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20
01
2010

Der Berlin Marathon hat diesbezüglich neue Standards kreiert, die die internationale Konkurrenz mittlerweile kopiert oder übernommen hat. So wird Haile auch in Dubai von Athleten unterstützt, die in der Szene bestens ausgewiesen sind

Tempojagd in der Wüste – Unterbietet Haile Gebrselassie beim Standard Chartered Dubai Marathon am 22. Januar 2010 seinen eigenen Weltrekord? Helmut Winter berichtet

By GRR 0

Bereits zum dritten Mal kommt der Superstar der Marathonszene, Haile Gebrselassie, in die Vereinigten Arabischen Emirate, und zum dritten Mal hat er angekündigt, seinen eigenen Weltrekord aus dem Jahr 2008 von 2:03:59, erzielt auf der ausgewiesen schnellen Berliner Strecke, anzugreifen.

Wer Haile bei den bisherigen Läufen in Dubai, aber auch seinen anderen Auftritten in den letzten Jahren erlebt hat, der kann sich sicher sein, dass Haile seine Vorhaben sehr ernsthaft betreibt. Mittlerweile hat er stolze 27 Welt-Bestleistungen aufgestellt, viele davon aber auch wieder verloren. So war z.B. die Bilanz des letzten Jahres 2009 für ihn recht durchwachsen: Er verbesserte die Marke über 30 km während des letzten Berlin Marathons auf 1:27:49, hatte dafür aber früher im Jahr die 10 km Marke an Micah Kogo (KEN) abgeben müssen, der in Brunssum mit 27:01 eine Sekunde schneller war.

Nach tollen Bedingungen beim Berlin Marathon 2008, die er zu historischen 2:03:59 nutzte, musste Haile schmerzhaft erfahren, dass der Laufsport eine Freiluftveranstaltung ist, die essentiell – insbesondere beim Marathon – vom Wetter abhängt.

Und dieses war 2009 nicht auf seiner Seite: In Dubai, Rotterdam, Hengelo, Manchester und Berlin scheiterten seine Vorhaben an Regen, Wind oder Wärme. Deshalb wäre es eine gewisse „Wiedergutmachung“ der Natur, wenn Haile am kommenden Freitag auf der Rennstrecke am Arabischen Golf jene Bedingungen vorfindet, die auch viele Bewunderer des überaus sympathischen Äthiopiers dem Rekordläufer wünschen.

Fast alles haben die Veranstalter in den letzten Jahren möglich gemacht, um den Rekord ins Emirat zu holen. Dass das Unterbieten des aktuellen Rekords mittlerweile gewaltige Anstrengungen erfordert, dass haben nicht nur Haile selbst sondern auch seine schärfsten Kontrahenten erfahren müssen, insbesondere Jungstar Sammy Wanjiru (KEN), der bei seinen Rekordjagden in London sowie Chicago am Ende deutlich scheiterte.

Um in die Nähe von 2:04 oder sogar zu einem neuen Rekord zu laufen, muss in der Tat so gut wie alles stimmen, abgesehen vom sonstigen Aufwand, der mittlerweile in das Regime logistischer und taktischer Meisterleistungen entrückt ist. Aus einem unterstützenden Mitläufer, despektierlich auch als „Hase“ bezeichnet, ist mittlerweile ein ganzes Rudel von Pacemakern geworden, die selbst Weltklasseläufer sein müssen, in ihrem Job des Gleichlaufs wahre Meister sind und möglichst lange – aber nicht bis in Zielnähe – den Meister unterstützen.

Der Berlin Marathon hat diesbezüglich neue Standards kreiert, die die internationale Konkurrenz mittlerweile kopiert oder übernommen hat. So wird Haile auch in Dubai von Athleten unterstützt, die in der Szene bestens ausgewiesen sind. An ihnen wird es – wie schon in den beiden Jahren zuvor – kaum liegen, wenn das Soll am Ende nicht erfüllt werden kann.

