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10
09
2014

Kenenisa Bekele hält den Weltrekord über 10000 m auf der Bahn, konzentriert sich nach längerer Verletzungspause aktuell auf den Marathon mit einem Angriff auf den Weltrekord am 12. Oktober in Chicago. In Eugene (Foto) siegte er am 31.5.2013 in der allerdings recht moderaten Zeit von 27:12.08, fast eine volle Minute hinter seiner globalen Bestmarke. ©Victah Sailer

Sind die 10.000 m auf der Bahn ein Auslaufmodell? Helmut Winter berichtet

By GRR 0

Die Anzeichen sind so klar wie bedenklich: Am letzten Freitag war die längste Strecke (ohne Hindernisse) beim Finale der Diamond League des „Memorial Ivo van Damme“ in Brüssel die 1500 m.

In früheren Jahre hatte die belgische Hauptstadt traditionell sehr schnelle Rennen über 10000 m zu bieten; am 26. August 2005 lief dort Kenenisa Bekele (ETH) die noch heute gültige globale Bestmarke von 26:17:53.

Doch der legendäre Äthiopier bereitet sich aktuell nach seinem viel versprechenden Marathon-Debut beim Paris-Marathon im April auf eine Jagd nach dem Weltrekord beim Chicago-Marathon am 12. Oktober vor.

Und der aktuell vermeintlich beste Mann über die längste Bahnlangstrecke, Mo Farah, lief am gleichen Wochenende eindrucksvoll zum Sieg im Halbmarathon beim Great North Run in exakt einer Stunde.

Somit fehlten nach Aussagen des Managers Joes Hermens die Zugpferde für ein schnelles Rennen in der belgischen Metropole, und der Lauf wurde wie im Vorjahr aus dem Programm gestrichen. Damit war Brüssel keine Ausnahme, auch z.B. bei den Bislett Games im norwegischen Oslo fehlten die 10.000 m im Programm, wo völlig überraschend im Jahr 1993 der Kenianer Yobes Ondieki als erster Mensch die Schallmauer von 27 Minuten unterbot.

Vier Jahre später schraubte an gleicher Stelle einer der Superstars der Szene, der Äthiopier Haile Gebrselassie, den Weltrekord auf 26:31.32. Spitzenzeiten unter 26:30 wurden zuletzt vor knapp 10 Jahren erzielt, die TOP10-Liste aller Zeiten gestalten die beiden äthiopischen Ausnahmeläufer Haile Gebrselassie und Kenenisa Bekele fast im Alleingang.

Doch von solchen Tempojagden im Regime des Weltrekords kann man aktuell nur träumen, Hailes Erben haben nicht die Klasse und wenn, dann fehlen mittlerweile vor allem in Europa die adäquaten Startmöglichkeiten. Das Diktat der TV-Medien tut hier ein Übriges. Für Produzenten, die wenig Expertise in dem Metier haben, ist ein Lauf im Stadion über 25 Runden schlicht langweilig und für ein Format von Leichtathletik mit dem Diktat des Entertainments kaum noch zu vertreten.

Dabei sind es aber doch gerade die Entwicklung und Taktik in einem langen Rennen, die solche Wettbewerbe spannend machen.

Weshalb ein weniger als eine halbe Stunde dauernder Wettbewerb dem Zuschauer nicht zugemutet werden kann, verschließt sich der Logik schon insofern, als Halbzeiten in Fußballspielen und anderen Sportarten sogar länger dauern und sich über erhebliche Zeitspannen durch wenig nennenswerte Aktionen auszeichnen.

Dazu kommt eine Entwicklung, die weitgehend mit der (vor allem auch finanziellen) Aufwertung der Straßenläufe in Verbindung stehen, die mittlerweile den langen Bahnläufen das Wasser abgraben. Ein Blick in die Ergebnislisten der großen internationalen Marathonläufe in den letzten Jahren verraten den eindeutigen Trend, dass immer mehr junge Nachwuchstalente aus vornehmlich Ostafrika nicht mehr den traditionellen Umweg über die Bahn zur Straße wählen. Das war für Stars der Szene wie Paul Tergat, Haile Gebreselassie, Kenenisa Bekele, Mo Farah, Eliud Kipchoge, etc. noch anders.

Und diese Entwicklungen zeigen spürbare Folgen. Eine direkte und etwas überraschende Konsequenz ist aus der Weltjahresbestenliste für das aktuelle Jahr 2014 für die 10000 m auf der Bahn zu ersehen, die sehr überraschend eine „Weißer“ anführt, nämlich der US-Amerikaner Galen Rupp.

Der Salazar-Zögling lief bereits im Mai in Eugene mit 26:44.36 die schnellste Zeit des Jahres. Im gleichen Lauf wurden alle vier Zeiten des Jahres 2014 von unter 27 Minuten erzielt. Mittlerweile scheint die USA und Japan fast ein Monopol zu besitzen, erst auf Platz 29 taucht mit Glasgow ein europäischer Veranstalter in den Listen auf. Das sagt eigentlich alles.

