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23
06
2023

Special Olympics 2023 in Berlin - Poster - Foto: Horst Milde

Special Olympics 2023: Zur richtigen Zeit am richtigen Ort – Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung

By GRR 0

Schulterschluss für die gute Sache: Die Special Olympics bekommen mit Wettbewerben in der ganzen Stadt die große Aufmerksamkeit, die sie verdienen.

Selbst von der schönsten Panne spricht Carsten Kranz gern. Für den Chef des Organisationskomitees (OK) der Special Olympics World Games in Berlin läuft es auf der Zielgeraden seiner Tätigkeit ziemlich gut.

Am Sonntag geht die Veranstaltung, die 7000 Sportlerinnen und Sportler mit geistigen Einschränkungen auf die Beine gebracht hat, deren Betreuer, Trainer und Eltern, rund 20.000 Volunteers und 70.000 bis 80.000 Besucher der Wettkämpfe, mit einer Feier am Brandenburger Tor zu Ende.

Zum Auftakt erhielt Kranz den Anruf eines Lastwagenfahrers, der Geräte liefern sollte für die Eröffnungsfeier. Er und ein Kollegen stünden mit ihren Sattelschleppern vorm Olympiastadion, fänden aber die Einfahrt nicht. Sie sollten zum Osttor kommen, empfahl Kranz, zum Haupteingang unter den riesigen olympischen Ringen. Die Männer mit den Trucks kurvten ums Gelände, fanden aber weder ihren Gesprächspartner noch die olympischen Ringe.

Überraschung:

Sie hatten das Olympiastadion München angesteuert.

Die World Games der Special Olympics allerdings prägen derzeit, gut sieben Stunden Autobahn entfernt, den Olympiapark von Berlin.

Und nicht nur diesen. Mit Wettbewerben in der ganzen Stadt, mit Hochbetrieb im Umkreis des Olympiastadions von 1936 und auf dem weitläufigen Messegelände, mit Freiwasserschwimmen und Kanurennen in Grünau und Segeln im Wannsee, mit Golf in Bad Saarow und Basketball am Neptunbrunnen vor dem Roten Rathaus prägt der Sport Straßenbild und Stimmung der Stadt, wie es sonst Fußballfans beim Pokalfinale tun und Schulmannschaften bei den Finalveranstaltungen von Jugend trainiert für Olympia.

„Unser Ziel ist erreicht, wenn wir überflüssig sind“

Da ziehen am Morgen unternehmungslustige Teams auf dem Weg zu ihren Wettbewerben in U- und S-Bahnen, da kehren sie abends erschöpft, hungrig und glücklich zurück. Da bricht das Team aus Nigeria beim Warten schon mal in fröhlichen Gesang und Tanz aus, da lassen sich Fahrgäste, üblicherweise als übel gelaunt beschrieben, von Sportlerinnen und Sportlern animieren, sie am nächsten Tag beim Wettkampf anzufeuern. Mehr und mehr Delegationen wechseln vom Shuttlebus auf die Schiene: Dort kommen sie mit Berlin in Kontakt und Berlin mit ihnen.

Was für Erlebnisse. Beim Rennen und Springen, beim Reiten und Segeln, beim Schwimmen und Radfahren ermächtigen sich diejenigen, denen ihre Gesellschaften wenig zutrauen, die sie isolieren und ausschließen. Sie feuern sich gegenseitig an, tanzen, jubeln, und selbst wenn einer von ihnen den Sprint auf allen Vieren läuft, gerade dann, erwirbt er allein mit seiner Teilnahme den Respekt der anderen – und seiner selbst. Die Organisation hat Wert auf Mitwirkung und Teilhabe gelegt. Special Olympics ist mehr als ein Sportverband. „Unser Ziel ist erreicht“, sagt Verbandspräsidentin Christiane Krajewski, „wenn wir überflüssig sind.“

Von überwältigender Resonanz auf dem Weg dorthin spricht Albert Tuemann, im OK zuständig für Marketing. Eine Medienallianz von Sendern, die üblicherweise um die Übertragung von Sportereignissen konkurrieren, hat sich zusammengetan für dieses Ereignis, bei dem das einzige Ergebnis, das zählt, die öffentliche Wahrnehmung ist. 400 Stunden Direktübertragung, zusätzlich Zusammenfassungen, Hintergründe und sogenannte Erklärstücke: Schulterschluss für die gute Sache. Die Veranstaltung soll als Leuchtturm wirken, der weit über die Spiele hinaus strahlt.

Die mediale Aufmerksamkeit hat dazu geführt, dass der RBB die deutsche Mannschaft darauf aufmerksam machte, dass gegen einen ihrer Trainer ein Verfahren wegen des Verdachts des sexuellen Missbrauchs laufe.

Dem Mann, einem Lehrer, wird vorgeworfen, Schülerinnen unsittlich berührt zu haben. Das deutsche Team entzog ihm die Akkreditierung. Der Mann bestreitet die Vorwürfe. Geistig eingeschränkte Frauen und Mädchen sind am stärksten gefährdet, Opfer von Übergriffen und Missbrauch zu werden.

Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Donnerstag, dem 22. Juni 2023

Michael Reinsch

Korrespondent für Sport in Berlin.

 

author: GRR