In Paris war die deutsche Olympiamannschaft Nummer zehn - Photo: Paris 2024:
Sportfördergesetz-Entwurf: Mehr als 130 Mal das Wort „können“ – Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung
Der vorherige Text sorgt für Empörung. Im aktuellen Entwurf für das neue Sportfördergesetz bekennt sich der Staat nun zwar eindeutig zum Spitzensport. Eine zentrale Frage bleibt aber weiterhin offen.
Der Bundestag hat seine Sommerpause beendet, schon ist es wieder da, das Sportfördergesetz. Es hat sich verändert in dem halben Jahr, seit der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) den Referentenentwurf aus dem Bundesinnenministerium (BMI) wütend zurückwies. Nun ist vom DOSB-Vorstandsvorsitzenden Torsten Burmester Zustimmung und Zufriedenheit zu hören, und das Kabinett soll den Entwurf nun auf den Weg ins Parlament bringen.
Sollte tatsächlich im Sommer 2025, zehn Jahre nachdem der damalige Innenminister Thomas de Maizière in der F.A.Z. vom deutschen Sport ein Drittel mehr Medaillen forderte, die Reform der Spitzensportförderung mit der Verabschiedung des Sportfördergesetzes und der Gründung einer unabhängigen Agentur zur Finanzierung und Steuerung des Spitzensports abgeschlossen werden?
Sind gegenwärtige Generationen ausgenommen?
Vermutlich wird die Reform in Wirklichkeit frühestens mit der Gründung der sogenannten unabhängigen Spitzensportagentur beginnen. Denn immer noch ist nicht wirklich definiert, mit welchem Ziel der Staat den Spitzensport mit mehr als 300 Millionen Euro im Jahr fördert. Top fünf im Medaillenspiegel Olympischer Sommerspiele, ja gut, Top drei bei Winterspielen, das soll tatsächlich gesetzlich festgeschrieben werden.
In Paris war die deutsche Olympiamannschaft Nummer zehn. „Sportliche Erfolge (…) stärken den Wirtschaftsstandort Sportdeutschland“, behaupten die Verfasser der Präambel des Entwurfs unter dem Titel „Problem und Ziel“. Bevor man darüber nachdenken kann, ob nicht „Sportdeutschland“ eher eine Marketing-Phrase ist als ein Standort, sind schon Subjekt und Objekt nicht zu unterscheiden, und wer Spaß daran hat, kann diskutieren, ob „die Qualitätsfaktoren Integrität, Werteorientierung, Diversität und Geschlechtergerechtigkeit sowie die soziale und ökologische Nachhaltigkeit des Spitzensports“, die in die Argumentation geschüttet werden, stärken sollen oder gestärkt werden sollen.
Erfolge trügen zur positiven Repräsentanz Deutschlands in der Welt bei und dienten nachfolgenden Generationen von Athletinnen und Athleten als Vorbild, heißt es weiter. Sind gegenwärtige Generationen von der Wirkung ausgenommen?
Die konfuse Argumentation ist Beiwerk, auch wenn sie irgendwie typisch ist für die Geschichte dieser Reform. Von dem 57 Seiten umfassenden Referentenpapier sind lediglich zwölf der Entwurf des Sportfördergesetzes, das die Koalition noch in ihrer Amtszeit verabschieden will und auf das der Sport, so sagen es jedenfalls dessen Repräsentanten, dringend wartet.
Der vorgesehene Gesetzestext, datiert auf den 12. August, hat eine andere Handschrift als jener, der für Empörung sorgte. „Der Bund fördert den Spitzensport in Deutschland und bekennt sich zu dieser finanziellen Verantwortung“, lautet der erste Satz von Paragraph 2. Dies ist der Schlüsselsatz. Er ist ein Bekenntnis, kein Geschwurbel wie noch im ersten Entwurf, in dem von der gesellschaftlichen Bedeutung geraunt wurde, welcher die staatliche Förderung verpflichtet sei.
