2007 New Balance Games The Armory, NYC, NY January 20th, 2007 Photo: Victah Sailer@Photo Run Victah1111@aol.com 631-741-1865
Thomas Steffens im neuen Buch „Helden für die Ewigkeit“ – Carlos Lopes – Olympiamarathon 1984 – Was lange währt, wird endlich gut.
Vor kurzem haben wir auf dieser Seite das neue Buch von Thomas Steffens & Jürg Wirz – "Helden für die Ewigkeit" aus dem Meyer & Meyer Sportverlag – Runner's World Edition vorgestellt. Dankenswerterweise können wir einen Beitrag von Thomas Steffens über Carlos Lopes hier wiedergeben.
Carlos Lopes galt lange als Läufer, der eher im Schatten anderer blieb als selbst zu glänzen, und – von wenigen Ausnahmen abgesehen – ein Abonnement auf Platz zwei, drei oder vier zu haben schien, wenn es um Meisterschaften und Titel ging. Zwar hatte er im Frühjahr 1976 die Cross-WM gewonnen und war einige Wochen später mit 27:42,65 Jahresweltbestzeit gelaufen, doch im 10.000-m-Olympia-Finale 1976 hatte er gegen den Finnen Lasse Viren keine Chance.
Lopes sprach kein Englisch, war bescheiden und hatte einen wunderbar runden Laufstil. Allein ihm fehlte die Endschnelligkeit, mit der man kurze bis mittellange Zielspurts gewinnt.
Bei den Olympischen Spielen von Los Angeles 1984 war Carlos Lopes bereits 37 Jahre alt und der mit Abstand Älteste beim Start des bis dahin bestbesetzten Olympiamarathons aller Zeiten. Nie zuvor hatte es einen Marathon gegeben, nicht nur bei Olympischen Spielen, bei dem so viele derart hochklassige Läufer mitliefen. Mit dabei waren der Weltrekordler Salazar, der Weltmeister DeCastella sowie die schnellsten Marathonläufer der letzten Jahre, Toshihiko Seko und die Soh-Brüder (alle Japan), Ikangaa und Shahanga (Tansania), Gomez (Mexiko), Dixon (Neuseeland), Jones (Großbritannien) und Nzau (Kenia) – alles Läufer, die entweder in den Top-Ten der weltschnellsten Marathonläufer waren bzw. in den vergangenen zwei Jahren große Marathons gewonnen hatten (oder beides).
Als es darum ging, im Vorfeld der Olympischen Spiele die Favoriten für die Entscheidung im Marathonlauf der Männer auszuloten, wurde Carlos Lopes im US-amerikanischen Fachblatt „The Runner" mit einer Quote von 8:1 an vierter Stelle gelistet hinter Robert DeCastella (2:1), Toshihiko Seko (4:1), Alberto Salazar (6:1) und Juma Ikangaa (6:1). Für ihn sprachen seine Qualitäten auf den langen Bahnstrecken – hier war er seinen Marathonkonkurrenten weit überlegen, war seit acht Jahren einer der besten 10.000-m-Läufer der Welt und hatte vor allem in den Jahren 1982, 1983 und 1984 seine Bestzeit auf dieser Strecke weiter verbessert.
Anfang Juli 1984, wenige Wochen vor dem Olympiamarathon, lief er beim Leichtathletik-Sportfest von Stockholm hinter seinem Clubkollegen Fernando Mamede, der einen Weltrekord über 10.000 m lief, nur wenige Sekunden langsamer – 27:17,48 (Mamede 27:13).
Im März hatte Lopes überlegen die Cross-WM in den USA gewonnen, sein zweiter WM-Titel im Gelände, und im Frühjahr 1983 beim Rotterdam-Marathon knapp den zweiten Platz belegt, erst im Zielspurt vom Australier DeCastella, seit 1981 neben dem Amerikaner Alberto Salazar der beste Marathonläufer der Welt mit seiner Bestzeit von 2:08:18 und Siegen in Fukuoka sowie bei den Commonwealth Games. Der Australier wurde wenige Monate nach seinem Sieg in Rotterdam bei den erstmals ausgetragenen Leichtathletik-Weltmeisterschaften in Helsinki Marathon-Weltmeister und galt seitdem als klarer Favorit für den Olympiasieg.
Gegen Lopes sprach weniger sein Alter, denn wer 27:18 läuft, hat alle Argumente auf seiner Seite. Eher sein bisheriges Abschneiden auf der Marathondistanz. Den ersten Marathonversuch hatte er 1982 in New York vorzeitig abgebrochen. Den zweiten, 1983, meisterte er zwar bravourös (siehe oben), doch im April 1984 beendete er den Rotterdam-Marathon vorzeitig. Zwei von drei Marathons nicht beendet – da blieben Zweifel.