Wahrlich Rekordwerte erreicht der mehrmals optimierte Kurs in Dubai in seinen Höhendifferenzen. Von 3 Fuß geht es auf maximal 21 Fuß Höhe, das ist eine Höhendifferenz von nur 5,5 Metern, Chicago hat schon den doppelten Wert, in Berlin muss man mehr als fünfmal soviel klettern und wieder herab laufen. Und in Boston hat man beim Start in Hopkinton schon nach wenigen 100 m diese Höhe durcheilt.

Da sich bei Hailes erstem Auftritt 2008 der Wind am Ende als einer der größten Widersacher herausstellte und zum Scheitern des Rekordversuchs beitrug, hatte man bereits im letzten Jahr die Strecke kurzerhand umgedreht, und den Start wegen der Sonneneinstrahlung und des damit einhergehenden Auffrischen des Windes auf 6:30 Uhr vorverlegt. Am Start herrschen somit Verhältnisse, die stark an den Honolulu Marathon erinnern. Erst eine gute halbe Stunde nach dem Start kommt das Licht und dann die Sonne.

Doch im letzten Jahr spielte die Natur nicht mit und schickte – eine Rarität zu dieser Jahreszeit in dieser Region – dicke Wolken, die sich am Anfang und vor allem zu Ende von Hailes Rekordjagd störend in das Unterfangen einmischten und strömenden Regen entließen, der alle Ambitionen auf den Rekord vereitelten. Nach den aktuellen Wettervorhersagen ändert sich das Wetter für Freitag noch täglich, aber die Temperatur stabilisiert sich auf den noch zu akzeptierenden Wert von 17°C (lt. Aussage von Haile), und der Wind findet immer mehr die gewünschte Nord- bis Ostrichtung für Hailes Sololauf im Schlussteil.

Dass die Strecke noch eine Wende und zwei Kurven hat, ist vermutlich eine positive Abwechslung auf dem Retortenkurs. Der Straßenbelag der durchweg neuen Straßen ist in der Tat traumhaft, dagegen hat selbst Berlin eine „Holperstrecke“. Auch die im letzten Jahr viel bestaunte Anzeige-Wand wird wieder vor Haile und den Pacemakern herfahren und die Splits und vor allem die Projektionen bis zum Halbmarathon bzw. später zum Marathonziel zeigen.

Die Premiere 2009 war beeindruckend, 1:01:45 war die Vorgabe für die Halbdistanz, die Wand, Haile und seine Pacemaker passierten die Marke in genau dieser Zeit.

Und was gibt es neben Haile? Nicht ganz unzutreffend deutete der Race-Director von London, Dave Bedford, das Risiko an, welches jeder Veranstalter durch den Fokus auf einen Superstar wie Haile eingeht. Wie Trier zu Silvester zeigte, ist Haile in bester Form. Wünschen wir, dass Haile auch in bester Gesundheit nach Dubai anreist.

Haile ist in der Tat ein Ausnahmekönner und wird nicht nur in Dubai als Topstar kaum zu ersetzen sein. Er wird sicher wieder alles geben, was sein Körper hergibt, insb. wenn der Rekord greifbar wird. Was am Ende dabei herauskommt, darauf wartet eine große Schar von Anhängern der internationalen Laufszene. An seinem Sieg gibt es wenig Zweifel, auch die Jahresweltbestzeit vom Sonntag aus Houston mit 2:07:37 wird wohl fallen. Hinsichtlich eines Weltrekords wird es mit den Prognosen schon schwieriger, zu gut sind die 2:03:59.

Es muss in der Tat so gut wie alles passen. Somit stehen die Chancen für einen Rekord bei vielleicht 30 %. Aber insbesondere dann, wenn man Haile schon fast abgeschrieben hatte (nach seinem Leistungseinbruch in Amsterdam oder nach seinem Ausstieg in London vor etlichen Jahren), da zeigte der Meister, was für ein schier unglaubliches Potential immer wieder in seinen Beinen steckt. Als Mensch, Unternehmer und Entertainer ist er sowieso schon ein Gigant, der kaum den Vergleich mit anderen Persönlichkeiten zu scheuen braucht.

