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19
06
2023

Die Special Olympics 2023 haben im Berliner Oylmpiastadion begonnen. - Screenshot: Horst Milde

Sportfest in Berlin eröffnet: Darum geht es bei den Special Olympics 2023 – Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung

By GRR 0

Die Special Olympics sind das weltweit größte Sportfest für Menschen mit geistiger Behinderung.  

Die Special Olympics in Berlin haben begonnen. Nicht alles läuft bei der Eröffnung nach Plan. Doch das ist gut. Beim größten Sportfest für Menschen mit geistiger Behinderung geht es um mehr als Sport.

Jau Shriver! Die Eröffnungsfeier im Olympiastadion von Berlin hatte einen besonderen Ton und einen speziellen Touch. Timothy Shriver, der Vorstandsvorsitzende der Special Olympics, musste seine Eröffnungsrede unterbrechen, weil ein Athlet aus Pakistan zu ihm aufs Podium trat und ihn umarmte. Was üblicherweise einen nervösen Sicherheitsapparat auf den Plan rufen würde, sorgte am Samstag für Jubel. Hier wurde, in Freude, Staunen und Ausgelassenheit, der Auftakt der Weltspiele für Athleten mit intellektuellen Defiziten zelebriert.

Die pompöse, fast drei Stunden lange Show mit Sängern und Tänzern und Akrobaten, mit großen Gesten und hochfliegenden Reden wurde immer wieder geerdet von den ganz besonderen Eigenheiten derjenigen, um die es geht. Da ging nicht jeder Gruß geschmeidig über die Lippen. Da verliefen sich, als es ans Entzünden des olympischen Feuers ging, hintereinander zwei Fackelträger in der Arena. Ein Kameramann und eine Produzentin fingen sie ein und brachten sie freundlich auf den Weg zu ihren Staffelwechseln. Gut so. Durchgehend Hochglanz würde nicht zu dieser Veranstaltung passen.

„Jau“, rief die Journalistin Natalie Dedreux, als Aktivistin gegen die Abtreibung von Föten mit Down-Syndrom bekannt geworden, als sie auf der großen Bühne diejenigen ankündigte, die nach ihr sprachen: „Jau Krajewski!“ Als Präsidentin der Special Olympics Deutschland hat diese seit Jahren auf die Eröffnung der Veranstaltung, die Deutschland verändern soll, hingearbeitet. „Ich könnte heulen vor Glück“, sagte sie. „Jau Wegner!“ „Jau Faeser!“ Auch der Regierende Bürgermeister von Berlin und die Bundesinnenministerin forderten die Inklusion von Menschen mit geistiger Behinderung in mehr gesellschaftlichen Bereichen als dem Sport.

Faeser will in der Athleten-Disco aushelfen

Die Weltspiele der Special Olympics, sie verstehen sich als der andere Sport, der bessere, der schönere, vielleicht sogar der wichtigere. Der Bundespräsident – „Jau Steinmeier!“ – sagte es so: „Es geht nicht nur um Sport, aber viel um Sport.“ Die Gesellschaft könnte über den Sport hinaus lernen, dass nicht nur diejenigen mit Einschränkungen etwas haben von der Inklusion, sondern dass die Gesellschaft reicher werde, wenn sie Inklusion lebe.

Der Sport geistig eingeschränkter Menschen in Deutschland ist weitgehend auf die Werkstätten zentriert, in denen viele von ihnen beschäftigt sind.  

Eine Woche lang werden rund 7000 Sportlerinnen und Sportler aus 180 Ländern, unter ihnen gut 400 aus Deutschland, sich in 26 Sportarten messen, betreut von 3000 Trainern, begleitet von 6000 Eltern, unterstützt von 20.000 Volunteers. Eine der Freiwilligen ist – „Jau Faeser!“ – die Innenministerin. Sie kündigte an, in der Athleten-Disco auszuhelfen. Darüber hinaus lassen sich ihr Haus und das Land Berlin die Veranstaltung 140 Millionen Euro kosten. Das sind vierzig Prozent mehr, als die öffentliche Hand für die spektakulären European Championships von München im vergangenen Jahr aufwandte.

