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07
12
2022

David Ewens von der Grundschule Am Berg - Foto: Baufeld/Engler

„Sportunterricht ist mehr als ein bisschen Ball spielen“ – 28 Berliner Lehrer*innen haben eine Woche lang die Schulbank gedrückt, weil sie fachfremd Sport unterrichten. Sport in BERLIN

By GRR 0

 David Ewens von der Grundschule Am Berg in Altglienicke ist einer von ihnen.

An Berliner Schulen unterrichten viele Lehrkräfte Sport, die dafür nicht ausgebildet sind. Der Landessportbund Berlin hat deshalb im Rahmen seiner „Offensive Schulsport“ vor vielen Jahren die „Tagung Schulsport“ ins Leben gerufen. Sie findet einmal im Jahr statt. Partner ist die Unfallkasse Berlin – unter der Überschrift „Schulsport: sicher und gesund“.

In diesem Jahr gab es zusätzlich zur Wochenend-Tagung erstmals eine Kompakt-Fortbildung, die eine Woche dauerte. „Wir haben festgestellt, dass die Ausbildungsumfänge größer sein und mehr in die Tiefe gehen müssen“, sagt Matthias Mikolajski-Kusche von der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie. Auf dem Programm standen didaktische und rechtliche Grundlagen, Stundenplanung, Sicherheit, Leistungsbewertung, Umgang mit heterogenen Gruppen, Erwärmung, viele Bewegungsbeispiele und Spielideen.

Es gab über 60 Interessierte. Die 28 Plätze waren schnell ausgebucht. Mit dabei war David Ewens (30) von der Grundschule Am Berg in Alt Glienicke. Er ist ausgebildeter Lehrer für Mathe, Deutsch und Englisch und hat einen Bachelor-Abschluss in Musik. Seit Februar unterrichtet er eine dritte Klasse im Sport.

Herr Ewens, wie ist dazu dazu gekommen, dass Sie fachfremd Sport unterrichten?

Eine langjährige Kollegin hatte sich verabschiedet. Die Schulleitung fragte mich, ob ich Interesse hätte. Ich sagte ja und wollte mir eine Fortbildung suchen. Aber die Not war groß, ich musste die Klasse sofort übernehmen. Allerdings begleite ich die Klasse schon anderthalb Jahren in einem anderen Fach. Ich kenne also die Kinder.

Ist es gut, wenn Lehrer fachfremd Sport unterrichten?

Ich finde es nicht nur gut, sondern auch auf jeden Fall notwendig – wegen des Personalmangels. Die Lehrkraft muss sich dabei wohlfühlen und bereit sein, selbst Hemmungen zu überwinden und Sachen auszuprobieren. Sie muss reflektieren: Was ist mir gelungen, was nicht, was kann ich nächstes Mal besser machen. Wichtig ist, sich mit anderen Lehrkräften auszutauschen.

Sind die pädagogischen Grundlagen im Sport anders als in anderen Fächern?

Jein. Ich kannte den Rahmenlehrplan im Sport bis vor einem halben Jahr gar nicht. Sport ist mehr als: Wir rennen ein bisschen, wir spielen ein bisschen mit Bällen, wir machen Dreisprung. Sport ist ein Fach, bei dem natürlich die Bewegung im Vordergrund steht. In anderen Unterrichtsfächern ist Bewegung begleitend. Wenn man die Kinder im Sport kennenlernt und erlebt, wie andere Sozialkompetenzen gefragt werden als im Klassenzimmer, dann ist das ein großer Unterschied.

Was genau beobachten Sie?

Ich beobachte die Schülerinnen und Schüler dabei, wie sie sich bewegen. Im Sportunterricht sollte möglichst wenig Erklärung stattfinden. Nur das Nötigste und dann: Machen, machen, machen. In anderen Fächern muss ein Sachverhalt vielleicht ein zweites, drittes, viertes Mal erklärt werden. Im Sportunterricht bis zur vierten Klasse ist die Bereitschaft der Schülerinnen und Schüler sehr groß, gleich durchzustarten. Auch ein Kind, das Schwierigkeiten beim Rechnen oder Lesen hat und eher unscheinbar ist, kann sich im Sport austoben und blüht auf. So ein Mädchen ist in meiner Klasse. Sie ist eine starke und ehrgeizige Sportlerin. In Mathe bringt sie eher durchschnittliche Leistungen und lässt keinen Ehrgeiz erkennen.

Gibt es Schüler, die keine Lust auf Sportunterricht haben?

In einer Vertretungsstunde in der 6. Klasse habe ich das mal erlebt. In meiner dritten Klasse machen auch die eher körperlich Unfitten sehr, sehr gern mit. Und diese Begeisterung gilt es zu erhalten und zu fördern. Das ist meine Aufgabe als Lehrer. Ich habe eine sehr privilegierte Position mit meiner Klasse. Alle machen richtig toll mit und haben einen sehr guten Bezug zu mir, weil wir uns aus dem Matheunterricht kennen.

Ist es vorteilhaft, wenn man jünger ist?

Vielleicht können Ältere nicht mehr alles vormachen. Dann ist die Unterrichtsgestaltung gefragt. Dann liegt es am Lehrer, die Übungen so zu vermitteln, dass sie bei den Kindern ankommen und gelingen, ohne dass sie sie direkt von Lehrer gesehen haben. Eine jüngere Lehrkraft macht vielleicht mehr vor, eine ältere bringt dahingegen in der Regel viel Erfahrung mit.

Wie könnte man mehr Bewegung in den Schulalltag bringen – unabhängig von der Anzahl der Sportstunden?

Es gibt als Unterrichtsform auch bewegten Unterricht. Ich versuche das in allen Fächern. Das gelingt nicht immer. Eine aufmerksame Lehrkraft mit guten Beziehungen zu den Kindern merkt, wann sie eine Pause brauchen. Dann tut eine kleine Pause mit einer Bewegungseinheit gut. Das Kollegium muss dafür auch sensibilisiert und weitergebildet werden.

Wie sieht eine kleine Bewegungspause in Ihrem Fachunterricht aus?

Unterschiedlich. In einer Arbeitsphase können die Kinder von einer Station zur anderen gehen. Beim Frontalunterricht baue ich für drei Minuten ein Spiel ein.

Was macht den Kindern im Sportunterricht am meisten Spaß?

Fußball, Zombie-Ball, ein Abwurf-Ballspiel.

Was macht Ihnen als Sportlehrer am meisten Spaß?

Wenn die Kinder etwas zum ersten Mal erleben. Beispiel die Rückwärtsrolle. Sie waren unvoreingenommen und haben Freude daran entdeckt. Ich werde künftig auch mehr kleine Spiele machen. Nicht nur Fußball. Beim Fußball haben die Kinder in der Regel Vorerfahrungen. Diese sind entweder positiv oder negativ. Bei einigen kann da von vornherein die Lust entschwinden.

Was nehmen Sie mit aus dieser Kompakt-Fortbildung?

Richtig viel: viele Impulse für kleine Spiele, für Progression innerhalb einer Stunde oder einer Unterrichtsreihe, Differenzierungsmöglichkeiten, Beispiele für eine gelungene Stunde mit wenig Materialeinsatz, Ideen, wie ich den Kindern möglichst viel Bewegungszeit ermöglichen kann. Ich glaube, der Unterricht, den ich bisher erteilt habe, hat auf jeden Fall noch Luft nach oben.

Quelle: Landessportbund Berlin (LSB) – Das Gespräch führte Angela Baufeld aus SPORT in BERLIN  5/2022

author: GRR