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2017

WR: 2:02:57 Stunden, gelaufen 2014 von dem Kenianer Dennis Kimetto in Berlin. ©Victah Sailer

Soll das 2 Stunden Marathon-Spektakel vom Marathon-Doping ablenken? Von KLAUS BLUME

By GRR 0

Ist es nur eine geniale PR-Nummer in einer Zeit, in der unter den besten Läufern der Welt Doping allgegenwärtig zu sein scheint? Am 6. Mai wollen drei Afrikaner für den amerikanischen Sportartikel-Konzern Nike erstmals einen Marathonlauf (42, 195 Kilometer) unter zwei Stunden zurücklegen.

An einem Tag, an dem vor 63 Jahren schon einmal eine sogenannte Schallmauer durchbrochen wurde. Seinerzeit durcheilte der britische Neurologe Sir Roger Bannister die englische Meile nach 1609 Metern als Erster unter vier Minuten – in 3:59,4. 

63 Jahre später wollen der Kenianer Eliud Kipchoge, der Äthiopier Lelisa Desisa und Zersenay Tadese aus Eritrea 42, 195 km unter zwei Stunden zurücklegen – auf der Formel-1-Piste im italienischen Monza.

Ein gigantisches Unternehmen. Insider sprechen von 35 Millionen Dollar Vorbereitungskosten. Was aber bei weltweit 500 Marathonläufen per annum unter den Volksläufern auch ein gigantisches Geschäft verspricht.

Egal, ob am 6., 7. oder 8. Mai – wann, hängt vom Wetter ab – eine Siegerzeit von 1:59:59 Stunden zu Buche steht. Der Umsatz des längst annoncierten Weltrekord-Schuhs wird boomen, wahrscheinlich wie kaum ein anderes Sportgerät zuvor.

Die Marketing-Experten sagen, es sei dabei unerheblich, ob der angepeilte Rekord vom Internationalen Leichtathletik-Verband (IAAF) als regelkonform anerkannt werde oder ob die 2:02:57 Stunden, gelaufen 2014 von dem Kenianer Dennis Kimetto in Berlin, weiterhin die Spitze der Rekord-Annalen zieren; mit dem Monster-Rennen von Monza, das prophezeit auch Kipchoges als Läufer wohlhabend gewordener Trainer Patrick Sang, würde so oder so ein Hype losgetreten, den niemand mehr stoppen könne.

Wobei es allerdings Kimetto war, der mit seinem Berliner Weltrekord – unbeabsichtigt – die wissenschaftliche Jagd um das Projekt „Marathon unter zwei Stunden" eröffnet hat. 

Die ersten Berechnungen für  einen solchen Lauf entwickelte kurz darauf Professor Yannis Pitsiladis von der Universität Brighton; ein Mann, dessen wissenschaftliche Arbeiten über ähnliche Projekte schon immer viel Beachtung in der Szene gefunden haben und der seit Jahren mit den äthiopischen Olympiasiegern Haile Gebreselassie und Kenenisa Bekele zusammenarbeitet.

Pitsiladis unterbreitete Bekele die Idee, einen Rekordversuch unterhalb des Meeresspiegels zu unternehmen; also dort, wo mehr Sauerstoff vorhanden ist.  Pitsiladis dachte an eine Piste am Toten Meer. Doch Bekele winkte ab, auch dort hielt er allenfalls eine Zeit von 2:01:30 Stunden für möglich. Sein Vertragspartner Nike sprach ihn nie mehr darauf an. 

Stattdessen aber wandte sich Nike an Kipchoge, Desisa und Tadese, was in der Szene erstaunt kommentiert wurde. Zumindest im Falle von Desisa und Tadese.

Während Kipchoge von seinen bisher acht Marathonläufen sieben gewinnen konnte, hat Desisa seit 2013 kein herausragendes Rennen mehr gezeigt; so rangiert er in der ewigen Bestenliste nur noch auf Platz zwanzig. Tadese gilt wegen seiner Erfolge auf dieser Distanz zwar als „Mister Halb-Marathon", doch alle Versuche über die doppelt so lange Marathonstrecke endeten stets mit einer Pleite, wie 2012 in London, wo er erst nach  indiskutablen 2:10:41 Stunden ins Ziel kam.

Warum also hat Nike diese Drei für ein so ungewöhnliches Projekt ausgesucht?

