Konstanze Klosterhalfen kontrolliert das U20-Feld bei der Cross-EM ©Wilfried Raatz/ wus-media
SPAR European Cross Country Championships Chia (Italien) – Konstanze Klosterhalfen verteidigt EM-Titel in Chia – Überraschendes EM-Silber für Anna Gehring – Zweimal Team-Silber für deutsche Nachwuchsläuferinnen – Wilfried Raatz berichtet
Deutsche Cross-Erfolge sind weiblich – dieses Fazit lässt sich nach den 23rd Spar European Cross Country Championships in Chia auf der italienischen Ferieninsel Sardinien mit einem Schlagwort ziehen.
Mit der erfolgreichen Titelverteidigung von Konstanze Klosterhalfen im U20-Wettbewerb, der überraschenden Silbermedaille von Anna Gehring und den beiden Team-Silbermedaillen in den Wettbewerben der weiblichen U20 und U23 gab es auf dem schnellen Parcours direkt an der Ferienanlage Chia Laguna Resort vier Medaillen für den Deutschen Leichtathletik-Verband (DLV), eine Medaille mehr als bei den letztjährigen Titelkämpfen im südfranzösischen Thoulon-Hyères.
„Das ist eines unserer bislang besten Ergebnisse in der Geschichte der Cross-Europameisterschaften“, so DLV-Vizepräsident Dr. Matthias Reick als Delegationsleiter der 25köpfigen DLV-Mannschaft.
Richtig Fahrt nahm die Medaillenjagd für die deutsche Mannschaft sogleich im Auftakt-Wettbewerb der U20-Juniorinnen über 4060 m, denn mit Konstanze Klosterhalfen und Alina Reh hatte der DLV gleich zwei Medaillenanwärterinnen im Rennen, zumal diese im Vorjahr mit Gold und Bronze den Wettbewerb dominieren konnten.
Und Konstanze fackelte nicht lange und setzte sich schon nach der Einführungsrunde mit einem kräftigen Tempovorstoß von ihren Konkurrentinnen ab. „Ich bin einfach losgelaufen und wollte mein Rennen laufen. Nervös war ich eigentlich nur in der Hinsicht, dass es mein letztes U20-Rennen sein würde!“
Und es wurde ein überzeugender Abschluss unter einer letztlich atemberaubenden Saison 2016 mit der krönenden Olympia-Halbfinal-Teilnahme, dem U20-WM-Bronzeplatz und überzeugenden Leistungssteigerungen auf allen Strecken zwischen 800 m und 10 km. „Ich bin nur glücklich!“ gestand sie den wartenden Journalisten in der Mixedzone. „Da ich wegen einer Ehrung der Landesregierung erst am Samstagabend hier in Chia ankam, konnte ich mir nicht einmal die Strecke anschauen. Aber es war kein Problem, nur wären mir Hindernisse lieber gewesen…!“
Mit 17 Sekunden Vorsprung vor der Dänin Anna Emilie Möller und der Vorjahreszweiten Harriet Knowles-Jones hätte die Laufdemonstration von Konstanze kaum überzeugender ausfallen können als auf dem Naturgelände unweit der Mittelmeerküste. Um eine Sekunde geschlagen lief Alina Reh diesmal als Vierte ins Ziel. „Ich ärgere mich selbst über meinen Start. Vielleicht muss ich doch einmal die Ellbogen einsetzen!“
Die Ulmerin hatte wie schon in Thoulon-Hyères einen schwachen Start und musste sich durch einen Großteil des mit 82 Starterinnen größten Teilnehmerfeldes der gesamten Veranstaltung durchkämpfen. „Das hat so viel Kraft gekostet“, analysierte Alinas Trainer Jürgen Austin-Kerl, der die 19jährige seit ihrem Ermüdungsbruch im April betreut. „Und diese hat ihr im Kampf um Bronze gefehlt!“
Doch Alina konnte mit etwas Abstand zum Zieleinlauf auch ihrem Auftreten in Chia vieles Positive abgewinnen: „Nach diesem doch eher mäßigen Jahr war dies ein guter Abschluss der Saison!“ Die stark verjüngte deutsche Mannschaft wurde mit der wie bei den Berglauf-Weltmeisterschaften auf Rang 18 einlaufende Lisa Oed und Miriam Dattke (Rang 34) mit 57 Punkten hinter Groß-Britannien (33) Vize-Europameister.
Die Niederlande holte Bronze vor Frankreich und Spanien unter vierzehn Teams.
Mit großem Selbstvertrauen gingen die U23-Juniorinnen in den über 6000 m führenden Wettbewerb – allen voran Anna Gehring und Caterina Granz, die bei ihren Rennen in Darmstadt und Tilburg mit starken Leistungen überzeugen konnten. Die Überraschung war dabei sicherlich die gerade erst 20 Jahre alt gewordene Anna Gehring, die sich mit zunehmender Streckenlänge mit der haushohen Favoritin Sofia Ennaoui aus Polen an der Spitze duellierte.
Im Sprint hatte die 1500 m-Olympiazehnte nicht zuletzt aufgrund ihres 1500 m-Hausrekord von 4:01,00 das bessere Ende für sich. „Für mich ist es unfassbar, im ersten U23-Jahr gleich Vize-Europameisterin zu werden!“ Die frühere Triathletin hat sich inzwischen für den Laufsport entschieden – und dieser Erfolg gibt der Läuferin des SC Itzehoe recht.