Ein Blick auf die Zwischenzeiten der beiden letzten Jahre im Vergleich zu Hailes erstem Marathonweltrekord in Berlin (2:04:26, 2007) ist durchaus aufschlussreich. Im Vergleich dazu der Rennverlauf beim aktuellen Weltrekord von 2:03:59, für den die Grafik (blaue Kurve) ein nahezu perfektes Timing ausweist. In Dubai 2008 war Haile am Anfang bei idealen Bedingungen sehr schnell, dann kamen der Wind, die Sonne und schwindende Kräfte. 2:04:53 waren trotzdem großartig.

Im letzten Jahr war das Timing schon realistischer (rote Kurve), dann kam vor allem auch der Regen. Bis
jenseits der 30 km war Haile in beiden Jahren auf Rekordkurs. Dass es auch dieses Jahr am Anfang zügig losgeht, ist sicher. Die Frage ist eher, ob es Haile zum ersten Mal in Dubai gelingt, die am Ende stark abfallende Kurve nach oben zu biegen. Dann – auch das zeigt die Grafik – geht es in Richtung Weltrekord.
 

Grafik

 

 
Zwischenzeiten bezogen auf den WR vom 30:9.2007 (2:04:26) der Läufe von Haile in Dubai 2008 (schwarz), Berlin 2008 (WR, blau), Dubai 2009 (rot).

Und die Konkurrenz? Das ist ein Problem, wenn Haile an den Start geht. Auch in Dubai. Bei exorbitant hohen Preisgeldern („world richest marathon“) von 250.000 USD für den/die Sieger/in und noch 10.000 USD für Platz 10 würde man vermutlich ein Elitefeld an den Start bringen können, das in die Dimensionen von London
vordringen könnte.

Aktuell bleiben die Startlisten der Elite auf der Homepage unausgefüllt, und die bisher angekündigten Konkurrenten dürften auch nicht in Ansätzen in der Lage sein, Hailes Höllentempo über eine längere Zeit mitgehen zu können.

Sammy Korir – mittlerweile 39 – wird zwar immer noch an seinem tollen Lauf gegen Tergat im Jahr 2003 gemessen, aber das ist Geschichte. Vor zwei Jahren hatte er in Dubai anfangs versucht, bei Haile in der Kopfgruppe zu bleiben, dann waren seine Kräfte aber erschöpft; mit 2:08 erreicht er noch sehr ansehnlich das Ziel. Mittlerweile ist aber auch er älter geworden, sein letzter Auftritt in Tokyo vor einem Jahr war nur noch Mittelmaß. Ob seine Landleute Joshua Chelenga oder Daniel Yego Haile herausfordern können, ist gleichfalls kaum zu erwarten. Chelenga lief in Berlin 2004 2:07:05, Yego seine Bestzeit in Rom mit 2:08:16. Auch Haile Landsleute Chele Dechasa (2:08:31) und Tesfaye Tola (2:06:57) haben nur Aussichten auf die Plätze.

Auf das vollständige Feld der Männerelite wird man noch bis zur Pressekonferenz am Mittwoch warten müssen. Momentan sind 12 Männer mit Bestzeiten unter 2:10 gemeldet. Gibt es vielleicht noch eine Überraschung?

Bei den Frauen ist das Feld wesentlich ausgeglichener, die Siegerinnen der letzten Jahre sind wieder am Start. Die Vorjahressiegerin Bezunesh Bekele (2:24:07) trifft auf Askale Tafa Margasa (2:21:31) und auf Birhane Adere (2:20:42). Dazu kommt noch Helena Kirop (KEN), die auch schon im letzten Jahr dabei war und Dritte in 2:25:35 wurde. Bei den Frauen wurde ein Tempolauf in Richtung 2:20 angekündigt. Das wäre in der Tat sehr beachtlich.

Mit dem gewaltigen Turm Bur Khalifa hat Dubai Anfang Januar mit 828 m Höhe einen Weltrekord aufgestellt. Zur Frühstückszeit am 22. Januar 2010 wird man in Deutschland erfahren können, ob eine weitere Bestmarke ins Emirat wandert.

Alles ist möglich im Emirat, der Optimismus und Tatendrang nach wie vor ungebremst. Wasden Marathon anbetrifft, gibt Haile am Freitag eine Antwort.

Helmut Winter

 

author: GRR

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