Anscheinend wird mangels Alternativen einfach weitergemacht, als sei nichts gewesen. Das ist in Großbritannien ganz anders. Dort wurde der Leistungssportdirektor Dave Collins rausgeschmissen, obwohl die Briten in Peking vier Medaillen gewonnen haben
STARTSCHUSS – Der Kommentar: Mit voller Kraft für die Athleten – Christian Ermert in „leichtathletik“
In nicht einmal mehr einem Jahr beginnen die Weltmeisterschaften in Berlin und die deutsche Leichtathletik entfernt sich auf vielen Ebenen immer weiter vom Weltniveau. Dieser Eindruck drängt sich wenige Tage vor dem Weltfinale in Stuttgart einfach auf. Nach den medaillenlosen Hallenweltmeisterschaften in Valencia, dem schwachen Abschneiden beim Europacup in Annecy und nur einer Bronzemedaille bei Olympia war es ganz allein Hochspringerin Ariane Friedrich, die beim Golden-League-Finale in Brüssel mit ihrem Sieg über Blanka Vlasic glänzte.
Die übrigen fünf deutschen Starter fielen nicht weiter auf. Nach dem Weltfinale am Wochenende wird die Laufbahn aus dem Stuttgarter Stadion gerissen, der Saisonabschluss zieht ins griechische Thessaloniki. Wirklich gewehrt haben sich Deutschlands Leichtathleten dagegen nicht.
Noch in Peking feuerte DLV-Cheftrainer Jürgen Mallow Breitseiten gegen seinen Ehrenpräsidenten Professor Helmut Digel („Dummschwätzer“) und den Deutschen Olympischen Sportbund und das Innenministerium („arrogant und hochnäsig“) ab. Das gefiel zwar DLV-Präsident Clemens Prokop nicht, hat aber bis heute nicht zu großen öffentlichen Diskussionen geschweige denn zu Konsequenzen geführt.
Anscheinend wird mangels Alternativen einfach weitergemacht, als sei nichts gewesen. Das ist in Großbritannien ganz anders. Dort wurde der Leistungssportdirektor Dave Collins rausgeschmissen, obwohl die Briten in Peking vier Medaillen gewonnen haben. Argument: Die höhere Zielsetzung wurde verpasst. Kaum war diese Nachricht offiziell, brachten sich auf der Insel schon bekannte Ex-Athleten für die Nachfolge in Position. Sprint-Olympiasieger Linford Christie – obwohl von Doping-Affären belastet – bewirbt sich via Öffentlichkeit um mehr Einfluss auf die Insel-Leichtathletik und auch Steve Ovett, 800-Meter-Olympisieger von 1980, hat schon den Finger gehoben.
Bei uns dagegen hofft man noch, mit der Führungsriege, die 2004 nach den erfolglosen Spielen in Athen angetreten war, die Kurve zu einer erfolgreichen WM zu kriegen. Das kann klappen, allerdings nur, wenn jetzt endlich alle Energie aller Beteiligten für den internationalen Erfolg der Athleten eingesetzt wird. Denn am Ende des Tags macht nur der die Leichtathletik hierzulande attraktiv. Alles andere muss bis zur WM nebensächlich sein.
Ich erinnere mich mit Grausen daran, wie viel Aufwand hierzulande noch im Juli getrieben wurde, um bei den Deutschen Meisterschaften die Abwurfgeschwindigkeit von Speeren zu messen und dem Publikum zu vermitteln, was am Ende doch nicht funktionierte. Wir müssen auch in Deutschland endlich erkennen, dass der Weg der Leichtathletik zurück ins öffentliche Bewusstsein einzig und allein über international erfolgreiche Athleten führt. Es gilt, alle Kräfte darauf zu konzentrieren.
Denn wenn irgendwann nicht nur eine Ariane Friedrich in der Golden League um Siege kämpft, sondern auch andere deutsche Athleten, wird bestimmt auch das deutsche Fernsehen wieder einsteigen und die Leichtathletik rückt spätestens mit der WM wieder stärker ins öffentliche Bewusstsein.
Christian Ermert in "leichtathletik", vom 10. September 2008 – Nr. 37