Bemerkenswert ist auch, was fehlt
Schon im zweiten Absatz ist vom Geld die Rede. Zwar ist keine Summe festgeschrieben. Doch die Selbstverpflichtung unterfüttert Paragraph 1, der mit der Feststellung beginnt: „Die Förderung des Spitzensports ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe im öffentlichen Interesse.“ Das ist mal etwas anderes als die argumentative Krücke von der internationalen Repräsentation, mit welcher der Bund seit Jahrzehnten Spitzensportförderung begründet hat. Einer Förderung im Übrigen, zu der ihn bis heute kein Gesetz verpflichtet.
Bemerkenswert ist auch, was fehlt. Aus dem ersten Paragraphen und dem, der die Finanzierung der Agentur regelt (16), ist die Aufforderung gestrichen, Spenden einzuwerben, insbesondere bei einer ominösen „Sportwirtschaft“. Der Sport hatte geargwöhnt, damit könnte der Ausstieg aus der staatlichen Förderung vorbereitet werden.
Das war eine Forderung des Sports
Der Entwurf sieht vor, dass Förderung mehrjährig, insbesondere für den Olympia-Zyklus von vier Jahren gewährt werden kann und dass Verband und Agentur einen Großteil der Förderung als Selbstbewirtschaftungsmittel ins folgende Jahr übertragen können, statt sie vor Jahresende unbedingt ausgeben oder zurückzahlen zu müssen. Auch dies war eine Forderung des Sports gewesen. Bis zu 30 Prozent der Mittel, heißt es in den Erläuterungen, könnten künftig derart flexibel gehandhabt werden.
Die dritte Forderung, die nach Augenhöhe des Sports mit Staat und Politik, findet ihren Ausdruck in einer Stärkung des Fachbeirates der Agentur mittels pompöser Arbeitsplatzbeschreibung – einer scheinbaren Aufwertung. Dessen 18 Mitglieder müssten sich spitzensportlich „hervorgetan“ haben, um von DOSB und Innenministerium berufen zu werden. Vor allem aber entscheiden sie verbindlich, wie es in dem neuen Entwurf heißt, über „grundsätzliche strategische Rahmenbedingungen für sportfachliche Konzepte mit übergreifender strategischer Bedeutung“.
Die wirkliche Macht der neuen Organisation
In Wirklichkeit haben sie wenig zu sagen. Sie beraten den Stiftungsrat, die wirkliche Macht der neuen Organisation. Fünf Abgeordnete des Bundestages, vier Vertreter des BMI und drei der Länder dominieren darin die sechs Repräsentanten des Sports. Der Stiftungsrat benennt den aus zwei Personen bestehenden Vorstand der Agentur – und beruft ihn gegebenenfalls ab.
Der Vorsitz im Stiftungsrat ist den neun Bundestagsabgeordneten und Vertretern des Ministeriums vorbehalten; nur eine oder einer von ihnen ist wählbar, nur sie wählen. In Personal- und Haushaltsangelegenheiten hat Zahlmeister BMI in Person seiner vier Repräsentanten praktisch sogar Vetorecht.
Die Stimmverteilung sage doch alles, klagt Jörg Ammon, Präsident des Bayerischen Landessportverbandes (BLSV) und Sprecher der Landessportbünde, auf der Website „Sportspitze“. Man könne nur hoffen, dass dieses Gesetz nicht komme. Nicht nur führe es direkt in den Staatssport, der Sport habe zudem seine Hausaufgaben noch gar nicht gemacht und definiert, was genau er mit der Reform erreichen wolle, welchen Sport er anstrebe.
„Wir brauchen den Druck nach vorne“
Genau dies wollen auch die Mitglieder des Haushaltsausschusses, die mit einer Haushaltssperre die Auszahlung der ersten Million für die Gründung der Agentur blockieren. Eindeutig und widerspruchsfrei solle definiert werden, welche Ziele Gesetz und Agentur verfolgen sollten. Das Innenministerium hat dies dem DOSB und der Sportlervertretung Athleten Deutschland übertragen. Das Ergebnis wird 2025 erwartet.
Die Klärung ist dringend notwendig, wie die markigen Kommentare insbesondere von Mitgliedern des Sportausschusses des Bundestages zeigen. Dessen Vorsitzender Frank Ullrich (SPD) kommentierte: „Wir brauchen den Druck nach vorne“, und verwies auf das Sportfördersystem der DDR, in dem er Biathlon-Olympiasieger und Auswahl-Trainer wurde – Talentsichtung und -förderung müssten Hand in Hand gehen.
