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27
02
2010

Robert Hering macht die Welt zu seiner Bühne. „Scheißegal, ob du ins Finale kommst oder nicht“, sagte er sich, als er das 200-Meter-Halbfinale der WM von Berlin erreicht hatte

Sprinter Robert Hering – Nackte Kanone – Michael Reinsch, Berlin, in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung

By GRR 0

27. Februar 2010 Vielleicht muss sich Robert Hering gar nicht entscheiden, ob er Rockstar oder Sprinter sein will. Zu Zeiten eines Usain Bolt, der seine Rekordläufe mit Tänzchen und Posen rahmt, ist das ja kaum mehr zu unterscheiden.

Auch Hering packt sich sein Publikum, wo er es kriegen kann, und nutzt dessen Energie zum Vorwärtskommen. Bei der Weltmeisterschaft in Berlin vereinnahmte er im vergangenen Jahr 70.000 Besucher des Olympiastadions für sich. Wenn er nicht rennt, lässt es der Neunzehnjährige mit seiner Rockband Addicted krachen, auf deren beiden CD er Gitarre spielt und singt.

Robert Hering macht die Welt zu seiner Bühne. „Scheißegal, ob du ins Finale kommst oder nicht“, sagte er sich, als er das 200-Meter-Halbfinale der WM von Berlin erreicht hatte
. „Das nutzt du aus, dass du die Zuschauer für dich hast.“ Als er beim Start auf den Bildschirmen im Olympiastadion zu sehen war, legte der Schlaks im Nationaltrikot einen Finger hinters Ohr und ruderte auffordernd mit den Armen. Dann haute es ihn fast um.

„Robert Hering!“ brüllten Fans von der Tribüne auf der Gegengeraden, und der Ruf verbreitete sich. „Robert Hering!“ Der große Star Usain Bolt stand auf Bahn drei und wackelt mit dem Kopf. Im Finale würde er seinen Weltrekord auf 19,19 Sekunden verbessern. Und die Leute schrieen für Robert Hering auf Bahn sieben!
 

Um einen Schritt verpasste der Neunzehnjährige aus Jena den Endlauf. Er wurde Fünfter, in 20,52 Sekunden. Wäre er so schnell gerannt wie sechs Wochen vorher in Ulm, als er in 20,41 Sekunden überraschend deutscher Meister wurde und sich für Berlin qualifizierte, hätte er bei der großen Show des Usain Bolt mitwirken dürfen.

Doch was Bolt kann, kann Hering längst – jedenfalls, was die Show angeht. Vor anderthalb Jahren, bei der deutschen Jugendmeisterschaft in Berlin, lehnte er sich vor dem Start in die Kamera, strich über die Seiten seines blauschwarzen Haars, wischte es mit einer ironischen Geste aus der Stirn und guckte unbeteiligt dem Start entgegen. Deutlicher kann man Bolt nicht zitieren. Wenn doch, dann so: Hering siegte über 100 und 200 Meter.

Nackt durch die Siedlung in Hermsdorf

Er sei schon ein wenig extrovertiert, bestätigt der Sprinter gern. Hering überlegt, was er vor der Kamera anstellen könne. „Zum Tanzen bin ich nicht der Typ“, sagt er, „und Flickflack macht jeder.“ Vielleicht ein Powerslide hinter der Ziellinie, eine Rutschpartie auf dem Boden. „Man bräuchte eine Plastiktüte, um sich nicht die Beine aufzuschürfen“, sagt er. Und: Bolt sei nicht sein Vorbild. Der Jamaikaner sei ein großartiger Sprinter, mit Talent und Trainingsmöglichkeiten so reich gesegnet, dass er persönlich keinen Doping-Verdacht hege.

Aber Bolt sei eben nicht der, an dem er sich orientiere. Die kalifornische Punk-Band Blink 182 inspiriert ihn offenbar mehr. In deren Video „What's My Age Again?“ rennen die Musiker nackt durch Straßen, Cafés und durch ein Fernsehstudio. Hering und seine Kompagnons von Addicted taten es ihnen nach und rannten nackt durch die Siedlung in Hermsdorf, aus der sie stammen. „Wir hatten keine Wette verloren“, erzählt der Sprinter. „Wir haben das aus Gaudi getan.“

Langfristig will Hering eher in Hose und Trikot von sich reden machen. Nach dem Abitur am Sportinternat Jena plant er ein Freiwilliges Soziales Jahr beim TuS Jena, dem Verein, für den Petra Felke und Heike Drechsler starteten, als er noch SC Motor Jena hieß. Es wird vor allem seiner Vorbereitung auf die Olympischen Spiele in London 2012 dienen. Darauf zielt der Lauf seines Lebens: Zweimal ist Hering mit der Staffel U-20-Europameister geworden, das erste Mal mit siebzehn. Bei der U-20-Weltmeisterschaft 2008 in Bydgoszcz wurde er Dritter über 200 Meter. Bei der U-20-Europameisterschaft im vergangenen Jahr in Novi Sad gewann er, kurz nach der deutschen Meisterschaft, die Silbermedaille.

„Armin Hary ist mein Vorbild“

100 Meter sind die Königsdisziplin, das weiß Robert Hering, doch den 200 Metern gehört sein Herz. Auch das verbindet ihn mit Bolt. „100 Meter ballert man durch“, sagt er, „200 sind anspruchsvoller.“ Zum einen kommt Hering erst so richtig in Fahrt, sobald anderen Sprintern die Puste ausgeht: etwa bei 150 Metern. Zum anderen ist der Kurvenlauf, die technische Seite des Sprints, seine Domäne: im kleinen Gang an der Linie entlang, dann hochschalten und auf der Zielgeraden diejenigen niederkämpfen, die sich übernommen haben. Zur Abwechslung und zur Schonung lässt Trainer Stefan Poser ihn immer wieder zu Geradeaussprints antreten.

Doch Herings Ziele liegen, auch bei der deutschen Hallenmeisterschaft an diesem Wochenende in Karlsruhe, im Sprint um die Kurve. Nahziel ist es, den deutschen Rekord, den mit 20,20 Sekunden Tobias Unger hält, zu unterbieten. 22 Hundertstel fehlen dazu. „Ziemlich viel, wenn man es überlegt“, sagt Hering. Doch wer überlegt schon, wenn die Devise Angriff heißt. „Man darf kein Nervenflattern haben“, sagt Hering. „Im Call-Room guckt man sich gegenseitig an und denkt: Dich mache ich fertig.“

Spätestens in Rio de Janeiro 2016 will Hering schnellster weißer Sprinter sein. Hält er seine schwarzen Konkurrenten für unerreichbar? „Ich glaube nicht, dass sie von Natur aus schneller sind“, sagt Hering. „Armin Hary ist mein Vorbild. Seine 10,0 Sekunden und sein Olympiasieg von 1960 sind der Beweis, dass Schwarze keinen genetischen Vorteil haben.“

Die bessere Show machen sie auch nicht unbedingt.

Michael Reinsch, Berlin, in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Sonnabend, dem 27. Februar 2010

author: GRR

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