Tegla Loroupe läuft 1999 neuen Weltrekord in Berlin ©Victah Sailer
Tegla Loroupe: Laufschuhe statt Kalaschnikows – Michael Reinsch, Kapenguria, in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung
Mit Räubern und Kriegstreibern nimmt es diese zierliche Frau von 1,55 Meter Größe auf, auch mit rückwärtsgewandter Politik und menschenverachtender Tradition, mit Korruption und Dummheit. Die drei Weltmeisterschaften im Halbmarathon, die sie gewann, die zwei Weltrekorde im Marathon, die sie aufstellte, ihre Siege in New York und London, in Berlin und Boston, in Rotterdam, Rom und Hongkong erscheinen nur als Aufwärmübungen in Kraft und Zähigkeit, wenn man sieht, was diese Frau, gegen viele Widerstände, so alles stemmt.
Am 3. Januar hat Tegla Loroupe in ihrem Heimatort Kapenguria in der kenianischen Provinz West Pokot, vierzig Kilometer von der Grenze zu Uganda entfernt, eine Schule eröffnet. Das allein wäre schon so etwas wie ein Wunder, doch die „Peace and Leadership School“ soll nicht nur den üblichen Bildungskanon vermitteln. Sie soll Mädchen auch Schutz bieten vor Missbrauch, Zwangsheirat und Genitalverstümmelung, was im ländlichen Afrika noch immer üblich ist.
Sie soll Kinder und Jugendliche auffangen, denen bewaffneter Viehdiebstahl, Stammesfehden, Krieg, Hunger und Aids die Eltern genommen haben. Und sie soll Sprungbrett sein für eine sportliche Karriere, wie sie Tegla Loroupe selbst nutzen konnte, um sich frei zu machen von den Fesseln einer archaischen Gesellschaft. Leider hat ihr deutscher Manager sie im Laufe dieser Karriere ins Dickicht des deutschen Steuerrechts geführt – das Finanzamt ist ihr deshalb bis heute auf den Fersen.
Das riesige Gebäude in ihrem Heimatort Kapenguria an einem malerischen Berghang in 2700 Meter Höhe beherbergt knapp dreihundert Schul- und Vorschulkinder. Schlafhäuser und Stadion sind geplant, Speisesaal und Sporthalle für mehr als tausend Kinder sowie Felder und Viehweiden für deren Versorgung.
Das Projekt belegt die Kraft des Sports; sein Fundament sind die Läufe von Tegla Loroupe.
Vor 39 Jahren geboren in die Familie eines Patriarchen, der mit fünf Frauen 26 Kinder zeugte, warf Tegla Loroupe im Laufschritt die Fesseln der Stammesgesellschaft ab. „Durch Sport habe ich meinen Kopf freibekommen“, sagt sie. „Durch Sport bin ich hier rausgekommen und konnte viel Geld zurückbringen und meiner Familie helfen. Durch Sport habe ich Freunde gefunden auf der ganzen Welt.“
Mehr als 200.000 Euro hat der Bau der Schule gekostet
Sie deutet auf das Gebäude. „Ohne Sport gäbe es dies alles hier nicht.“ Die Tegla Loroupe Friedensstiftung veranstaltet Läufe im Norden Kenias und am Horn von Afrika. Diebesbanden und Krieger, Söldner und Kindersoldaten sollen erleben, dass Laufschuhe eine bessere Lebensgrundlage sind als Kalaschnikows. Der kenianische Präsident Mwai Kibaki hat Tegla Loroupe dafür den Ehrendoktortitel verliehen.
Die Vereinten Nationen haben sie zu ihrer Botschafterin gemacht. Das Internationale Olympische Komitee hat sie ebenfalls ausgezeichnet. Im Wohnzimmer des Hauses, das sie mit ihrer Mutter, den Waisen ihrer verstorbenen Schwester und weiteren Adoptivkindern teilt, stehen Fotos, die sie mit dem amerikanischen Präsidenten Barack Obama zeigen sowie mit dem Schauspieler und Afrika-Aktivisten George Clooney.
