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2022

EM-Qualifikation der Frauen mit v. l. Elena Burkard, Adeline Haisch, Nele Weßel, Anneke Vortmeier und Kim Bödl - Foto: Tomas Ortiz-Fernandez.

Spannende Rennen beim 36. Darmstadt-Cross 2022 – Nele Weßel und Jens Mergenthaler gewinnen überraschend die EM-Qualifikationen – von Ludwig Reiser

By GRR 0

Termindichte bringt Probleme sowohl für den neu belebten Deutschen Cross-Cup als auch für die Cross-Veranstalter

Klangvolle Namen, spannende Rennen – und typisches Crosswetter mit etwas Sonne, mehr tiefhängenden Wolken und kurzzeitig kräftigem Regen, wertfreies Fazit des Darmstadt-Cross, der sich mit seiner 36. Auflage mit allerdings gewissen Abstrichen in die honorige Reihe herausragender Events in Sachen Crosslauf bestens einfügen konnte.

Mit 350 Crossfreunden blieb die Resonanz doch beträchtlich hinter den ansonsten im Südhessischen gewohnten Starterfeldern zurück. „Die Gründe liegen auf der Hand“, erläuterte Wilfried Raatz, der einmal mehr mit seinem Mitarbeiterteam in mustergültiger Manier eine Veranstaltung vom Feinsten ins Gelände brachte. „Corona bedingt setzt sich offenbar der starke Teilnehmerrückgang nach der Straßenlaufsaison auch in der Crosslaufsaison fort. Aber den Hauptgrund sehen nicht wenige Trainer in der massierten Abfolge von Crossterminen mit den nunmehr am ersten Advent stattfindenden deutschen Meisterschaften.

Der Neustart des Deutschen Cross-Cup hätte ein besseres Echo verdient!“

Beim Deutschen Leichtathletik-Verband (DLV) wird man sich intensive Gedanken über die Terminstruktur im Cross machen müssen, vor allem wenn eine über viele Monate währende Bahn- und Straßenlauf-Saison kaum ausreichende Regeneration und keinen vernünftigen Neuaufbau zulassen. „Durch die dichte Terminfolge mit DM und Deutschem Cross-Cup amputiert man unweigerlich die Traditionsveranstaltungen wie es der Darmstadt-Cross mit nunmehr 36 Auflagen ist“, so Wilfried Raatz, der einst nicht nur den Darmstadt-Cross, sondern auch den Deutschen Cross-Cup ins Leben gerufen hatte.

Für die Macher des traditionsreichen Darmstadt-Cross auf dem idealen Terrain unweit des Sport- und Freizeitzentrums in der Heimstättensiedlung galt jedoch das Prinzip: Nicht klagen, sondern mit Weitblick organisieren. So wurde das Wettbewerbs-Angebot gekürzt, die angebotenen Laufstrecken angesichts der eine Woche später folgenden Titelkämpfen ebenso. So betrug die „Langstrecke“ lediglich 6 100 m, die Frauendistanz nur 4 300 m. Mehr oder weniger eine Tempospritze für die Titelkämpfe. Neben den Wettbewerben im Deutschen Cross-cup mußten allerdings zwei neue Wettbewerbe kreiert werden, die mit namhafter Besetzung das „Salz in der Suppe“ jedenfalls waren, die Qualifikation für die Mixed-Staffel bei den Europameisterschaften in Turin (11. Dezember) über 1800 m.

Darmstadts Bürgermeisterin und Sportdezernentin Barbara Akdeniz freute sich mit den Machern des Darmstadt-Cross über eine durchweg gelungene Fortsetzung der Crosstradition und nannte die Veranstaltung zusammen mit dem Stadtlauf als Highlight im Sportkalender der Wissenschaftsstadt.

