Die Zerdehnung der Marathonläufe in Richtung Schlusszeiten von 6:00 h konnte letztendlich einen Rückgang der Teilnehmerzahlen der deutschen Läufe nicht verhindern. 2006 gab es erstmals einen leichten Rückgang. Bei 23 Läufen in Deutschland mit über tausend Finishern kamen 118.933 Läufer ins Zie
Stagnation auf hohem Niveau – Manfred Steffny in SPIRIDON 12/2006 – Nur sieben der aufgelisteten 23 Marathons über 1.000 Finisher haben sich 2006 gesteigert, 16 verzeichnen einen Rückgang.
Hamburg im Frühjahr und Berlin im Herbst bescherten der deutschen Marathonszene 2006 erneut die Höhepunkte der Saison. Berlin setzte sich dank des Sieges von Haile Gebrselassie in 2:05:56 h an die Spitze der Weltrangliste 2006 und konnte auch die Absage der verletzten Olympiasiegerin Mizuki Noguchi verkraften, denn die ehemalige Weltmeisterin Gete Wami war mit ihren 2:21:34 h hervorragend in Schuss.
Eher ungewollt war der Alleingang von Haile Gebrselassie, der Konkurrenz und Tempomacher früh zerlegte. Doch deutete Haile eine neue Entwicklung an, die sich bei den bisherigen WMM (World Mayor Marathons) zeigte. Ist das Feld der Spitzenläufer (zu) stark besetzt, beäugen sich die Favoriten mehr, als dass sie bedingungslos um Sieg und Zeit kämpfen. Außerdem vertrauen sie ihren Hasen nicht mehr, denn diese sind mitunter die schärfsten Mitkonkurrenten, denn 20, 25 km langen können sie ohne Leistungsdruck laufen und dann entscheiden, ob sie weiterrennen.
Das haben auch die Manager, die am Kultstatus ihrer Stars arbeiten, nicht mehr im Griff.
So blieben 2006 in Boston, Chicago und New York bei den Männern die ganz großen Zeiten aus. Davon hat auch Hamburg profitiert, das einmal mehr auf den Spanier Julio Rey setzte, der ein Frühjahrs- und Sololäufer ist. Er sicherte sich an der Alster den vierten Sieg in 2:06:52 h, nur 13 sec langsamer als Felix Limo in London und schneller als die WMM-Sieger von Boston, Chicago und New York, wobei sich auch die Siegerzeit der Frauen von 2:24:35 h durch die Äthiopierin Robe Tola sehen lassen kann.
Die Branchenführer
Bleiben wir bei den Branchenführern und schlüsseln wir deren Struktur einmal nach hinten auf. Berlin brachte 30.190 ins Ziel, New York stellte mit 37.840 einen neuen Rekord auf. Der Letzte in Berlin lief 7:42:28 h, die Letzte in New York, eine 37-jährige New Yorkerin erzielte 9:59:58 h.
Der 30.000 in Berlin kam in 6:11:33 h ein, 30.000 in New York war die 37-jährige Deutsche Susanne Traub in 5:02:27 h. Der sportliche Vorteil liegt bei Berlin, wo die Mitte des Feldes 4:13 h erreichte gegenüber New York mit 4:22 h. Die Tendenz aber geht zu US-Verhältnissen.
Die Zerdehnung der Marathonläufe in Richtung Schlusszeiten von 6:00 h konnte letztendlich einen Rückgang der Teilnehmerzahlen der deutschen Läufe nicht verhindern. 2006 gab es erstmals einen leichten Rückgang. Bei 23 Läufen in Deutschland mit über tausend Finishern kamen 118.933 Läufer ins Ziel. Gegenüber den 24 entsprechenden Läufen 2005 mit 123.701 Läufern ist dies ein Rückgang um ca. 3%. Nur sieben der aufgelisteten 23 Marathons über 1.000 Finisher haben diese 2006 gesteigert, 16 verzeichnen einen Rückgang.
Sponsorenmangel und Wetterunbill
Diese Stagnation auf hohem Niveau ist noch tragbar, denn nach dem Ausfall des Ruhr-Marathons mit immerhin 8.544 Finishern im Vorjahr und der Absage des Nürnberger Marathons, beides wegen Sponsorenmangels, kamen auch noch Wetterunbilden hinzu.
Mit Mannheim musste erstmals ein Marathon ganz kurzfristig wegen Unwetters abgesagt werden. Bei der dünnen Finanzdecke der Marathon-Veranstaltungen ist ein Ausfall beinahe tödlich. Man sollte sich also als Marathon mit hauptamtlichen Kräften nicht nur gegen Rekorde und Startabsagen versichern, was bereits üblich ist, sondern auch eine Risikoversicherung gegen Veranstaltungsausfall abschließen. Und da sind neben Sturm noch andere Szenarien denkbar.