Kipchoge (32), der seit 15 Jahren im kenianischen Hochland bei Patrick Sang trainiert, einst einer der schnellsten Hindernisspezialisten der Welt, gehört zweifellos zu den talentiertesten Läufern der Sportgeschichte. Er war bereits 2003 in Paris Weltmeister über 5000 Meter und dreizehn Jahre später in Rio de Janeiro Olympiasieger im Marathonlauf. Eine ganz und gar ungewöhnliche Karriere!

Aber noch etwas ist außergewöhnlich: Mit seiner 5000-Meter-Bestzeit von 12:46,53 Minuten (2004) nimmt Kipchoge in der ewigen Weltbestenliste Rang vier ein, mit 2:03:05 Stunden (2016) Platz drei in der Marathon-Geschichte. Eine Bandbreite, wie kein anderer Läufer. Wer sonst, als Eliud Kipchoge sollte also als Erster die 42,1905 km unter zwei Stunden laufen?

Doch was soll Tadese bei diesem Projekt? Die Nike-Wissenschaftler, die in ihrer zentralen Datenbank im amerikanischen Portland alles sammeln, was über einen Athleten zu sammeln ist, sind geradezu hingerissen von dessen Daten.

Er sei, verriet ein Wissenschaftler, „ökonomisch betrachtet, der Weltbeste"

Das heißt: Tadese benötigt weit weniger Sauerstoff als jeder andere Läufer; selbst dann, wenn er dabei schneller als jeder andere laufe. Ein Phänomen! Die bei der Europäischen Universität Madrid hinterlegten Studien seines spanischen Trainers Jeronimo Bravo würden jedoch noch weit mehr offenbaren – doch die gingen die Öffentlichkeit nichts an. „Allein schon wegen dieser Daten", so Bravo, „wird er in Monza auch nicht den Hasen für Kipchoge spielen."

Als „Hasen", als Pacemaker für die drei Rekord-Aspiranten, sind 18 andere Läufer vorgesehen, die sich ständig abwechseln sollen, und die teilweise erst in der Schlussphase einsteigen werden, um Kipchoge und Co. als Windschatten zu dienen. Wie der bereits 42-jährige Amerikaner Bernard Lagat, ein gebürtiger Kenianer. 2007 als Doppel-Weltmeister über 1500 und 5000 Meter superschnell, 2013 beim New Yorker Halbmarathon aber auch erstaunlich ausdauernd. Ihm zur Seite steht der 21-jährige Schweizer Julien Wanders. Er  hat extra in Kenia für Monza trainiert, und ist derzeit der schnellste Europäer im 10-Kilometer-Straßenlauf.

Nirgendwo scheint es demnach eine Schwachstelle zu geben, wäre da nicht Lelisa Desisas äthiopischer Coach Haji Adillo, bekannt auch als Trainer der zehnmaligen Weltmeisterin und dreimaligen Olympiasiegerin Tirunesh Dibaba. Ein Mann mit bemerkenswerten Fähigkeiten aber auch mit geradezu unheimlichen Verbindungen in dieser nur schwer durchschaubaren Szene. Zum Beispiel zu dem somalischen Trainer Jama Aden. Zu dessen Schützlingen gehört Tirunesh Dibabas Schwester Genezbe. Sie, die Weltmeisterin über 1500 Meter, wurde 2015 zur „Weltsportlerin des Jahres" gekürt; Jama Aden indes verschwand 2016 in einem spanischen Gefängnis. Er soll neben anderen Medikamenten auch das Blutdopingmittel EPO vertrieben haben.

Ist also das, was in den nächsten Tagen in Monza geplant ist, doch nur ein großer PR-Gag, um vom weltweiten Leichtathletik-Doping abzulenken?

Könnte sein. Doch wie auch immer: Nike-Konkurrent Adidas scheint auch auf diesen Zug aufspringen zu wollen. Mit Weltrekordler Kimetto und Ex-Weltrekordler Patrick Makau aus Kenia. Alles noch ungeheuer geheim. Doch auch, wenn derzeit (noch) niemand über dieses Projekt spricht, muss es ja kein Hirngespinst sein.

P.S. Ob in der Vorbereitung oder beim Rennen Doping-Kontrollen durchgeführt wurden ist bisher nicht überliefert.

Klaus Blume
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Marathon unter zwei Stunden? Bekele: „Nike hat mich nie gefragt“ – Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung

An der Schallmauer – 42,195 Kilometer in weniger als zwei Stunden – Breaking 2. – THOMAS HAHN in der Süddeutschen Zeitung

 

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