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09
02
2008

Die Weltklasseläufer wagen sich seit Wochen nur noch zu ausgesuchten Zeiten und in Gruppen hinaus zum Training, bestenfalls einmal am Tag statt dreimal wie zu guten Zeiten

So weit die Beine tragen – Kenias Läufer bemühen sich um Normalität im Krieg der Stämme – aber ihre Verdienste sind kein Schutz – Thomas Hahn in der Süddeutschen Zeitung

By GRR 0

Wir haben mehrfach Beiträge über die Situation in Kenia publiziert und wir verweisen auch auf dem Spendenaufruf zugunsten der Sportler in Kenia – siehe den link am Ende des Beitrags.

München – Bei all den Wirren konnte Bernard Lagat aus Kapsabet irgendwann nichts anderes mehr sagen, als dass der Sport eine Hoffnung sei. Er lebt längst nicht mehr in seinem kenianischen Geburtsort, sondern in Tucson/Arizona, er ist nicht einmal mehr Kenianer. In der Obhut des US-Leichtathletik-Verbandes hat er bei der WM in Osaka die Titel über 1500 und 5000 Meter gewonnen, und er ist froh, dass er nichts mehr zu tun hat mit dem etwas fahrigen kenianischen Verband.

Aber natürlich verliert niemand so leicht die Gefühle für sein Geburtsland, der Krieg der Stämme in Kenia nach den Wahlen vom 27. Dezember belastet ihn. Er macht sich Sorgen um seine Familie dort, er ist in ständigem Kontakt mit ihr, und so hat er in Interviews zuletzt zumindest ein bisschen Mut machen wollen mit dem Verweis auf die Kraft der kenianischen Läufer: Sie würden zurückkehren „und Kenias Namen wieder groß machen”, ganz bestimmt. „Sie haben Kenias Fahne immer überallhin getragen”, sagt Bernard Lagat ohnmächtig, „ich glaube, das ist es, was Kenia jetzt braucht, und die Athleten werden diejenigen sein, die das machen.”

Ob er recht hat, ist eine andere Frage, denn seit die Unruhen ausgebrochen sind, hat man nicht den Eindruck gewinnen können, als wäre eine Athleten-Biographie viel wert beim wütenden, mörderischen Mob. Die Volksgruppen der Kalenjin und Kikuyu jagen sich gegenseitig, getrieben von einem blinden Zorn, nachdem das Oppositionsbündnis ODM um Präsidentschaftskandidat Raila Odinga Präsident Mwai Kabila, einem Kikuyu, vorgeworfen hat, die Wahlen gefälscht zu haben. Gerade im Rift Valley, dessen Hochland Läuferkarrieren begünstigt und wo die wichtigsten Trainingsgründe liegen, lodert die Gewalt. Sportliche Verdienste schützen dort niemanden. Schon zu Beginn der Tumulte ermordeten Kikuyu den Kalenjin Lucas Sang, einen früheren Olympia-Starter über 400 Meter. Am gleichen Tag wurde Marathon-Weltmeister Luke Kibet von einem Stein am Kopf getroffen und entkam nur knapp den rachedurstigen Angreifern.

Todespfeile, Morddrohungen

Vor zwei Wochen traf den Marathonläufer Wesley Ng’etich beim Training in Ngong ein Pfeil tödlich. Und Moses Kiptanui, einst Hindernis-Weltmeister, heute Trainer, hat zuletzt in britischen Medien berichtet, die Polizei habe ihn über Dritte mit dem Tod bedroht. Dabei sei die Lauferei doch eine stammesübergreifende Sache: „Wir versuchen die Wirtschaft in diesem Land zu fördern.”

Die Weltklasseläufer wagen sich seit Wochen nur noch zu ausgesuchten Zeiten und in Gruppen hinaus zum Training, bestenfalls einmal am Tag statt dreimal wie zu guten Zeiten. „Du kannst hier jetzt nicht laufen, wenn es nicht ganz hell ist”, hat Hindernis-Weltmeister Ezekiel Kemboi im Guardian gesagt, „ich weiß, dass meine Chancen auf olympischen Erfolg sinken dadurch, aber ich habe die Wunden an Lucas Sangs Körper gesehen.” Shadrack Korir aus Eldoret, WM-Dritter über 1500 Meter, hat am Wochenende beim Meeting in Stuttgart erzählt, er habe zwei Wochen gar nicht trainieren können.

