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24
08
2022

EM München 2022 - Foto: Horst Milde

SONNENSCHEIN UND DUNKLE WOLKEN – Eine ehrliche Bilanz der Leichtathletik Europameisterschaft von München 2022 – Von Dr. Wolfgang Blödorn

By GRR 0

Für den Deutschen Leichtathletik-Verband (DLV) endeten die Leichtathletik-Europameisterschaften im Rahmen der European Championships wie das Wetter in München. Es gab strahlenden Sonnenschein, aber auch dunkle Wolken mit kräftigen Regengüssen.

Die Zuschauer ließen sich von den Wetterkapriolen allerdings nicht davon abhalten, die DLV-Sportler mit Beifall zu unterstützen und zu belohnen. Insgesamt zeigten sich die Zuschauer auf den Rängen und in den Straßen begeisterungsfähig.

Ein Freudenfest für den DLV und seine von ihm organisierten Athletinnen und Athleten waren die Europameisterschaften allerdings nur bedingt.

1540 Athleten und Athletinnen aus 47 Nationen kämpften sieben Tage lang um 150 Medaillen. Die deutschen Leichtathleten konnten insgesamt 16 Medaillen, davon sieben Mal Gold und Silber, im Wettstreit mit den europäischen Leichtathleten gewinnen.

Dies ist Platz eins in der Medaillenwertung vor Großbritannien. Großbritannien gewann allerdings mit 20 mehr Medaillen als der DLV und zeigte damit eine größere Leistungsbreite.

Mit ihren gewonnenen Medaillen kamen die Leichtathleten des DLV dem Ergebnis im Medaillenspiegel von vier Jahren in Berlin nahe. Während die Medaillenausbeute im DLV-Team im Vergleich zu 2018 in Berlin von 19 auf 16 sank, konnte sich Großbritannien von 17 auf 20 steigern. Zusätzlich muss man berücksichtigen, dass von den 16 Medaillen für das DLV-Team je einmal Gold und Silber in Wettbewerben gewonnen wurden, welche 2018 noch nicht im Programm der Europameisterschaften standen. In einem fairen Vergleich sieht die DLV-Bilanz Berlin zu München mit 19:14 schon nicht mehr ganz so positiv aus.

Zufrieden darf man im DLV mit diesem Ergebnis auf keiner Ebene sein!

Die negative Tendenz der Leichtathletik in Deutschland – auch auf dem europäischen Kontinent – setzte sich damit fort. Selbst wenn der Absturz bei den Europameisterschaften nicht ganz so steil war als bei den Weltmeisterschaften in Eugene, sondern eher moderater. Aber Europa ist ja schließlich auch nicht die Welt!

Dieser Trend muss den Verantwortlichen im DLV große Sorgen machen. Ein Schulterklopfen und ein Aufatmen, dass man noch einmal davongekommen sei, kann nicht die Perspektive der deutschen Leichtathletik und des DLV sein. Personelle, strukturelle und organisatorische Änderungen müssen drängend und schnell angegangen werden, damit der DLV zumindest bei den Olympischen Spielen 2028 in Los Angeles die negative Entwicklung umdrehen kann!

Gina im Glück – Der Block Sprint

Gina Lückenkemper hat erfolgreiche fünf Wochen hinter sich. Zwei Goldmedaillen bei der EM in München und eine Bronzemedaille in Eugene. Eine Ausbeute, die sich sehen lassen kann. Begünstig wurden diese Erfolge allerdings auch durch Verletzungen bzw. Patzen bei Staffelwechseln ihrer Konkurrentinnen. Dies soll ihre großartige Leistung nicht relativieren, nur einordnen. Ihre und die Erfolge in den 4×100 m-Staffeln überstrahlen die Defizite im Block Sprint.

Die Viertelmeiler haben in keinem der internationalen Meisterschaften den Sprung in das Finale geschafft. Auch in den beiden 4×400 m-Staffeln reichten die Einzelleistungen nicht aus, um bei der EM in die Medaillenrängen zu laufen.

Die 200 m-Läuferinnen und Läufer konnten nur in München jeweils einen Starter ins Finale bringen. Eine Medaille wurde ihnen allerdings deutlich verwehrt. Nur Lückenkemper schaffte es bei der EM von den Frauen und Männern ins Finale über 100 m. Bei allen anderen war im Halbfinale der Wettkampf bereits beendet.

Über die 400 m-Hürden brachten es Abuaka und Krafzik zumindest in München fertig, das Finale zu erreichen. Alle anderen scheiterten schon im Vorlauf oder Halbfinale.

