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07
2012

Shami Dawit siegt beim Hamburg-Marathon in sehr guten 2:05:58. ©Haspa Marathon Hamburg Organisation

„Simply sensational!“ (Teil 4) – Ein Rückblick auf die internationale Marathonszene im ersten Halbjahr 2012 – Helmut Winter berichtet

By GRR 0

Die schnellsten Marathonläufe im weltweiten Vergleich fanden in den letzten Jahren auf deutschem Boden statt. Das könnte auch im Jahr 2012 so sein, denn einer der besten Läufer der Szene, Geoffrey Mutai, darf nach der unverständlichen Entscheidung des kenianischen Verbandes nicht um Olympische Medaillen kämpfen und plant deshalb in Berlin an den Start zu gehen. Es dürfte kaum ein Geheimnis sein, was er am 30. September im Visier hat.

Und jeder, der ihn 2011 in Boston und vor allem New York City erlebt hat, wird einer  Tempojagd durch Berlins Straßen beste Chancen auf einen neuen Rekord einräumen. Einen ersten Weltrekord gab es in der deutschen Hauptstadt im Jahr 2012 bereits.

 

Hamburg schafft den Leistungssprung

 

Für den Berlin- oder Frankfurt-Marathon muss man noch bis zum Herbst warten, im ersten Halbjahr 2012 gingen zunächst andere deutsche Städte an den Start. Die Aufmerksamkeit war vor allem auf den Hamburg-Marathon gerichtet, weil man dort den Rückgang in den Teilnehmerzahlen und im Leistungsniveau stoppen wollte. Dazu hatte man für den sportlichen Part den bekannten Manager Joes Hermens verpflichtet, der nach den längst vergangenen Zeiten eines Julio Reys Garant für Topleistungen an der Alster werden sollte.

Ein Konzept, das schon im ersten Anlauf aufging, obwohl ein scharfer Wind die Rekordjagd maßgeblich störte. Beim Halbmarathon lag eine große Spitzengruppe mit 63:28 zwar noch über den Split vom Streckenrekord, den Rey 2006 mit 2:06:52 aufgestellt hatte. Doch dann waren es vor allem äthiopische Läufer, die das Tempo verschärften. Es war Shami Dawit, der bereits im Januar in Dubai mit 2:05:42 eine Topzeit erzielte und am Ende die meisten Reserven hatte.

Durch phänomenale 29:06 für den Abschnitt von 30 km nach 40 km lag die Zeit im Ziel mit 2:05:58 sogar fast eine ganze Minute unter dem alten Streckenrekord. Hamburg hat sich damit wieder in der Spitzenklasse der internationalen Straßenlaufszene zurückgemeldet. Genau dies hatten die Organisatoren erhofft. Mit vier Läufern unter 2:08 und acht unter 2:11 war auch die Breite beeindruckend.

 

Die deutschen Marathon-Männer bleiben zu Hause

 

Weniger erfreulich verlief allerdings der Lauf in Hamburg für die deutschen Spitzenläufer Falk Cierpinski und Martin Beckmann, die sich noch für Olympia qualifizierten wollten und dazu unter der vom DLV geforderten Norm von 2:12 hätten laufen müssen. Die in einer realistischen Abschätzung der Randbedingungen deutlich überzogene Norm zwang die beiden Läufer schon früh ins Leistungslimit und beim Halbmarathon nach 66:24 war der Traum von einer Olympiateilnahme so gut wie vorbei, nach gut eineinhalb Stunden stellten dann auch beide ihren Einsatz auf der Strecke ein.

Bester deutscher Läufer war Sören Kah, der ohne Qualifikationsdruck das Rennen klug einteilte und mit 2:14:25 nicht nur Bestzeit lief, sondern mit dieser Zeit auch unter dem IAAF A-Standard von 2:15 für den Marathon blieb. Aber auch er bleibt im August zu Hause.