Die EM-Qualifikationsläufe waren zweifellos der Höhenpunkt des diesjährigen Darmstadt-Cross, bei denen sich jeweils zwei Frauen und zwei Männer für einen Staffelplatz empfehlen konnten. Ob der DLV allerdings eine Staffel nach Norditalien schicken wird, das wird erst nach den deutschen Meisterschaften in Löningen entschieden. Eines jedenfalls konnten die anwesenden Trainer in Darmstadt feststellen, mit Mut und Kampfstärke wussten sich mit Nele Weßel und Elena Burkard bzw. Jens Mergenthaler und Marc Tortell vier Athleten eindrucksvoll in einem leistungsstarken Feld durchsetzen.

Die kurze und komplett flache Distanz über drei Sprintrunden von jeweils 600 m ließ allerdings die Rennausgänge lange offen. Bei den Frauen imponierte die gewiss crosserfahrene Elena Burkard mit forscher Führungsarbeit, der letztlich nur noch Nele Weßel folgen konnte. Die Tochter der früheren deutschen 10.000 m-Rekordhalterin Katrin Weßel (Ullrich) ging in der Schlussrunde aus dem Windschatten der Hindernisspezialistin an die Spitze und lief nach 6:13 Minuten mit zwei Sekunden Vorsprung auf Elena Burkard als Siegerin über die Ziellinie. „Natürlich bin ich sehr zufrieden“, gestand die 23jährige im Trikot von Eintracht Frankfurt. „Ich hätte nicht gedacht, dass ich dieses Rennen gegen die starke Crossläuferin Elena Burkhard gewinnen würde!“ Und freute sich zudem, dass sie damit mit ihrer Mutter als Siegerin eines Laufes in Darmstadt gleichziehen konnte, denn diese hatte 1991 den seinerzeit noch unter „Cup da Franco“ firmierenden atmosphärischen Stadtlauf vor starker Konkurrenz gewonnen.


EM-Qualifikation der Männer mit Jens Mergenthaler (Bildmitte mit schwarzem Dress), rechts daneben Marc Tortell. – Foto: Tomas Ortiz-Fernandez.

 

Hinter Nele und Elena folgte dichtauf die kurzentschlossen nachmeldende Carolin Kirtzel mit einer Sekunde Rückstand. Ohne Chance auf den Ausgang an der Spitze blieben dabei Svenja Pingpank sowie die beiden U20-Team-Europameisterin Anneke Vortmeier Mia Jurenka.

Eine starke Vorstellung gab Jens Mergenthaler, der sich an der Spitze aller Angriffe zu erwehren wusste und in 5:14 Minuten mit ebenfalls zwei Sekunden Vorsprung vor Marc Tortell ins Ziel einlaufen konnte. „Ich wollte von Anfang an das Tempo bestimmen, denn im Spurt wäre ich gegen die starken Mittelstreckler chancenlos gewesen!“ kommentierte der eigentliche Hindernisspezialist des SV Winnenden seine Strategie. „Zwischenzeitlich dachte ich, ich komme noch mal ran“, berichtete Marc Tortell beim Interview. „Ich komme immer wieder gern nach Darmstadt“, gestand der Student für Grafik-Design, der übrigens als Schüler schon beim Darmstadt-Cross erfolgreich war und übrigens nur wenige Kilometer entfernt im Vorjahr sogar hessischer 10 km-Straßenlaufmeister werden konnte.

Auf Christoph Kessler hatten nicht wenige im Vorfeld gesetzt, doch dem Karlsruher fehlte nach einer langen Saison mit den Meistertiteln über 800 m (Halle) und 1500 m (Freiluft) und den Start in Eugene und München der Kick im engen Zielsprint, sodass er sich nach 5:20 Minuten mit Rang drei begnügen musste. Vierter wurde der 800 m-Meister 2021 Marvin Heinrich vor seinem Eintracht-Teamkollegen Sam Blake.

Um Cross-Cup-Punkte ging es bei den Wettbewerben der männlichen und weiblichen U18, U20, U23 sowie Männer und Frauen – bei allerdings sehr magerer Resonanz. Darmstadt war dabei bereits die dritte Station der heuer fünfteiligen Serie mit München und Pforzheim sowie den nunmehr noch folgenden Veranstaltungen DM in Löningen und Weinstadt. Trotz der ausgelobten Prämien bei den Nachwuchsläufen und den zusätzlich in Darmstadt ausgegebenen Prämien für die Männer und Frauen sowie die EM-Qualifikation und im Cross-Sprint war angesichts der anstehenden deutschen Meisterschaften die Beteiligung selbst mit den in Darmstadt geplanten Veränderungen enttäuschend.