Wie sollte einer, der zwar auf den Unterdistanzen (5.000 und 10.000 m) teilweise deutlich schneller war als seine Marathon-Konkurrenten, aber über wenig Marathonerfahrung verfügte, bei einem zu erwartenden Hitzerennen bestehen? Lopes bestritt seine langen Läufe in der Sommerhitze von Lissabon, auf der Straße nach Estoril. Drei Wochen vor dem Marathon war er dort von einem Auto angefahren worden und hatte Prellungen erlitten, deren Nachwirkungen er bis zum Olympiamarathon spürte.
Der Start war um 17 Uhr am 12. August, dem letzten Tag der Spiele, danach war die Schlussfeier angesetzt. Es war heiß, stickig und feucht – keine idealen Bedingungen für einen Marathon. Die Pace auf den ersten Kilometern war vorsichtig, sie lief auf eine Endzeit von 2:11 heraus. 10 km wurden in 31:15 passiert, 15 in 46:01, das Tempo hatte angezogen. Vorne bestimmten die Afrikaner das Tempo. Die letzten 5 km waren in 14:46 absolviert worden und die meisten Favoriten waren noch dabei.
Nach 30 km war eine Gruppe von 13 Läufern übrig, in der sich außer Salazar alle Favoriten befanden. Nach 35 km zog Lopes das Tempo an und sofort war das Feld gesprengt. Der 5-km-Abschnitt zwischen 35 und 40 m wurde mit 14:33 gestoppt. Einzig der Ire Treacy und der Engländer Spedding hielten noch eine Weile mit, nach 37 km war Lopes alleine. Sein Schritt war dynamisch und rund, Laufästhetik pur. Im Ziel hatte er über eine halbe Minute Vorsprung auf John Treacy, der Charlie Spedding im Schlussspurt besiegte. 2:09:21 bedeuteten Olympischen Rekord und die erste Olympische Leichtathletik-Goldmedaille für Portugal.
Im folgenden Jahr wurde Lopes in Lissabon zum dritten Mal Cross-Weltmeister und lief einige Wochen später in Rotterdam Marathon-Weltrekord – 2:07:11.
Finanziell hatte er ausgesorgt, alt genug war er sowieso, und so beendete er 1985 seine Karriere – mit 38 Jahren auf dem Höhepunkt seines sportlichen Schaffens. Allen, die ihn je haben laufen sehen, wird er in Erinnerung bleiben als der Läufer mit dem runden, ästhetischen Laufstil.
Zahlen und Fakten zu Carlos Lopes
Geboren: 18. Februar 1947 in Viseu, Portugal
Größe/Gewicht: 1,67 , 55 kg
Beruf: Privatier
Größte Erfolge
OS 1. Marathon 1984, 2. 10.000 m 1976
WM 1. Cross 1976, 1984, 1985, 2. Cross 1977, 1983, 6. 10.000 m 1983
WR 2:07:12 (1985)
OR 2:09:21 (1984)
Marathon
Rotterdam 1. 1985, 2. 1983
Persönliche Bestzeiten
1.500 m 3:44,3 (1974), 3.000 m 7:48,8 (1976), 5.000 m 13:16,38 (1984), 10.000 m 27:17,48 (1984), Marathon 2:07:12 (1985)
WM Weltmeisterschaften
WR Weltrekord
OR Olympischer Rekord
OS Olympische Spiele
Schwellentraining, der Schlüssel zum Erfolg
Carlos Lopes lief seine Dauerläufe in flottem Tempo. Man spricht dabei vom aerob-anaeroben Schwellenbereich, jenem Grenzbereich, wo sich Sauerstoffgleichgewicht und Sauerstoffschuld treffen. Anders ausgedrückt: der Tempobereich, bei dem die Muskulatur gerade noch genügend mit Sauerstoff versorgt wird. Läuft man einen Tick schneller, befindet man ich im anaeroben Bereich. Diesen Bereich bezeichnet man auch als „Laktatschwelle", denn läuft man schneller, bildet sich durch die mangelnde Sauerstoffversorgung Laktat (Salz der Milchsäure) im Blut, was die Muskulatur in ihrer Arbeit hemmt bzw. letztendlich jede Bewegung unmöglich macht.
Der Sportmediziner spricht von einer „Übersäuerung" der Muskulatur. Je höher die Laktatschwelle, desto höher ist das Lauftempo, das ohne Einschränkung möglich ist, und desto höher natürlich das Leistungsvermögen allgemein.
Mit „Schwellentempo" wird das Tempo bezeichnet, das knapp unterhalb dieser Schwelle liegt. Erfahrene Läufer können dieses Lauftempo gut bestimmen. Eine Faustregel: Die Atmung ist in diesem Tempobereich noch gleichmäßig möglich, es sind auch noch regelmäßig tiefere Atemzüge möglich, eine Unterhaltung ist aber nicht möglich. Mit zunehmender Leistungsverbesserung lässt sich die Laktatschwelle nach oben verschieben, d.h. man ist in der Lage, schneller zu laufen, bevor eine Muskelermüdung (Übersäuerung) eintritt.
Thomas Steffens