Der Sportplatz als Mittelpunkt: Ein Modell zeigt, wie das Areal einmal aussehen soll
Vom Geld der Läuferin hat die Stiftung Grundstücke erworben und einen Großteil der Baukosten von mehr als 200 000 Euro getragen. „Dies ist keine normale Schule“, sagt Tegla Loroupe. „Die Kinder kommen aus verschiedenen kriegführenden Gemeinschaften. Sie lernen zusammen, sie treiben gemeinsam Sport. Dadurch verstehen sie, dass sie alle gleich sind. Das lehren sie dann auch ihre Eltern.“
Eigentlich sollte es Tegla Loroupe leichtfallen, zu erzählen, wie aus sportlicher Konkurrenz internationale Solidarität, wie aus einem Funken Hoffnung eine Perspektive entstanden ist. Doch plötzlich stockt die Kämpferin. „Es ist schlimm, dass die deutsche Regierung mir so viel Geld weggenommen hat“, klagt sie. „289.000 Euro.“ Als Kinder jüngst an einer Detmolder Schule Geld für Kapenguria sammelten, erzählt sie, „kam ein Mann und verlangte das Geld für die deutsche Steuer. Vor allen Kindern. Ich habe mich so geschämt.“
Dreihundert Schul- und Vorschulkinder beherbergt die Einrichtung von Tegla Loroupe
Forderungen von einer Million Euro bestünden gegen Tegla Loroupe, sagt ihr Manager Volker Wagner am Telefon; durch Verzugszinsen dürften sie sich auf zwei Millionen verdoppelt haben. Zwar schimpft er am Telefon, „Neid und Missgunst“ bestimmten das Verhalten des Finanzamtes, der deutsche Staat habe die Läuferin bestohlen. Doch offenbar war er mit den Grundlagen von Buchhaltung und Steuererklärung überfordert. Seiner Klientin konnte nachgewiesen werden, dass sie ihren ständigen Wohnsitz bei ihm in Detmold und deshalb ihr gesamtes, weltweit erzieltes Einkommen dort zu versteuern habe.
Prämien und Preisgelder des Berlin-Marathon 2001 sowie weiterer Läufe in Köln und in Leipzig wurden gepfändet. Einen Prozess vor dem Finanzgericht Münster verlor Tegla Loroupe 2007. „Als Laie, der im Grunde keine Ahnung hat, hat man da ein Manko“, sagt der ehemalige Lehrer Wagner über seine Auseinandersetzung mit dem Fiskus. Als er Tegla Loroupe nicht mehr allein vertreten konnte, verpflichtete er, wie er sich erinnert, „einen Spitzenanwalt“. Der aber hatte keine Zeit, als die Läuferin zur Gerichtsverhandlung aus Kenia einflog.
„Durch den Sport habe ich den Kopf freibekommen“: Tegla Loroupe
Das Finanzamt Detmold äußert sich nicht zum Fall Loroupe; ob der Läuferin weiterhin Pfändung oder ob ihr gar Haft droht, ob sie überhaupt Spenden für ihre gemeinnützige Stiftung in Empfang nehmen darf – Steuergeheimnis, heißt es dazu, das sei nichts für die Öffentlichkeit. Wagner macht kein Geheimnis daraus, dass er auch mit den eigenen Finanzen gescheitert ist und Privatinsolvenz angemeldet hat. Das hindert ihn allerdings nicht, weiterhin kenianische Athleten zu vertreten.
Seit einem Vierteljahr bekommen Kinder Unterricht an der Schule von Tegla Loroupe in Kapenguria. Freunde aus Bitterfeld wollen Solaranlagen anbringen, um den Gebrauch von Lampen, Wasserpumpe und Computern zu ermöglichen. Aus Italien kam Geld für den Bau der Küche. Wie weit wäre das Projekt wohl ohne die Schwierigkeiten, die der Manager Tegla Loroupe eingebrockt hat?
Michael Reinsch, Kapenguria, in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Montag, dem 9. April 2012