„Ich will gewinnen, doch wenn ich nicht gewinnen kann, so will ich mutig mein Bestes geben”, lautet der Eid, den der Fußballspieler Ralf Andrasch im Olympiastadion sprach. Doch ums Siegen geht es bei diesen Spielen nicht wirklich und ums Verlieren schon gar nicht. Wer startet, kann sicher sein, aufs Podium gerufen und ausgezeichnet zu werden. Anders als bei den Paralympics der körperlich behinderten Sportlerinnen und Sportler gibt es hier keine Schadens-, sondern Leistungsklassen.

Wer schnell rennt, geht ins schnelle Rennen, wer langsam läuft, ins langsame. „Unified Sports“ ist die fortgeschrittene Variante; beim Boccia etwa treten gemischte, integrierte Teams an. Das gibt es in 16 der 26 Sportarten; 850 Sportlerinnen und Sportler ohne Behinderung sind dabei. Freude, auch über die Leistung der Mitstreiter, bestimmt den Spirit, nicht Verbissenheit, Miteinander ist die Währung, nicht Konkurrenz.

„Die Welt kann sich verändern“

Der weltweit vielleicht bekannteste deutsche Sportler – „Jau Nowitzki!“ – erinnerte vor einem Ballwechsel mit dem deutschen Basketballteam daran, dass nicht einmal jeder zehnte der knapp 90.000 Sportvereine in Deutschland ein Angebot für Menschen mit geistigen Einschränkungen habe. Das müsse sich ändern. Weitgehend ist der Sport geistig eingeschränkter Menschen in Deutschland auf die Werkstätten zentriert, in denen viele von ihnen beschäftigt sind. Um die Botschaft wirklich zu verbreiten, kamen die Teams aus dem Ausland in der vergangenen Woche nicht in Berlin, sondern in 200 Host Cities an, Gemeinden, die sie empfingen und ihre Geschichten erfuhren.

Prominenter Gast: Mit Dirk Nowitzki ist bei der Eröffnungsfeier eines der bekanntesten Gesichter des deutschen Sports vor Ort. 

Erstmals gehörte zu den seit 1968 in Chicago ausgetragenen World Games ein Kongress. Statt auf diesem „Global Forum For Inclusion“ über sie zu sprechen, begegneten Entscheider und Wissenschaftler den Betroffenen. Hatte sich der verbale Austausch erschöpft, so geschah es in einigen Foren, tanzten die Kongressteilnehmer gemeinsam.

Innenministerin Faeser sieht in den Special Olympics auch einen Impuls für die angestrebte Bewerbung um Olympische und Paralympische Spiele. Shriver korrigierte selbstbewusst: „Sie haben die Olympischen Spiele. Die größten Olympischen Athleten sind jetzt gerade in Berlin.“ Zuvor sei die olympische Flamme 1936 in Berlin entzündet worden. Nun sei sie zurückgekehrt: „Die Welt kann sich verändern. Dieses Land hat sich geändert.“

Shriver, dessen Mutter Eunice die Special Olympics gründete, erinnerte an seinen Onkel John F. Kennedy, der 1963 – „Ich bin ein Berliner“ – zur Überwindung der Mauer aufforderte. Nun gelte es, nach der Überwindung von Krieg, Terror und Teilung die unsichtbaren Mauern niederzureißen.

Um einen Superlativ war er nicht verlegen. Die Stadt sei – bei einem Zuwachs der weiblichen Teilnehmer auf fast die Hälfte – „the most welcoming place“, der einladendste Ort der Welt.

Jau Berlin!

Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Sonntag, dem 18. Juni 2023

Michael Reinsch

Korrespondent für Sport in Berlin.

 

author: GRR