Wettbewerb ist der Motor zu (noch) besseren Leistungen, auch bei Organisatoren.
Swiss Athletics – News – Man zelebriert ein Fest“ – Heinz Schild im Interview
Heinz Schild gilt als bester Kenner der Laufszene Schweiz. Im Exklusiv-Interview mit swiss-running.ch gibt er spannende Fakten, Trends und Zahlen weiter.
Heinz Schild, Du hast für einen Beitrag im aktuellen Swiss Athletics Magazin die Finisherzahlen von mehr als 200 grossen Schweizer Lauf- und Nord Walking-Veranstaltungen im 2010 ausgewertet. Was war der Antrieb für diese aufwändige Recherchierarbeit?
Nur wenn wir über seriöse statistische Daten verfügen, können wir eine Entwicklung überblicken. Ich habe vor Jahren die zehn, zwanzig grössten Läufe der Schweiz aus Eigeninteresse analysiert und dann plötzlich Hunger bekommen die Finisher-Zahlen aller Veranstaltungen mit über 1000, und seit letztem Jahr bis hinunter zu 400 Klassierten zu ermitteln. Nun verfügen wir über Zahlenreihen, welche bis in die Anfänge der Jogging-Bewegung reichen.
So erhalten wir Grundlagen nicht nur für die Veranstalter, sondern ebenso für Sponsoren, Medien und Behörden. Hier geht es aber nicht nur um Reputation und Prestige. Gesundheitspolitisch sind diese Werte weit wichtiger als die Zuschauerzahlen im Schausport.
Gemäss Deinen Auswertungen war 2010 für die Schweizer Laufszene auf allen Stufen ein neues Rekordjahr – so wurde etwa bei den 234 Anlässen mit mindestens 400 Klassierten ein Gesamttotal vom 402 613 Finishern erreicht. Hat Dich das gesamthaft positive Resultat überrascht?
Bei diesen 400‘000 Finishern sind auch Mehrfach-StarterInnen enthalten. Dennoch: Im internationalen Vergleich sind das Spitzenwerte. Das hat mich im Rückblick auf 2010 deshalb nicht erstaunt, weil wir seit Beginn des Lauf-Booms, also seit etwas mehr als dreissig Jahren, eine fast kontinuierliche Steigerung feststellen können. Dennoch überrascht mich das Ausmass des erneuten Wachstums: Es ist wiederum ein Aufschwung auf sehr hohem Niveau!
Es gibt im Einzelnen auch Verlierer. Die grössten Verluste musste ein Walking-Event hinnehmen. Zufall oder ist die Walkingszene allgemein im Rückgang?
Man muss differenzieren. Meines Erachtens eignen sich Walking und Nordic Walking nur bedingt als Wettkampf-Sport. Deshalb verzichten viele Veranstalter auf ein Klassement. Fünf der neun erfassten „reinen“ Walking-Events haben 2010 gegenüber 2009 höhere Teilnahmewerte erzielt. Nimmt man aber die jeweiligen Spitzenwerte als Massstab, so zählte der Leader im Veranstaltungszyklus, das Swiss Walking Event in Solothurn, 2005 erstaunliche 6705 Finisher aber 2010 „nur“ noch 4131 (-39 Prozent), Helsana Walking Romandie -35 Prozent, Swiss Snow Walking Event Arosa -53 Prozent.
Kleinere Veranstaltungen haben aber zugelegt. Als Beispiel der Hinterländer Walking Event. 2009: 756 Finisher, 2010: 1330 (+76 Prozent). Als Massstab einer Bewegung lassen in diesem Fall Finisher-Zahlen keine Rückschlüsse zu. Nordic Walking boomt! Es ist die ideale Sportart für Wiedereinsteiger, für junge und ältere Menschen, welche sich bewegen und etwas für ihre Fitness tun wollen. Zudem entdecken mehr und mehr auch LäuferInnen die Stöcke als ideales Sportgerät in den Bergen.
Die drei grössten Schweizer Laufveranstaltungen (GP Bern, Escalade Genf, 20 km de Lausanne) sind 2010 weiter gewachsen. Was können andere Veranstalter von diesen Top-Events lernen?