Es gelte, sich an Ländern wie Großbritannien, Frankreich und den Niederlanden zu orientieren. Deren Konzentration auf medaillenträchtige Sportarten orientiert sich wiederum an der Organisation des DDR-Sports. Der CSU-Abgeordnete Stephan Mayer, als Parlamentarischer Staatssekretär im Innenministerium einer der Förderer der Spitzensportreform, forderte einen gesellschaftlichen Mentalitätswandel hin zur Leistungs- anstelle einer Empfängergesellschaft.
Keine Rede von Bundeswehr, Bundespolizei und Zoll
Womöglich ist Ullrich wie Mayer entgangen, dass im Entwurf des Sportfördergesetzes kein Wort beschreibt, wie die neue Agentur ihrer Aufgabe der Steuerung des Spitzensports nachkommen soll. Einerseits ist es beruhigend, dass Phantasien vom Durchgriff der Spitze bis an die Basis, wie sie in frühen Entwürfen verbreitet wurden, nicht den Weg ins Gesetz gefunden haben. Andererseits kursiert bereits das Wort vom „Bundesamt für Spitzensportförderung“. Es werde sich allein auf die Förderung der Spitze konzentriert, der Bereich des Nachwuchses gehöre nicht zum Spitzensport und bleibe in der Zuständigkeit der Länder.
Keine Rede ist auch von der Spitzensportförderung durch Bundeswehr, Bundespolizei und Zoll. Diese gehört nach Auffassung der Abgeordneten ebenfalls in den Einflussbereich der Agentur.
FES und IAT, die Institute für den Bau von Bobs, Kanus und Fahrrädern sowie für Trainingswissenschaft, werden im Gesetz als mögliche Empfänger sportwissenschaftlicher Förderung erwähnt, das zentrale Trainingszentrum Kienbaum ist, wie Olympia- und Bundesstützpunkte, als Teil des Stützpunktsystems ins Gesetz aufgenommen. Das Innenministerium wird verpflichtet, der Agentur den Rücken freizuhalten gegenüber Finanzministerium und Bundesrechnungshof.
Jede Menge Kann-Vorschriften
Für 2025 ist die erste Million im Haushalt vorgesehen für die Gründung der Agentur. Bis 2029 soll das Budget für deren Betrieb auf knapp acht Millionen Euro und die Personalstärke auf 42 gesteigert werden: Bereits im kommenden Jahr soll die Agentur zudem die Aufgaben der PotAS-Geschäftsstelle mit fünf Beschäftigten übernehmen (Budget 590.000 Euro) sowie die Honorierung der fünf Mitglieder der PotAS-Kommission (190.000 Euro).
Dem starken Bekenntnis des Staates zum Spitzensport folgt im Entwurf mehr als 130 Mal das Verb „können“. Die Förderung von Strukturen, Wissenschaft und Großereignissen – alles bleibt im Ermessen des Staates. Kann-Vorschriften sind weniger als Empfehlungen, sie zeigen Optionen auf. Sie nicht zu beachten, hat keinerlei Konsequenzen. Das Sportfördergesetz ist geprägt davon.
Vermutlich geht es dabei um größtmögliche Flexibilität. „Kann“ bedeutet in diesem Gesetz nicht Unverbindlichkeit. Wer ein solches Gesetz beschließt und eine Agentur für spitzensportliche Erfolge gründet – und das wollen nicht allein SPD, Grüne und FDP, die Parteien der Ampel, sondern auch CDU und CSU –, will nicht beides bedeutungslos machen durch mangelnde Unterstützung und Minderfinanzierung.
Und wer noch dazu will, dass der deutsche Sport sich um Olympische Sommerspiele 2040 bewirbt, wie es diese Fraktionen ebenfalls wollen, und diese Aufgabe der unabhängigen Spitzensportagentur übertragen möchte, wird diese vermutlich doch eher stärken als schwächen.
Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Montag, dem 16. September 2024