Die zweite Jahreshälfte ist diesmal eindeutig stärker. Dies ist allerdings bedingt durch die genannten Ausfälle und den Berlin-Effekt. Die ersten Fünf vereinigen allein 73.091 Finisher. Und dennoch ist auch hier die Entwicklung unterschiedlich. Köln hat zwar einen Rückgang zu verzeichnen, doch ein zeitlich unabhängiger, sportlich wertvoller Halbmarathon nutzte der Gesamtveranstaltung. In München meldet im zweiten Jahr in Folge Rückgänge, und das im Jahr einer deutschen Meisterschaft, die sonst ein höheres Starterfeld garantiert.
Das ist bedenklich und bestätigt die alte Erkenntnis, dass es ohne Spitze und die entsprechende Außenwirkung auch keine Breite gibt. Denn Breite und familiäre Atmosphäre bieten inzwischen auch einige andere süddeutsche Marathons. Auch DLV und Sponsor Nike können nicht glücklich sein, wenn München drei Jahre lang als Meisterschaftsort wie eine Glucke auf den Eiern sitzt und keine positiven Impulse setzt in der leidgeprüften deutschen Marathonlandschaft.
Kommen einfach nicht in die Gänge
They never come back: alte, traditionsreiche Läufe wie der Schwarzwald-Marathon, Kandel und Steinfurt sind abgesunken in die Zweitklassigkeit. Ostdeutsche Läufe wie Leipzig, der Mitteldeutsche Marathon und Rostock kommen einfach nicht in die Gänge. Da ist es erfreulich, dass Duisburg prozentual den höchsten Anstieg schaffte und das Vertrauen mit einem überzeugenden Einlauf in der MSV-Arena bestätigte. Da ist es ebenso erfreulich, dass Monschau im 30. Lauf und der Oberelbe-Marathon, der nebenbei einen der wenigen stimmigen zusätzlichen Halbmarathons beinhaltet, den Sprung über tausend geschafft haben.
Der Dresdner Oktoberlauf meldet weiterhin Aufwärtstrend und ist neben dem Rennsteiglauf, der mit der Streckenlänge von 43,1 km eigentlich gar kein Marathon sein will, einziger gelisteter Lauf aus den neuen Bundesländern. Doch die Thüringer schaffen es immer wieder, ihre große Gemeinde am Rennsteig zu versammeln.
Hut ab auch vor dem Freizeitläufer Dr. Matthias Körner, der am Rennsteig gewann und in München deutscher Meister wurde.
„Deutsche“ Läufe im Ausland
In unserer Hitparade nicht einberechnet sind die „deutschen“ Läufe im Ausland. Der TUI-Marathon auf Mallorca und der Oeger-Marathon in Antalya sind in eine Marktlücke gestoßen. Nicht zu vergessen ist das nahe Luxemburg mit ca. 2.000 Teilnehmern, das mit seiner Premiere den benachbarten Saarbrückern ihren Erstling verdarb und auch dem Mittelrhein-Marathon kräftig Läufer abzog.
Ausländischer Magnet ist nach wie vor New York mit 2.432 Deutschen im Ziel. Unter dem Mäntelchen Marathon (157 angekündigte für 2006) segeln inzwischen auch Mini-Volksläufe. Den Brauch der Marathonsammler, ein verlängertes Wochenende zu 3-4 hausgemachten Läufen zu nutzen, haben wir in SPIRIDON schon verschiedentlich glossiert.
Neu sind da die norddeutschen Lilienthaler Passionstage, die vom 13.-17. April 2006 fünf Läufe angesagt hatten. Den Vogel 2006 schoss allerdings der Eilenriede-Marathon in Hannover ab, bei dem fünf Männer und zwei Frauen ins Ziel kamen. Vermutlich 25 machten den Jux des Bremer Zeitsprung-Marathons am 29.10. nachts um 1 Uhr auf einer 2-km-Runde mit (eine Ergebnisliste existiert nicht). Beim Finsterwalder Dutzend in Brandenburg kamen 20 ins Ziel und auf den vier Runden des OSC Bremerhaven am 22. Oktober ganze 30. Dieser Lauf ist nicht zu verwechseln mit dem Bremerhavener City-Marathon vom 23. Juli, bei dem immerhin 257 ins Ziel kamen und mit den Siegern Adam Draczynski aus Polen in 2:15:43 h und Olga Glok aus Russland in 2:41:07 h erstaunlich gute Siegerleistungen für einen kleinen Lauf geboten wurden.
>Was ist für 2007 zu erwarten?
Erstens und vor allen Dingen der Wiedereinstieg des Ruhr-Marathons in die Szene. Kassel legt sich mächtig ins Zeug, bietet auch eine schnelle Strecke an. Abwarten muss man, ob St. Wendel, bekannt als Mountainbike-Mekka, den Einstieg schafft.
Organisatorisch ist dies kein Problem, aber der Zwei-Runden-Kurs mit mehreren Wendepunkten ist ein Risiko.
Hitparade der deutschen Marathonläufe 2006
erschienen im Laufmagazin SPIRIDON Heft 12/2006