Bei den Kurzhürden war bereits nach dem Vorlauf bzw. dem Halbfinale Schluss für die beiden deutschen Teilnehmer.

Zusammengefasst darf man festhalten, die Sprinter laufen bei den Einzelwettbewerben in Europa am Rande mit. Im Weltvergleich können sie bei weitem nicht mithalten.

Düstere Zukunft – Der Block Lauf

Im Block Lauf muss zwischen den Wettbewerben im Stadion und auf der Straße unterschieden werden. Auf der Straße waren die Marathonis und die Geher auf europäischer Ebene top! Zur Weltspitze ist allerdings noch viel Luft nach oben, wie die Weltmeisterschaften in Eugene gezeigt haben.

Alle männlichen Mittelstreckler blieben im Vorlauf hängen.  Weder über 800 m noch über 1500 m  konnte man sich für das Halbfinale qualifizieren. Das Finale über 800 m der Frauen erreichte Hering, wenngleich sie als Siebente ohne eine echte Medaillenchance war. Dasselbe gilt auch für Klein und Trost über die 1500 m-Distanz.

Auf den Langstrecken konnten die fünf DLV-Starter lediglich zwei Plätze unter den ersten Acht erzielen. Von den sechs startenden Frauen über 5000 m und 10000 m gelang nur Klosterhalfen eine Medaille. Alle anderen kamen für Medaillenränge nicht in Frage.

Vier der sechs Startenden über 3000 m-Hindernis erreichten das Finale. Allerdings zeigte nur Meyer mit ihrer Silbermedaille, dass sie mit der europäischen Spitze mithalten kann und eine Perspektive für die Weltspitze besitzt.

Mit einer goldenen und einer silbernen Medaille auf der Rundbahn waren die Erfolge der Läuferinnen und Läufer im DLV schon sehr überschaubar. Für die meisten bei der EM Gestarteten ist der Weg zur Weltspitze noch sehr weit! Auch im Nachwuchsbereich sieht es nicht viel besser aus. So erscheint die Zukunft für den deutschen Mittel- und Langstreckenlauf sowohl auf europäischer als auch auf Weltebene leider nicht im rosigen Licht!

Höhen und Tiefen – Der Block Sprung

Drei Silbermedaillen waren das Ergebnis im Block Sprung. Sie wurden von Mihambo im Weitsprung der Frauen sowie von Lita Baehre im Stabhochsprung und Poyte im Hochsprung der Männer errungen.

Von den insgesamt 19 Athleten kamen noch vier weitere Teilnehmer ins Finale der besten Acht. Enttäuschend war der Stabhochsprung der Frauen und der Weitsprung der Männer. Für den Vorkampf konnte sich hier nicht qualifiziert werden. Der Weg zum Weltstandard ist für diese beiden letztgenannten Disziplinen scheinbar nicht gangbar.

Im Dreisprung waren nur drei Frauen am Start. Hier erzielte Eckhardt-Noack in der Qualifikation eine neue Bestweite. Die beiden anderen blieben im Qualifikationswettkampf deutlich hinter ihren Vorleistungen zurück.

Der Block Sprung passte sich mit seinen Ergebnissen dem Wetter an. Mal so, mal so! Bis auf Mihambo und Eckhardt-Noack sowie Lita Baehre reicht keine Leistung an die Weltspitze heran. Die Hoffnungen für die Weltmeisterschaften 2023 in Budapest sind beschränkt.

Der große Wurf – Der Block Wurf

Der große Wurf gelang Weber im Speerwurf der Männer. Sein Gold war das i-Tüpfelchen im Wurfbereich. Bei den Frauen scheiterten zwei der drei Teilnehmerinnen bereits in der Qualifikation. Die verbliebene Dritte kam nicht über den Vorkampf hinaus.

Neben Weber stachen Pudenz und Vita im Diskuswurf der Frauen mit Silber und Bronze hervor. Das war es dann aber auch im Block Wurf. Besonders schwach waren die Diskuswerfer, welche in der Vergangenheit der letzten Jahre durchaus immer für eine Medaille gut waren. Ihre Leistungen in der Qualifikation waren weit von den Vorleistungen entfernt.

Die Kugelstoßerinnen konnten nahezu an ihre Vorleistungen anknüpfen. Immerhin gelang allen drei Starterinnen der Sprung ins Finale. Für den einzigen Kugelstoßer war der Wettkampf nach dem Vorkampf beendet.

Im Hammerwerfen stand die einzige deutsche Teilnehmerin auf verlorenen Posten.

