Plakat “Keep in touch with your office” um 1950 - Mit der zunehmenden Verbreitung des Telefons wächst auch die Erwartung erreichbar zu sein. ©Museumsstiftung Post und Telekommunikation
„TEMPO TEMPO! Im Wettlauf mit der Zeit“ zeigt 250 Exponate – Eine neue Berliner Ausstellung bietet Spurensuche zum Sport
Im Museum für Kommunikation in Berlin ist noch bis zum 1. September 2013 eine gediegene Ausstellung mit dem Titel „TEMPO TEMPO! Im Wettlauf mit der Zeit" zu sehen. Wer allein angesichts dieses temporeichen Titels die durchaus nahe liegende Vermutung hat, dass dort auch „irgendwas mit Sport" zu sehen ist, der liegt zum einen richtig und wird zum anderen intensiv fündig – je nachdem, wie und wo er seine eigenen Zeitressourcen beim Rundgang (bitte nicht „Rundlauf"!) durch die 500 Quadratmeter Ausstellungsfläche im zweiten Obergeschoß des 1898 errichteten Hauses an der Leipziger Straße 16 in Berlin-Mitte einsetzt.
Hier führen uns insgesamt 250 (!) Exponate vor Augen, wie sich unser Zeitbewusstsein und unsere Zeitordnungen von der Frühen Neuzeit bis heute gewandelt haben.
Die Ausstellung ist in drei Themenbereiche gegliedert – überall spielt Beschleunigung eine wesentliche Rolle: Beim „Immer schneller" geht es u. a. anfangs darum, die Zeitdauer zur Übermittlung von Nachrichten zu verkürzen. Mit der Erfindung der Eisenbahn kam es zu einer Beschleunigungsrevolution, da hatte der herkömmliche Botenläufer schon längst ausgedient.
Bei „Zeit ist Geld" wird die Verbindung von Zeit als Wirtschaftsfaktor nachgezeichnet: Wer schnell ist, ist gut, weil er einen Wettbewerbsvorteil hat. Heutzutage sind wir alle zu Zeitmanagern geworden. Im dritten Themenblock („Always on") geht es um die elektronische Beleuchtung, die uns medial frei Haus geliefert wird und mit der die Grenzen von Tag und Nacht aufgelöst werden … nur um welchen Preis?
Die Ausstellung zeigt auch die andere Seite der Medaille. Sie spiegelt am Ende zunehmend das Prinzip Beschleunigung mit Entschleunigung, kontrastiert technischen Fortschritt mit sozial-ökologischen Nebenfolgen und mündet schließlich ein in Wellness und Work-Life-Balance, die schon für sich allein „zeitlose" Anschlüsse an ein Leben mit regelmäßiger körperlicher Aktivität als Ausgleich zum streesigen Alltag anbieten.
Titelseiten von diversen Magazinen verheißen „Einfach besser leben" oder „Anleitung für ein besseres Leben". Auch mit Sport? Doch erst mal der Reihe nach:
Sport ist Bindung an Raum und Zeit. Wer das Spielfeld des Sports betritt, entrückt dem sonstigen Leben und öffnet ein neues Zeitfenster für einen Erlebnisraum, den es anderswo so nicht gibt. In sportlichen Wettkämpfen wird Zeit völlig neu definiert – sei es durch die vorab einvernehmlich begrenzte Spielzeit (das „time-out" lässt beizeiten grüßen!) oder sei es durch das Format eines Wettbewerbs, der beispielsweise alle Akteure dadurch vereint, dass sie antreten, um eine festgelegte Distanz mit möglichst minimalem Zeitaufwand zurückzulegen:
Die Weltrekordentwicklung im 200-m-Lauf der Männer und Frauen führt uns dieses Prinzip beim Rundgang durch die Ausstellung exemplarisch vor Augen:
Zeitminimierung als sportliche Herausforderung wird hier zeithistorisch belegt und dokumentiert zugleich die dynamische Fortschreibung bis in die Gegenwart. Den ersten Weltrekord über 200-m lief der für den SC Charlottenburg startende Helmut Körnig (21,0 sec) am 26. August 1928 in Bochum, den vorläufig letzten der Jamaikaner Usain Boldt (19,9 sec) am 20. August 2009 in Berlin.
Mit Marita Koch, Heike Drechsler und Renate Stecher sind bei den Frauen drei deutsche Namen mit insgesamt acht Rekorden auf der Zeittafel verzeichnet. In der Vitrine daneben liegt sogar die Weltrekordplakette der IAAF von Heike Drechsler für ihren Rekord (21,71 sec), den sie 1986 zuerst in Jena und dann im gleichen Jahr nochmals in Stuttgart lief.
Solche Rekorde können wir uns nur leisten, weil wir (das klingt banal!) die Zeit festhalten können – damals u. a. mit einer Stoppuhr (die mit den drei Knöpfen) vom Hersteller Hanhart sowie akustisch und optisch markiert mit einer Startpistole und einer Zielkamera als weitere Utensilien, die für die Ausstellung allesamt vom Deutschen Uhrenmuseum in Feuchtwangen zur Verfügung gestellt wurden.
Die Ausstellung im Museum für Kommunikation bildet Formen der (sportlichen) Beschleunigung aber auch noch auf ganz andere Weise ab: Wir finden ein Foto, das Bernd Rosemeyer zeigt, der 1937 als erster Rennfahrer die 400-km-Marke durchbricht und ein Jahr später bei einem erneuten Rekordversuch auf der Autobahn Frankfurt – Darmstadt tödlich verunglückt: tragische Tempoüberschreitung!
Die Karikatur über „60 Jahre Motorsport" mit immer flotteren Fahrzeugen prophezeit das Ende dieses Sports mit einem Sarg für das Jahr 1970 … aber den „Ferrari" finden wir dennoch als Logo projiziert an einer weißen Wand vereint mit anderen bekannten Marken aus dem Sport, die Schnelligkeit und Dynamik verheißen wie „Puma" und „speedo" … und dann ist da noch das Equipment des Teams Telekom aus dem Jahr 2000: der Zeitfahrerhelm, die (sicher erlaubten!) Energy-Gels der Marke „Highs" mit dem Getränkepulver gleich dazu und ein Radrennfahrer-Trikot, von dem man so gern gewusst hätte, ob es jemals jemand beim Zeitfahren oder anderswo getragen hat und wenn ja, wer?
Der Rausch der Geschwindigkeit ist das eine, was die Ausstellung vermittelt. Das andere ist die Reflexion über diese Geschwindigkeiten, die in all unseren Lebensbereichen vorzufinden sind und zeitraubend expandieren. Im „Zeit-Geist" sind beide Seiten vereint, und wir müssen uns selbst fragen, ob wir wirklich immer und überall in diesen unendlich großen Pool an Informationen und Wissensbeständen via Internet und Mobiltelefon mitschwimmen müssen oder ob wir uns nicht doch besser mal wieder mehr Zeit im vorübergehenden „off-Modus" gönnen sollten.
Die Ausstellungsmacher stellen den Besuchern diese Frage ganz konkret am Ausgang: „Wofür hätten Sie gern mehr Zeit?".
Als eine Antwort dazu ist im Gästebuch handschriftlich schon wenige Tage nach Ausstellungseröffnung zu lesen: „Sport!"
Mehr zu der Ausstellung und zum Museum unter www.mfk-berlin.de
Prof. Detlef Kuhlmann