Gleiches gilt für Jan Fitschen, der am 29. April in Düsseldorf die Norm erfüllen wollte, aber ebenfalls scheiterte. Schon früh bekam er Probleme mit seiner Beinmuskulatur und nach 66:45 bei der Halbmarathonmarke war kurz danach Schluss. Eine Reise im Sommer nach London hat sich damit erledigt. Die Olympiaqualifikation der deutschen Marathonmänner scheiterte somit auf breiter Front, nach Sydney 2000 schauen sie beim größten globalen Sportfest nur noch zu. Die äußeren Bedingungen waren in Düsseldorf an diesem Tag recht gut, was der Sieger Seboka Diriba Tola (ETH) zu einem neuen Streckenrekord in 2:08:27 nutzte. Drei Läufer blieben in Düsseldorf unter 2:09, sieben unter 2:11, auch in der Landes-hauptstadt Nordrhein-Westfalens wird immer schneller gelaufen.

 

Warum lässt der DLV Anna zu Hause?

 

Und schnell liefen waren dort auch die Frauen mit dem Sieg von Agnes Barsosio Jeruto aus Kenia in 2:25:49. Auch dies war einer der vielen Streckenrekorde, die in diesem Jahr weltweit zu verzeichnen waren. Aber der eigentliche Höhepunkt aus deutscher Sicht war das tolle Debut der jungen Anna Hahner und das unrühmliche Nachspiel. Anna lief bei ihrem Marathondebut tolle 2:30:14 und verpasste damit die Olympianorm für deutsche Läuferinnen denkbar knapp. Wer immer sich diese Norm ausgedacht hat, die IAAF sieht einen A-Standard von 2:37 bzw. sogar nur 2:43 vor Warum man in diesem Fall eine hoffnungsvolle junge Athletin nicht belohnt und die Dinge weitsichtig betreibt, verschließt sich jeder Logik.

Wenn man ferner auf der Homepage der betroffenen Läuferin erfahren darf, mit welcher menschlichen Größe diese junge Frau einen solchen Rückschlag verarbeitet (für Bibelfeste zitiert sie aus Philipper 4, 11-13), dann erscheint das Verhalten der Verantwortlichen beim DLV in allen Belangen mehr als blamabel.

Motivierend für den Nachwuchs sind solche Aktionen kaum, und man fragt sich schon angesichts solcher Possen, warum sich der DLV überhaupt (Sport-) Psychologen leistet. Und die fahren auch noch nach London, zu den Olympischen Spielen!

Gute Leistungen gab es ferner beim Hannover-Marathon, wo sich der Kenianer Joseph Kiptum ein tolles Sprintfinale mit dem Äthiopier Chikuala lieferte. Für beide wurden 2:09:56 gestoppt. Auch bei den Frauen wurde vehement um den Sieg gespurtet, den die Russin Natalya Puchkova vor der Äthiopierin Aberume Mekuria errang. Auch hier gab es mit 2:30:17 für beide die gleiche Zeit. Erwähnenswert bleibt eine gelungene Liveübertragung aus Hannover im NDR-TV, bei der Jan Fitschen als Ko-Kommentator mit seinen lockeren, aber auch fundierten Bemerkungen tolle Arbeit ablieferte. Bleibt zu hoffen, dass dieser Erfolg die öffentlichen Anstalten ermutigt, von der Abstinenz in der Übertragung von Laufveranstaltungen etwas Abstand zu nehmen.

 

Ein Kenianer wird in zwei Monaten 10 Jahre älter und läuft Weltrekord

 

Auch einen Weltrekord kann der Straßenlauf im Jahr 2012 schon verzeichnen. Bei den BIG 25 Berlin lief ein vor Jahresfrist noch unbekannter Dennis Kipruto Kimetto auf der nicht einfach zu laufenden Strecken vom und ins Olympiastadion mit 1:11:18 einen neuen phantastischen Weltrekord über 25 km auf der Straße. Auf der nur noch selten gelaufenen Distanz war die globale Bestmarke bis 2010, wo an gleicher Stelle Sammy Kosgei den Rekord auf 1:11:50 drückte, im Vergleich zum z.B. zum Halbmarathon nweniger hochwertig.