Und gleichfalls bezeichnend ist der Befund, dass die Saison 2014 bereits im Mai von den Topleistungen her so gut wie abgeschlossen war. Da die Bahnsaison 2014 so gut wie beendet ist, wird sich daran auch kaum noch etwas ändern.

Von deutscher Seite ist erfreulich anzumerken, dass sich Arne Gabius mit 27:55.35 im kalifornischen Palo Alto noch soeben in den TOP30 des Jahres platzieren konnte. Auch diese Leistung wurde bereits früh in der Saison am 4. Mai erbracht.

Offensichtlich scheint auch das Leistungsniveau über die kürzeren 5000 m von diesen Entwicklungen betroffen zu sein. Nur noch vier Läufer unterboten in diesem Jahr die 13 Minuten, das waren in den zurückliegenden Jahren stets ein Dutzend oder sogar wesentlich mehr. Die Bahnlangstrecken scheinen also insgesamt an Attraktivität zu verlieren.

Einen Stammplatz haben diese Läufe bei den internationalen Meisterschaften bis hin zu den Olympischen Spielen, aber auch dort dürften die aktuellen Entwicklungen nicht ohne Folgen sein, vor allem, wenn sich der aktuelle Niedergang ungebremst fortsetzt.

Jeder, der ein Herz für die Leichtathletik hat, kann diesen Status nur bedauern, zu präsent sich noch die Erinnerungen an die einmaligen Tempojagden vor mehr als einer Dekade, unvergessen dürfte auch das legendäre Finale Tergat vs. Gebreselassie beim Olympia-Finale in Sydney im Jahr 2000 bleiben. Aber das ist (leider) alles Geschichte.

Ob die 10.000 m auf der Bahn noch einmal zu damaliger Blüte geraten, ist sehr ungewiss. Eine Trendwende könnte vermutlich nur erreicht werden, wenn alle Beteiligten in dieser Sache, von den Athleten über die Manager bis zu den Medien, diese bedrohliche Situation erkennen und an einer Veränderung auch interessiert sind. Dies hätte dann zur Konsequenz, dass auch in Europa die 10.000 m wieder im Programm der großen Stadionevents erscheinen und dass die Topstars der Szene am Start sind und Höchstleistungen im Visier haben.

Als ein auf der Hand liegendes Beispiel könnte diesbezüglich der Auftritt des aktuellen Topstars der Szene Mo Farah angeführt werden. Der Brite dominiert den Bahnlangstreckenlauf der letzten Jahre fast nach Belieben, hat dies aber bisher noch nicht in Weltklassezeiten umsetzen können.

Dabei dürfte er schon auf Grund seiner Leistungen auf den Unterdistanzen in der Lage in den Bereich der aktuellen Weltrekorde über 5000 m und 10.000 m zu laufen. Würde man solche Vorhaben im Vorfeld entsprechend ankündigen, wäre eine breite Resonanz in der Öffentlichkeit sicher.

Was immer man sich zu diesem Problem ausdenkt, es besteht dringender Handlungsbedarf, sonst sind die 10.000 m auf der Bahn in der Tat bald ein Aus-„Lauf“-Modell.

Die TOP10 über 10.000 m im Jahr 2014 (Quelle: IAAF)

1.

Galen Rupp

USA

26:44.36

Eugene, USA, 30.5.2014

2.

Paul Kipngetich Tanui

KEN

26:49.41

Eugene, 30.5.2014

3.

Bedan Karoki Muchiri

KEN

26:52.36

Eugene, 30.5.2014

4.

Stephen Sambu

KEN

26:54.61

Eugene, 30.5.2014

5.

Paul Kipngetich Tanui

KEN

27:16.75

Kitakyushu, JPN, 17.5.2014

6.

Emmanuel Kipkemei Bett

KEN

27:21.61

Eugene, 30.5.2014

7.

James Mwangi

KEN

27:23.66

Abashiri, JPN, 6.7.2014

8.

William Malel Sitonik

KEN

27:25.56

Kobe, JPN, 20.4.2014

9.

Edward Waweru

KEN

27:26.92

Kobe, 20.4.2014

10.

Karemi Jeremiah Thuku

KEN

27:28.27

Abashiri, 6.7.2014

Die TOP10 über 10.000 m aller Zeiten (Quelle: IAAF)

1.

Kenenisa Bekele

 

26:17.53

Brüssel, 26.8.2005

2.

Kenenisa Bekele

 

26:20.31

Ostrava, 8.6.2004

3.

Haile Gebrselassie

 

26:22.75

Hengelo, 1.6.1998

4.

Kenenisa Bekele

 

26:25.97

Eugene, 8.6.2008

5.

Paul Tergat

 

26:27.85

Brüssel, 22.8.1997

6.

Kenenisa Bekele

 

26:28.72

Hengelo, 29.5.2005

7.

Haile Gebrselassie

 

26:29.22

Brüssel, 5.9.2003

8.

Nicholas Kemboi

 

26:30.03

Brüssel, 5.9.2003

9.

Abebe Dinkesa

 

26:30.74

Hengelo, 29.5.2005

10.

Haile Gebrselassie

 

26:31.32

Oslo, 4.7.1997

Helmut Winter

 

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