Blog
17
06
2012

Stabhochspringer Björn Otto - Die Schallgrenze durchbrechen - Michael Reinsch, Wattenscheid in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung ©German Meetings

Stabhochspringer Björn Otto – Die Schallgrenze durchbrechen – Michael Reinsch, Wattenscheid in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung

By admin 0

16.06.2012 ·  Oft war Björn Otto der vierte Mann, wenn drei nominiert wurden. Nun strebt er im reifen Alter seine ersten Olympischen Spiele an. Und einen Sprung über sechs Meter.
Von Michael Reinsch, Wattenscheid
 
Je oller, je doller – so scherzte mancher Leichtathletikfreund schon im vergangenen Jahr, als der Stabhochspringer Björn Otto nach langer Verletzungspause einen mächtigen Aufschwung erlebte. Da war er 33. Ein Jahr später hat sich der Athlet von 1,91 Meter Körpergröße an der Weltspitze etabliert. Mit einem Sprung über 5,82 Meter ist er in der noch jungen Saison bereits die Nummer zwei hinter dem französischen Überflieger Renaud Lavillenie.

Das Resultat erzielte er im Vorbeigehen; er bestritt einen Wettkampf während seines Trainingslagers in Kalifornien. Das scheint erst der Anfang, denn noch ist Otto zehn Zentimeter von seiner Bestleistung des vergangenen Winters entfernt, die er wie zur Demonstration seiner Fähigkeiten gleich zwei Mal übersprang. Und er ist fast zwanzig Zentimeter von der Höhe entfernt, von der er überzeugt ist, dass er sie meistern kann: sechs Meter.
Weitere Artikel

Der Rheinländer Otto, geboren in Frechen, wohnhaft in Krefeld, hat nicht mehr viel Zeit, diese Schallgrenze seines Sports zu durchbrechen. Bei anderen Sportlern würde man sagen, die Karriere neige sich dem Ende zu. Zwar wird wohl auch Otto in absehbarer Zeit Schluss machen mit dem Sport. Aber bei ihm zeigt die Entwicklungskurve im Finale seiner sportlichen Laufbahn steil nach oben.

Mit einem seiner Flüge über 5,92 Meter ist er deutscher Hallenmeister geworden; vierzehn Tage später gewann er bei der Hallen-Weltmeisterschaft in Istanbul die Silbermedaille. An diesem Sonntag kann er in Wattenscheid zum ersten Mal deutscher Meister im Stadion werden. Doch eigentlich will er nur aufs Podium. Zwar haben bisher nur er, Malte Mohr und Carsten Dilla die Qualifikationsnorm für die Olympischen Spiele von 5,72 Meter übersprungen. Doch die Meisterschaft funktioniert wie amerikanische Trials: Wenn die ersten drei die Norm erfüllen, sind sie in der Mannschaft für Olympia und für die Europameisterschaft, die fünf Wochen zuvor stattfindet.

Oft war er die Nummer vier

Für Otto wäre Platz vier besonders bitter. Nicht nur ist er ganz gewiss ein Medaillenkandidat für London. Er hat es, seit er mit sechzehn Jahren mit dem Stabhochsprung begann und seit mehr als einem Jahrzehnt zur deutschen Spitzenklasse gehört, noch nie zu Olympischen Spielen geschafft: für Athen konnte er sich nicht qualifizieren, vor Peking war er verletzt. Oft war er die Nummer vier, wenn drei Plätze für internationale Meisterschaften vergeben wurden, die Nummer drei, wenn es nur zwei waren. An diesem Sonntag hat er die voraussichtlich letzte Chance im Leben, sich für das wichtigste Sportereignis der Welt qualifizieren.
 
Björn Otto hat Niederlagen und Rückschläge immer mit Würde ertragen. Er war nie einer, der den Wettkampf als persönliche Auseinandersetzung sah, er hat nie nachgekartet. Umso schmerzhafter traf es ihn, dass der Verband im vergangenen Jahr den Wettkampf nicht anerkannte, bei dem er die für die Weltmeisterschaft notwendige Höhe übersprungen hatte. Die Anlage war nicht vermessen worden wie vorgeschrieben. Das deutsche Team flog ohne ihn nach Daegu; er glaubt bis heute, „dass das nicht mit rechten Dingen zugegangen ist“.

So wenig er Wiedergutmachung vom Verband erwarte, sagt sein Manager Marc Osenberg, so wenig erwarte er auch eine Retourkutsche für die harten Worte. Der Tiefpunkt in der Beziehung zwischen Athlet und Verband, soll ausgestanden sein. Björn Otto ist bereit für London. Flair von Unabhängigkeit

Für diesen Athleten hat es immer ein Leben jenseits des Sports gegeben. Vielleicht gibt dieser Umstand in einer Welt, die von Sportsoldaten und Sportbürokraten dominiert wird, ihm bis heute das Flair von Unabhängigkeit. Otto hat Biologie studiert, und seit er vor mehr als zehn Jahren aus dem Labor Froschlaich mit nach Hause brachte, muss er sich immer mal wieder nach dem Befinden der Krallenfrösche (Xenopus laevis) fragen lassen, die daraus geschlüpft sind. Von den mehr als hundert sind noch einige am Leben. Seine Diplomarbeit ist ein Thema der Bionik: des Nachbaus des Seitenliniensystems von Fischen.

Björn Otto ist ein Tüftler und ein Flieger. Sein Großvater bastelte mit ihm erste Modellflugzeuge. Daraus ist eine Leidenschaft gewachsen, die sein Leben beherrscht, von dem der Stabhochsprung nur ein Teil ist. Bis in viertausend Meter Höhe schwingt sich der Athlet am Gleitschirm in die Luft. Sein größtes Flugzeugmodell hat eine Spannweite von acht Metern. Nun will er Berufspilot werden. Hätte die Lufthansa seine Bewerbung akzeptiert, gäbe es die Höhenflüge von Otto in der Leichtathletik nicht mehr.

Den Einstieg in die Ausbildung an einer privaten Schule hat er für seinen Traum von den Olympischen Spielen aufgeschoben. Im Herbst wird er 35 Jahre alt; damit nähert er sich der Altersgrenze: der für Berufseinsteiger bei Fluggesellschaften. Im Sport dagegen, so scheint es, spricht eigentlich nichts fürs Aufhören.

 

Michael Reinsch, Wattenscheid in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Sonnabend, dem 16. Juni 2012

author: admin

Comment
0

Leave a reply