Das hat sich aber spätestens seit dem 6. Mai 2012 geändert. Wie hervorragend die Zeit von Kimetto ist, zeigt der Vergleich mit dem Weltrekord über die gleiche Distanz auf der Bahn von Moses Mosop in 1:12:25,4 in Eugene 2011. Dennis war in Berlin über eine Minute schneller, und auch die Diskussion um Hailes nicht anerkannte Leistung aus dem Jahr 2006 über 25 km in Alphen aan den Rijn mit 1:11:37 (fehlende Dopingprobe und unerlaubte Schrittmacherdienste durch 20 km Läufer) dürfte damit endgültig der Geschichte angehören.

Bezeichnend für die Akzeptanz des Laufsports in den Medien war die 16,3 Sekunden lange Meldung über diesen Weltrekord in der Sportsendung des regionalen rbb-Fernsehens am Abend. Eine Anstalt, die auch noch vorgibt mit ihrer „Laufbewegung“ Vorreiter in Sachen Laufsport zu sein und vor dessen Türen der Weltrekordler sogar zweimal vorbeilief, beschäftige sich lieber fast eine halbe Stunde mit dem (am Ende unaufhaltsamen) Abstieg eines Fußballklubs in die Zweitklassigkeit.

Dass der Sieger der BIG25 auf einem anderen Niveau agiert, zeigte er schon bei seinem ersten Start außerhalb der Landesgrenzen Kenias, als er beim hochkarätigen Halbmarathon in Ras Al Khaimah im Februar in 60:40 die Weltelite bei sehr ungünstigen Bedingungen besiegte. Mary Keitany schaffte bei ihrem Sieg bei den Frauen trotz des leistungsmindernden Windes sehr gute 66:49 und deutete schon an, was beim London-Marathon von ihr zu erwarten war.

Auch Dennis setzte derweil seinen Siegeszug in der internationalen Straßenlaufszene fort und siegte in 59:14 beim Berliner Halbmarathon, der von den Teilnehmerzahlen (ca. 30.000) sich immer mehr dem großen Bruder im Herbst nähert. Seine Zeit wurde zunächst als Junioren-Weltrekord gefeiert, bis dann ein Ausweis bekannt wurde, der aus „Dennis Koech“ einen „Dennis Kimetto“ machte und vor allem statt 1994 das Jahr 1984 als Geburtsjahr auswies. Wie alt der Mann allerdings wirklich ist, weiß vermutlich aktuell niemand.

Dass Dennis aber sicherlich eines der größten Talente ist, die momentan auf den Straßen ihr Geld verdienen, scheint unbestritten. Ende September soll er sich als Tempomacher beim Berlin-Marathon schon einmal auf die Strecke einstimmen. Und durch die aktuellen Entwicklungen könnte seine Mission als „Hase“ eines zu Recht über die Entscheidungen des kenianischen Verbands verärgerten Geoffrey Mutai besondere Bedeutung erlangen.

Keine Frage, auch für den Rest des Jahres 2012 ist für Spannung auf den Marathonstrecken dieser Welt gesorgt. Falls dabei der in der Leistungsbreite doch arg „amputierte“ Marathon bei den Olympischen Spielen in London die im Vorfeld überzogenen Erwartungen nicht erfüllen kann, so warten im Herbst Stadtmarathons, bei denen wieder alle bisherigen Leistungen in den Schatten gestellt werden könnten.

Die Leistungsexplosion im Straßenlauf dürfte auch in der zweiten Hälfte des Jahres 2012 weitergehen.

 

Helmut Winter 

 

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author: GRR

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