An der Spitze des Frauen- und U20-Laufs über 4 300 m entbrannte ein Zweikampf zwischen der U20-Meisterin 2021 in der U20 Mia Jurenka und der nur regional bekannten Jessica Keller. Die 21jährige im Trikot der TG Worms witterte in der Schlußrunde ihre Chance und gewann nach 15:33 Minuten doch deutlich vor Mia, die zehn Sekunden dahinter auf Rang zwei folgte. „Eigentlich wollte ich Druck machen“, gestand Mia Jurenka, „als ich aber gesehen habe, wie stark Jessica ist, habe ich einen Gang herausgenommen, um für die Kurstrecke Kräfte zu sparen!“

Rang drei sicherte sich die U20-WM-Starterin Julia Rath vor der U23-Läuferin Marie Winse. Auf Rang fünf dann schon die U18-Siegerin Emily Junginger. Gegen die starken Nachwuchsläuferinnen hatten es die Frauen in diesem Wettbewerb schwer, so lief die Frauensiegerin (Kathrin Lehnert) erst auf Rang zehn, gefolgt von der W45-Siegerin Simone Raatz, die einmal mehr auch gegen weitaus jüngere Konkurrentinnen zu überzeugen wußte.

Im Männer- und U20-Wettbewerb stellte sich mit dem Äthiopier Yihun Fantahun Gezahign ein neues Gesicht in der deutschen Laufszene vor, der mit einer läuferischen Eleganz das Rennen der rund fünfzig Starter nach Belieben dominierte. Der Neunzehnjährige ist seit drei Monaten im hessischen Lorsch angesiedelt und holte sich vor Wochenfrist schon den Landestitel über die Langstrecke. 2017 war Yihun übrigens Zweiter bei den Afrikameisterschaften über die 1500 m-Strecke bereits geworden – und träumt nun von einer Laufkarriere über vornehmlich 5000 m.

Der 17jährige Elias Matthäus vom niedersächsischen SC Kirchweyhe und Westerweye wurde Zweiter in 20:38 min, dahinter gleich drei Läufer des luxemburgischen Vereins Celtic Diekiirch mit dem 18fachen Landesmeister Bob Bertemes an der Spitze.

Dramatisch ging es bei den 600 m-Finalläufen zu, die beim Darmstadt-Cross eine tolle Bereicherung der Wettbewerbsfolge darstellen. Bei den Frauen trennten Lara Tortell und Lucia Sturm lediglich sieben Hundertstelsekunden, sodass beide auf Position eins mit der ausgelobten Prämie gesetzt wurden. Männersieger wurde Christoph Kesslers jüngerer Bruder Alexander Kessler mit Zentimeterabstand vor Alexander Niemela und dem zuletzt zweimaligen Sieger Omar Jammeh. Eine der weitesten Anreise dürfte der U20-Sieger Karl Löbe gehabt haben, denn er kommt aus dem Schleswig-Holsteinischen SC Rönnau.

Naturgemäss viel Gedränge gab es bei den Crossläufern in spe, denn große Startfelder bei den Jüngsten sind ebenso Tradition beim Darmstadt-Cross wie eigentlich die prall gefüllten Apfeltüten. Als Lohn für ihre (oftmals) ersten Crosserfahrungen gab es für die Wettbewerbsschnellsten allerdings die aktuell kreierte „Cross-Mütze“ mit dem Emblem des Darmstadt-Cross.

Die Macher des Darmstadt-Cross, der in einem kurzweiligen Drei-Stunden-Programm auf dem idealen Crossgelände abgewickelt werden kann, sind damit erstmals abgekehrt von einer geliebten Tradition mit knackigen Äpfeln. Sicherlich auch geschuldet den gestiegenen Einkaufspreisen für diesen liebenswerten Vitaminschub.

Ludwig Reiser

 

 

author: GRR