Und hinaus zu kommen aus dem Land, ist auch schwierig. Die Dörfer sind oft sicher, aber jeder Weg in die Stadt, etwa um sich ein Visum zu besorgen, ist gefährlich. John Litei, in Stuttgart über 800 Meter im Einsatz, erzählt, dass er seine Fahrt zum Flughafen in Eldoret nach seinen potentiellen Peinigern richtete: „Du stehst sehr früh am Morgen auf, bevor sie aufstehen.” Andere schaffen die Abreise nicht und verpassen einträgliche Starts.

Unter Kenias Läufern gibt es viele Kalenjin, aber auch Angehörige anderer Stämme. Keiner weiß genau, wie viele sich selbst beteiligen an den Ausbrüchen. „Sicherlich der ein oder andere”, sagt Walter Abmayr aus Heidelberg, der lange in Kenia lebte und eine kenianische Manager-Lizenz besitzt. Aber wohl doch eher die wenigsten, glaubt er: „Sie sind vernünftiger, weil Sportler generell weniger politisch sind.” Ihr Blick reicht über Kenias Grenzen hinaus, sie haben ein Auskommen, anders als die obdachlosen Gewalttäter dieses Krieges, und sie haben Ziele wie dieses Jahr Olympia, auf die sie nur in Frieden hinarbeiten können. Aber unter Verdacht stehen sie, das macht die Lage für jemanden wie Kiptanui so gefährlich. Sicherheitsbeamte beschuldigten ihn, Kalenjin-Gangs Waffen geliefert zu haben und Benzin, um Kikuyu-Häuser niederzubrennen. Gerade wohlhabende Kalenjin ziehen den Argwohn der regierungstreuen Kikuyu auf sich, mit ihrem Geld die Gewalt anzufachen. „Ich bin unschuldig”, ruft Kiptanui. Er ist zur Polizei gegangen, um den Drohungen gegen ihn auf den Grund zu gehen. Ergebnis: „Sie haben überhaupt keinen Schritt unternommen, um herauszufinden, warum sie mich bedrohen.”

„Es ist sehr schlimm im Moment”, sagt John Litei, „es gibt keine Konzentration.” Die Sorge lenkt ihn ab, auch jetzt, da er unterwegs ist, weil er seine Familie hat zurücklassen müssen. Bei ihren Einsätzen bemühen sich die Kenianer um größtmögliche Normalität, ganz hat sie ihre Schnelligkeit ja nicht verlassen, wie man am Wochenende bei Samuel Wanjiru sehen konnte, der wertvolle Trainingseinheiten an die Tumulte verlor, ehe er den Halbmarathon in Granollers/Spanien in starken 59:26 Minuten gewann.

Kraftlos gegen die Politik

Trotzdem zeigt Kenias Tragödie auch, wie kraftlos der Sport vor den Abgründen der Politik steht. Der Leichtathletik-Manager Alain Blondel sagt, er versuche aus Solidarität mehr Kenianer unterzubringen. Helmut Digel, Council-Mitglied der IAAF, sagt, der Weltverband sei ständig in Kontakt mit seinem Trainingscenter in Eldoret, um zu helfen, und werde bei der Hallen-WM in Valencia wohl eine Schweigeminute einlegen. Es gibt Spendenaufrufe über kenianische Läufer mit Kontakten ins Ausland. Und in Kenia haben schon wieder erste kleinere Rennen stattgefunden. Aber im Grunde kann der Sport doch keine Hilfe sein in dieser Krise.

Auch wenn der Weltmeister Lagat das gerne glauben will.

Thomas Hahn

Süddeutsche Zeitung, Donnerstag, dem 7. Februar 2008

Spendenaktion für Kenia – Aufruf zur Hilfe

Spendenaufruf

 

author: GRR

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