„Entscheidend ist natürlich für mich, dass ich jetzt ein komplettes Jahr verletzungsfrei laufen konnte. Aber eigentlich wollte ich in Chia lediglich Erfahrungen sammeln! Unfassbar!“
Auch die letztlich auf Rang sechs einlaufende Caterina Granz konnte diesen Erfolg nicht recht glauben. „Ich wußte zwar nach meinem Sieg in Darmstadt vor Julia Bleasdale, dass ich eine gute Form habe, aber als 1500 m-Läuferin habe ich gegen die Langstrecklerinnen über eine Distanz von 6 km eher keine Chance. Doch es lief wirklich gut, vielleicht kam mir auch die Streckenbeschaffenheit entgegen!“
Im Verbund mit der neuntplatzierten Carolin Kirtzel, die sich nach einer langwierigen Knochenhautreizung erst zur Cross-Saison zurückmelden konnte, und Cross-Routinier Maya Rehberg (16.) holten die DLV-Juniorinnen auch hier hinter Groß-Britannien mit 33 Punkten die Silbermedaille.
Fast hätte es bei den U23-Junioren durch Amanal Petros eine weitere Medaille gegeben, doch der Vorjahresdritte hatte in einem überaus spannenden Rennverlauf, bei dem die Favoriten bis in die Schlußrunde hinein, dichtauf an der Spitze liefen, das Nachsehen und landete hinter isaak Kimeli (Belgien), Carlos Mayo (Spanien) und dem letztjährigen U20-Sieger Yemaneberhan Crippa (Italien) auf Rang vier, dicht gefolgt vom Titelverteidiger Jonny Davies (Groß-Britannien) und dem für Schweden startenden Napoleon Salomon.
Der Abstand zu Silber betrug für den 20jährigen des SV Brackwede gerade einmal acht Sekunden. „Mir hat am Ende die Schnelligkeit gefehlt, die die anderen offenbar hatten. Das Tempo hätte ich noch länger laufen können, doch nicht schneller. Ich habe es versucht, doch es hat nicht gereicht!!“ so der enttäuschte Amanal Petros.
Die deutsche Mannschaft mit Amanal Petros, Tobias Blum (21.), Kidane Tewolde (24.) und Patrick Karl (32.) wurde Fünfte und verwies nach einem spannenden Duell Frankreich auf Rang sechs.
Mit Marvin Heinrich (24.), Jannik Seelhöfer (27.), jens Mergenthaler (41.) und Lukas Eisele (43) wurde das deutsche U20-Team Siebter.
Nach einem spannenden Rennen gewann der Norweger Jakob Ingebrigtsen, der jüngere Bruder der 1500 m-Europameister Henrik und Filip, überraschend deutlich vor Yohannes Chiappinelli (Italien) und Mahamed Mahamed (Groß-Britannien) und ist mit gerade einmal 16 Jahren der jüngste Europameister.
Sowohl bei den Frauen als auch bei den Männern liefen die aus Kenia stammenden Yasemin Can und Meryem Akda bzw. Aras Kaya und Polat Kemboi Arikan ein eigenes Rennen an der Spitze der nicht gerade schwachen Elitefelder. Die zweifache Europameisterin Can holte sich in Chia über 7970 m einen weiteren Titel vor ihrer einstigen und auch jetzigen Landsfrau Meryem Akda.
Mit einem Rückstand von 40 (!) Sekunden wurde die Olympiasechste Karoline Bjerkeli Grovdal beste Europäerin, gefolgt in einer dichten Gruppe von Ancuta Bobocel (Rumänien) und Fionnuala McCormack, die mit nunmehr 14 Starts bei Europameisterschaften die „dienstälteste“ Läuferin im Feld war.
Während es bei Julia Bleasdale (30.) von Beginn an nicht recht lief, überzeugte Fabienne Amrhein als Zanzigste mit einem disziplinierten Lauf und dem nötigen Selbstvertrauen für ein derartiges Rennen. „Schön, wenn es von Jahr zu Jahr besser geht. Mit dieser Platzierung bin ich total zufrieden!“
Natürlich hätte sich Julia Bleasdale einen besseren Start im deutschen Nationaltrikot gewünscht, doch sie zieht dennoch eine positive Bilanz: „Ich bin nach einer langen Verletzungspause zurück, hätte mir natürlich ein besseres Abschneiden gewünscht. Doch ich musds feststellen, dass mir die harten Tempoläufe fehlen!“
Die deutsche Mannschaft mit zudem Jana Sussmann (35.) und Anja Scherl (42) kam auf Rang sieben.
Als „Einzelkämpfer“ mußte Florian Orth ins abschließende Männerrennen über 9.940 m gehen, da der DLV auf die Entsendung einer Mannschaft verzichtete. Als eigentlicher Mittelstrecken-Spezialist zeigte sich der 27jährige Regensburger in den beiden Einführungsrunden in der Spitzengruppe, mußte aber im weiteren Rennverlauf erkennen, dass sein Start in Chia „ein Satz mit x“ (so der sichtlich enttäuschte Florian Orth im Ziel) werden würde. „Heute war so ein Tag, wo du lieber aussteigen würdest, als dann irgendwo um Rang vierzig ins Ziel einzulaufen!“
Und fügte selbstkritisch an: „Die Saison war meine bislang beste und sehr lang, die Erholungsphase dann sicherlich etwas zu kurz. Aber es gibt einen Neustart im kommenden Jahr…“ blickt Florian Orth bereits ins WM-Jahr mit dem Saisonhöhepunkt in London.
Wilfried Raatz