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2009

Während Mills zu Hause kleine Brötchen backt und Schlagzeilen zu vermeiden sucht, rast Bolt durch die Welt und sucht geradezu das Scheinwerferlicht.

Spekulationsobjekt Usain Bolt – Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung

By GRR 0

09. November 2009 „Das Ende einer Ära“, so sieht es die Zeitung „Jamaica Observer“, ist für die jamaikanischen Sprinter gekommen: Glen Mills, der Trainer von Usain Bolt, gibt seinen Posten auf. Allerdings tritt der Mittsechziger mit dem kantigen Schädel lediglich als Cheftrainer der jamaikanischen Nationalmannschaft ab.

In seiner Eigenschaft als Gründer und Präsident des Racers Track Clubs bleibt er weiterhin Trainer des dreifachen Olympiasiegers, dreifachen Weltmeisters und dreifachen Weltrekordhalters Bolt sowie zwanzig weiterer Läuferinnen und Läufer in Kingston.

71 Medaillen bei Weltmeisterschaften und 33 bei Olympischen Spielen, darunter die Triumphe von Peking und Berlin, fallen in die 22 Jahre lange Ära von Mills. Er wolle nun Platz machen für einen der vielen talentierten jüngeren Trainer, sagte er bei der Abschiedsfeier des jamaikanischen Verbands (JAAA).
 
Nichts in den Hymnen der Funktionäre deutete auf einen Zusammenhang des Abschieds mit den fünf Doping-Fällen hin, die das jamaikanische Team für die Weltmeisterschaft in Berlin dezimiert hatten. Vier Läufer und eine Läuferin waren positiv auf das Aufputschmittel Methylxanthin getestet worden; die Läuferin wurde wegen Verfahrensfehlern freigesprochen, die Läufer für nicht mehr als ein Vierteljahr gesperrt.

Zwei von ihnen, Yohan Blake und Marvin Anderson, gehören zur Trainingsgruppe von Mills. Dieser beteuert, die beiden seien ebenso wie die anderen unschuldige Opfer eines amerikanischen Herstellers, der das Nahrungsergänzungsmittels „Musclespeed“ falsch deklariert habe.

Statt Ferien zu machen geht es um neue Werbeverträge

Während Mills zu Hause kleine Brötchen backt und Schlagzeilen zu vermeiden sucht, rast Bolt durch die Welt und sucht geradezu das Scheinwerferlicht. Nach einer Promotion-Tour durch die Talkshows Amerikas, auf der er sich potentiellen Sponsoren als freundlicher Plauderer bekanntmachte, reiste er über Deutschland und Großbritannien nach Kenia. Gerade ließ er sich in Mexiko-Stadt feiern, am kommenden Wochenende wird er in Monaco bei der Ehrung des Leichtathleten des Jahres erwartet. Dafür hat er seinen Trainingsbeginn ein paar Tage hinausgeschoben.
 
Statt Ferien zu machen nach einer Saison, die er erschöpft abbrach, geht es Bolt und seinem Management nun darum, neue Werbeverträge abzuschließen. Die erste Afrika-Reise von Bolt war Teil der Pokerpartie darum, welche Schuhmarke Bolt 2012 bei den Olympischen Spielen in London vertreten wird. Angeblich hat ein chinesisches Unternehmen 300 Millionen Dollar für fünf Jahre geboten, angeblich ist Nike dringend daran interessiert, den 23 Jahre alten Überflieger der Leichtathletik zu verpflichten, dessen Vertrag mit Puma am Ende der Saison 2010 ausläuft.

So dürfte die Einladung von Puma-Chef Jürgen Zeitz, dessen Stiftung für ökologisch nachhaltigen Tourismus zu vertreten, auch ein Signal dafür sein, wie sehr der Vorstandsvorsitzende des Herzogenauracher Unternehmens auch persönlich daran interessiert ist, die Zusammenarbeit fortzusetzen; sie begann, als Bolt sechzehn Jahre alt war. Um welche finanziellen Dimensionen es geht, hatte Zeitz nach den Olympischen Spielen deutlich gemacht, als er den Werbewert der Fernsehauftritte von Bolt in Peking für seine Firma auf 250 Millionen Dollar taxierte.

Umfrage: Don Draper vor Usain Blt vor Barack Obama

Wem die sportlichen Ergebnisse mit Weltrekorden von 9,58 Sekunden für die hundert und 19,19 Sekunden für die zweihundert Meter unwirklich erscheinen, den kann diese Nachricht aus der virtuellen Welt nicht überraschen: In einer Umfrage der Promi-Webseite AskMen.com nach dem einflussreichsten Mann der Welt liegt Bolt vor dem amerikanischen Präsidenten Barack Obama.

Beide werden allerdings von Don Draper übertroffen, der Hauptfigur einer amerikanischen Fernsehserie namens „Mad Men“. Eine Kunstfigur einflussreicher als der schnellste und als der mächtigste Mann der Welt: Das passt ganz gut zu der irrealen – oder irren? – Welt, in der Bolt sich seit achtzehn Monaten einrichtet. Erst im Winter 2007/2008, mit 21 Jahren, begann der hochtalentierte 200-Meter-Läufer Bolt mit ernsthaftem Training für die hundert Meter. Ende April 2008 lief er in seinem fünften Rennen auf dieser Distanz, in New York, zum ersten Mal Weltrekord: 9,72 Sekunden.

„Ich verstehe, warum Leute Leistungen in Frage stellen“

Seitdem wird er immer schneller, immer berühmter, immer reicher. Damit Bolt nicht den Boden unter den Füßen verliert, soll er nicht mehr täglich auf der Wiese sprinten, auf die Mills mit Teerfarbe die Bahnen ziehen lässt. Der Hersteller der blauen Kunststoffbahn, die im Berliner Olympiastadion liegt, will dem Racers Track Club eine vierspurige 400-Meter-Bahn aufs Gelände der University of West Indies in Kingston auf Jamaika legen.

Der wohlfeile Dopingverdacht bringt Bolt auch nicht ins Stolpern. „Ich verstehe, warum Leute Leistungen in Frage stellen“, sagt er geduldig: „Weil Athleten in der Vergangenheit gedopt waren, und sie annehmen, dass das alle sind.“ Wenn er nur über die Jahre weiter schnell renne und nicht dope, würden die Leute schon aufhören zu fragen, beteuert er. In Wirklichkeit stürmt er immer tiefer ins Dilemma.

Trainer Mills nämlich verspricht, dass Bolt in den nächsten beiden Jahren noch erheblich schneller laufen werde – selbstverständlich durch nichts anderes als gutes Training.

Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Montag, dem 9. November 2009

author: GRR

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