Auch viele andere Veranstalter arbeiten mit Herzblut und Engagement. Bei den Big-Three kommt eine enge Partnerschaft mit den Behörden hinzu. Es stehen in erster Linie MacherInnen am Drücker, welche auch LäuferInnen sind und deshalb auf die Bedürfnisse der Teilnehmenden besonders Rücksicht nehmen. Nicht unwichtig: Man organisiert nicht allein eine Lauf-Veranstaltung, sondern zelebriert ein Fest, inszeniert ein Erlebnis.
Die Ambiance einer Veranstaltung spricht sich ebenso schnell herum wie die Qualität der Organisation. Diese beinhaltet die Summe unzähliger, vermeintlicher Details. So ist es Genf in bemerkenswerter Weise gelungen, die Escalade in eine Gesundheits-Prävention des ganzen Kantons einzubauen und damit auch sportfernere Kreise ebenso wie Schulbehörden als Partner zu gewinnen. Beim Grand-Prix in Bern zählt zweifellos die abwechslungsreiche Streckenführung, der Parcours durch das UNESCO-Weltkulturerbe, zu einem wichtigen Trumpf.
Die Stimmung an der Strecke mit Zehntausenden von Zuschauern und die Möglichkeit, dass auch die Letzen der über 20‘000 Finisher noch warme Duschen vorfinden, prägen den Anlass mit. Lausanne schliesslich wartet mit dem Charme der Romandie auf und mit unkonventionellen Ideen: Clowns, Akrobaten und Jongleure der Zirkusschule mischen sich am Start und auch unterwegs unter die Teilnehmenden. Viel Spielraum für neue Impulse.
In Deinem Beitrag für das Swiss Athletics Magazin empfiehlst Du die Einführung von Qualitäts-Labels für Veranstaltungen nach amerikanischem Vorbild. Was soll uns das bringen?
Wettbewerb ist der Motor zu (noch) besseren Leistungen, auch bei Organisatoren. Was kriege ich als Gegenwert für mein Startgeld? Das betrifft nicht nur die Auszeichnungen, sondern umfasst harte und weiche Faktoren: Organisationsgrad mit elementaren Dingen wie Internet-Auftritt, Garderoben/Duschen, Service/ Verpflegung, Attraktivität der Strecke, Ambiente/Zuschauer, bei Marathons auch Schnelligkeit der Strecke usw. Bei einem Rating in den USA wurde der Chicago Marathon mit Höchstnoten bedacht. Ich habe mich letzten Herbst an Ort und Stelle überzeugen wollen und war beeindruckt.
Der Bremgarter Reusslauf vom 26. Februar gilt vielenorts als Start in die neue Runningsaison. Erwartest du für 2011 weitere Rekordzahlen in der Laufszene Schweiz?
Es wird nicht leicht sein, die Zahlen von 2010 zu steigern. Irgendwann wird die Stagnation kommen. Das würde aber keineswegs nur Rückschritt bedeuten, sondern Konsolidierung auf hohem Niveau. Zwei grosse Events feiern in diesem Jahr 30-Jahr-Jubiläen, Grand-Prix von Bern und 20 km de Lausanne. In beiden Städten dürfte es zu neuen Rekorden kommen (dafür 2012 zu einem „Rückschritt“). Die Gross-Veranstaltungen bilden die Motoren der Szene.
Entscheidend ist aber die Vielzahl mittlerer und kleinerer Veranstaltungen. Sie sind buchstäblich die „Saugnäpfe“ der Bewegung in den Dörfern und Städten. Viele Organisatoren engagieren sich hier mit Herzblut für ihren Lauf und sorgen so für Nachwuchs oder bieten Einsteigern willkommene Chancen. Zudem gibt es nicht wenige Läuferinnen und Läufer, welche sich genau solche sympathischen Events in der Region als ideale Wettkampf-Möglichkeit der kurzen Wege aussuchen.
Zur Person
Heinz Schild ist der Doyen und Pionier der Schweizer Laufszene. Der ehemalige Entdecker und Förderer von Markus Ryffel hat bereits 1978 das erste Laufbuch der Schweiz geschrieben („Jogging in der Schweiz“) und mit dem GP Bern und dem Jungfrau Marathon zwei der wichtigsten Schweizer Laufevents gegründet.
Mit seinen Laufferien (laufferien.ch) feiert er 2011 das 30-jährige Jubiläum. Der 69-jährige Heinz Schild war Journalist und Redaktor bei Schweizer Radio DRS und ist Ehrenmitglied von Swiss Athletics.
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