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16
03
2010

Vor allem Sprünge mit nur zwei, vier oder sechs Schritten Anlauf - statt siebzehn - hat er die Deutschen gelehrt. Der Sinn der Übung: Die Athleten können den Ablauf ihres Sprungs viel langsamer als sonst durchexerzieren.

Stabhochspringer Hooker – Russische Schule und kölsches Bier – Michael Reinsch, Doha, in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung

By GRR 0

13. März 2010 Mit einer Demonstration hat Steven Hooker den Gewinn der Hallen-Weltmeisterschaft in Doha am Persischen Golf gekrönt. Als er am Samstag schon mit 5,80 Meter vor den beiden Deutschen Malte Mohr und Alexander Straub die Goldmedaille sicher hatte, übersprang er im dritten Versuch sicher 6,01 Meter – eine Höhe, in die seit dem Rücktritt von Sergej Bubka vor knapp zwanzig Jahren bei Hallenwettbewerben nur noch Jeff Hartwig und er selbst vorgedrungen sind.

Lediglich acht Stabhochspringer haben auch bei Freiluft-Wettbewerben je 6,01 Meter und mehr übersprungen.

Drei Mal versuchte sich Hooker im Aspire Dome von Qatar an 6,16 Meter. „Ich habe jetzt alles gewonnen, was ich gewinnen wollte“, sagte er. „Mir bleibt allein der Weltrekord als Ziel.“ Bei der australischen Meisterschaft in Perth will der erst 26 Jahre alte Stabhochspringer ihn im April das nächste Mal angehen. Seit Peking 2008 ist er Olympiasieger, seit Berlin im vergangenen Jahr ist er Weltmeister, und die Goldmedaille der Commonwealth Games holte er sich bereits 2006 in seiner Heimatstadt Melbourne.
 
Der Hallen-Weltmeister mit Leverkusener Einfluss

Beim ersten Weltrekordversuch am Samstag lief er durch, den zweiten brach er im Aufschwung ab. Wie er dann beim dritten auf die Latte fiel, war mindestens so eindrucksvoll wie der beste seiner gelungenen Sprünge. Hooker zeigte, dass er Sergej Bubka, den Übervater des Stabhochsprungs, überflügeln kann.
Ein bisschen Glanz fällt auch aufs Rheinland

Der 23 Jahre alte deutsche Meister Mohr und der drei Jahre ältere Straub waren glücklich. „Im Stabhochsprung ist eine Hallen-Weltmeisterschaft genauso viel wert wie eine Freiluft-WM“, sagte Straub und widersprach damit dem Eindruck, Doha sei lediglich eine Zwischenstation zum Saisonhöhepunkt Europameisterschaft. Mohr kündigte an, sich noch in diesem Jahr an sechs Meter zu versuchen. Er hat sich schon – wenn auch noch erfolglos – an 5,90 Meter versucht. In Doha übersprang er 5,70 Meter und scheiterte beim Versuch, 5,85 Meter zu meistern.

Für Straub stehen 5,65 Meter zu Buche. Die Höhe, bei der Hooker erst in den Wettkampf einsteigt, 5,70 Meter, riss Straub drei Mal, es reichte zu Bronze. Als Hooker danach in seinem zweiten Sprung des Abends 5,80 Meter überquerte, war der Wettkampf praktisch entschieden. Mohr scheiterte drei Mal an 5,85, während Hooker entspannt zuschaute. Für ihn ging es dann bei 6,01 nur noch um die Krönung.
 

Nicht nur Silber und Bronze gehen nach Deutschland, sondern ein bisschen fällt auch der Glanz der Goldmedaille aufs Rheinland. Hooker ist, zumindest im Sommer, Teilzeit-Kölner. Um dem australischen Winter zu entkommen und um eine Basis für die Reisen zu den europäischen Sportfesten zu haben, zieht er seit drei Jahren im Juni in eine Wohngemeinschaft mit seinem Trainer Alex Parnov, mit Stabhochspringer Paul Burgess und ihrem Physiotherapeuten Shane Kelly am Rhein. Es klingt fröhlich, wenn er auf die Frage nach der örtliche Spezialität im Bierglas „Kolsch“ antwortet , wenn er erzählt, wie sie reihum kochen und wie sie Gitarre spielen und singen in ihrem Appartement. Straub ist Hooker beim Grillen im Garten von Bundestrainer Jörn Elberding schon begegnet. Vor allem aber ist der Australier zum Arbeiten am Rhein.
Klassische russische Schule und australische Abenteuerlust

„Leverkusen ist das Mekka“, sagt Hooker. „Wenn du in die Halle kommst, kann es sein, dass dort gerade zehn von den besten zwanzig Stabhochspringern der Welt trainieren.“ Die beobachten sich natürlich gegenseitig. „Steve Hooker springt zur Zeit in einer eigenen Liga“, schwärmt Elberding von dem 1,97 Meter langen Australier. „Er ist eine absolute Bereicherung für unser Training.“

Vor allem Sprünge mit nur zwei, vier oder sechs Schritten Anlauf – statt siebzehn – hat er die Deutschen gelehrt. Der Sinn der Übung: Die Athleten können den Ablauf ihres Sprungs viel langsamer als sonst durchexerzieren. „Steven ist mit acht Schritten Anlauf 5,61 Meter gesprungen“, sagt Elberding beeindruckt. „Als er in Australien vor zwei Wochen 5,91 Meter gesprungen ist, fürchte ich, hat er nur zwölf Schritte Anlauf gemacht.“ Das war zwar nicht ganz so, doch bei dem Gastarbeiter in Köln und Leverkusen verbindet sich die klassische russische Schule mit australischer Abenteuerlust.

So nahe wie Hooker ist lange niemand mehr Bubka gekommen
 
Mit einem einzigen gültigen Sprung gewann Hooker im vergangenen Jahr in Berlin die Weltmeisterschaft. Vor dem Wettkampf hatte er sich den Oberschenkelmuskel schwer gezerrt. Erst bei 5,85 Meter begann er deshalb den Wettkampf. Er riss, setzte aus und sagte sich, dass er nur noch einen einzigen Sprung aushalten würde: „Der muss reichen.“ Hooker überflog 5,90 Meter, und als die Zuschauer im Olympiastadion über seinen unglaublichen Poker staunten, weinte er hemmungslos. Auf die Frage, ob er ein Glücksspieler sei, antwortete er am Samstag: „Ich konnte in Berlin nur pokern, weil ich jahrelang hart gearbeitet hatte.“

Noch gehörten der Freiluft-Rekord von 6,14 Metern wie der Hallen-Rekord von 6,15 dem Ukrainer Sergej Bubka, der jetzt unter anderem Vizepräsident des Welt-Leichtathletikverbandes IAAF ist. Seit anderthalb Jahrzehnten erscheinen sie unerreichbar. „Ich weiß, dass ich diese Höhe schaffen kann“, sagt Hooker. Vor einem Jahr hat er in Bosten 6,06 Meter übersprungen. So nahe ist dem Rekord noch niemand gekommen seit Bubkas Zeiten.

Hat Hooker etwas mitgenommen aus Leverkusen? „Nächstes Jahr fahren wir in sein neues Trainingszentrum in Perth“, sagt Elberding. „Ich erwarte, dass wir dort einige von den Trainingsgeräten sehen werden, die Leszek Klima hier entwickelt hat.“ Deutsch allerdings werden sie nicht hören.

„Ich lerne jetzt russisch“, behauptete Hooker in Qatar. „Ich vergesse alles, was ich auf Deutsch konnte.“

Michael Reinsch, Doha, in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung

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