegaye Kebede. Beide griffen abwechselnd immer wieder an. Nach seinem Sieg brach Wanjiru im Ziel erschöpft zusammen. Dieser Marathon sollte sein letzter bleiben.

Der junge Kenianer ging auch im Leben über seine Grenzen hinaus. Mit fünfzehn Jahren zog er nach Japan, wo er ein Stipendium erhielt, einen Schulabschluss erwarb und, nachdem er zwei Mal den Weltrekord im Halbmarathon verbessert hatte (Bestzeit 58:33 Minuten), 2007 auch sein Debüt auf den 42,195 Kilometern gab. Für die Leiden in Training und Rennen belohnte er sich mit dem Genuss von Ruhm und Reichtum.

Zwei Mal gewann er die mit einer halben Million Dollar belohnte Majors-Serie. Mit seinen frechen Sprüchen, seinem Selbstbewusstsein und seinen Eskapaden wirkte er in der Szene der stillen Ausdauersportler wie ein Rockstar. Seine Antrittsgelder betrugen einige hunderttausend Dollar.

Sturz aus sechs Metern

Und er machte Schlagzeilen wie ein Star. Am Sonntagabend soll ihn nach Berichten aus Kenia seine Ehefrau Trizah Njeri mit einer Freundin im gemeinsamen Haus überrascht und im Schlafzimmer eingesperrt haben. Als sie aus dem Haus rannte, sprang Wanjiru vom Balkon in den Hof. Er zog sich bei dem sechs Meter tiefen Fall tödliche Kopfverletzungen zu. Während der Sprecher der kenianischen Polizei den Sturz als Selbstmord interpretierte, meinen andere, dass Wanjiru versucht haben soll, seine Frau am Weglaufen zu hindern.

Mit ihr hatte Wanjiru im Dezember eine so heftige Auseinandersetzung gehabt, dass sie die Polizei rief und ihn festnehmen ließ. Sie und ein privater Wachmann, den Wanjiru offenbar geschlagen hatte, erstatteten Anzeige, die sie später zurückzogen. Die Ehefrau widersprach Berichten von einer Versöhnung. Für den kommenden Montag war eine Gerichtsverhandlung angesetzt, in der sich der Läufer wegen illegalen Besitzes einer Kalaschnikow hätte verantworten sollen, mit der er im Streit herumgefuchtelt hatte.

Im Januar hatte Wanjiru einen schweren Autounfall. Er habe einem Lastwagen ausweichen müssen, erzählte er, nachdem sich sein schweres Geländefahrzeug mehrmals überschlagen hatte. Wegen einer Knieverletzung konnte er im April nicht beim London-Marathon starten.

Raila Odinga, der sportbegeisterte Ministerpräsident Kenias, sprach von einem Verlust „für die weltweite Sportgemeinschaft". Kenia habe für die Sommerspiele 2012 in London auf Wanjiru gehofft. „Sein Tod ist ein Schlag für unsere Träume."

 Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Montag, dem 16. Mai 2011

author: GRR

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