Insgesamt gesehen scheint der Block Wurf den Zenit seiner internationalen Leistungsfähigkeit mit vielen Medaillen überschritten zu haben. Nur im Speerwurf der Männer und im Diskuswurf der Frauen ist beim Weltstandard „Land in Sicht“.

In der Summe positiv – Der Block Mehrkampf

Im Block Mehrkampf beendeten zwei Startende ihren Wettkampf nicht. Von den verbleibenden Vier gelang es Kaul mit einer großartigen Steigerung in den beiden letzten Disziplinen noch, die Goldmedaille zu gewinnen. Weitere zwei Plätze im Finale stehen darüber hinaus zu Buche. Der alte Europameister genoss seine Abschiedstournee, konnte aber bei weitem nicht an seine alten Leistungen anknüpfen.

Der Block Mehrkampf – so scheint es jedenfalls zurzeit – macht im DLV am wenigsten Sorgen.

Zum guten Schluss?

Mit acht persönlichen Bestleistungen (3x Männer; 5x Frauen) sowie zehn Saisonbestleistungen (3x Männer; 7x Frauen) der Nominierten in den Einzeldisziplinen war die Jahresvorbereitung auf die Europameisterschaften besser als die zur Weltmeisterschaft. Dabei ist die WM mit Sicherheit höher zu bewerten als die EM.

War dies so geplant oder konnten sich die Athletinnen oder die Athleten nicht für die WM motivieren, weil sie sich dort – wie das Medaillenergebnis der WM zeigt -, keine Chancen ausrechneten? Wie dem auch sei. Träfe nur eines zu, muss man hinterfragen, was der DLV oder die Athleten und Athletinnen unter Leistungssport verstehen. Auf jeden Fall aber – dies gilt auch für die WM – hätte das Ergebnis für den DLV und seine Leichtathleten sichtbar besser aussehen können, wenn es den Bundes- und Heimtrainern gelungen wäre, eine optimale Periodisierung zu leisten. Hieran hapert es seit langem!

Die große Anzahl der vom DLV nominierten Athletinnen und Athleten stand bereits vor der EM in der öffentlichen Kritik. Von den 34 Sportlern, welche die Leistungsnorm 2022 nicht erfüllt hatten, konnte nur Eine beim Wettkampf in München die geforderte Qualifikationsleistung nachreichen. 33 Leichtathleten haben demnach auch bei der EM in München die geforderte Leistungsnorm nicht geschafft. Hierunter auch ältere Athletinnen und Athleten, so dass man die Nominierung durch den DLV nur bedingt dadurch begründen könnte, die Sportler sollten Erfahrung sammeln. Aus welchen Gründen der DLV so großzügig nominiert hat, bleibt sein Geheimnis. Vermutungen allerdings darf man anstellen …

Die Heim-Europameisterschaft sollte auch dem letzten Optimisten vor Augen geführt haben, in der deutschen Leichtathletik unter der Führung des Deutschen Leichtathletik-Verbandes gibt es ernsthafte Probleme. Eine Demontage aber verdient die Basis der Leichtathletik, die Athleten und die Heimtrainer vor Ort im Verein nicht.

Die Probleme sind im DLV personell, strukturell und organisatorisch anzusiedeln. Sie zu beheben ist eine Herkulesarbeit für das ehrenamtliche DLV-Präsidium. Die Arbeit muss jedoch umgehend angegangen werden. Erfolge des Umbaues dürfen allerdings noch nicht unbedingt für die Olympischen Spiele 2024 in Paris erwartet werden. Dies wäre eine Illusion. Dazu ist die Erneuerung des DLV zu komplex und braucht seine Zeit.

Die Behebung der Defizite wird sich bis 2028 hinziehen und die Erneuerung des Leistungssports im DLV vielleicht erst bei den Olympischen Sommerspielen in Los Angeles Auswirkungen zeigen. Vorausgesetzt, das DLV-Präsidium findet jetzt die Kraft und den Mut als ehrenamtliches Kontrollgremium den für den Leistungssport im DLV hauptamtlich Tätigen zu Innovationen zu drängen. Nahezu alle Probleme im DLV sind hausgemacht. Kreative organisatorische, personelle und strukturelle Änderungen erscheinen dringend notwendig.

Eine weitere Schönrederei des Standes der Leichtathletik im internationalen Vergleich wäre kontraproduktiv!

Der DLV wäre gut beraten, auf seine Kritiker zuzugehen und sie in den Prozess der Erneuerung der deutschen Leichtathletik mit einzubeziehen. 

Dr. Wolfgang Blödorn

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