2012 Chevron Houston Marathon Houston, TX January 15, 2012 Photo: Victah Sailer@PhotoRun Victah1111@aol.com 631-741-1865 www.photorun.NET
„Simply sensational!“ (Teil 1) – Ein Rückblick auf die internationale Marathonszene im ersten Halbjahr 2012 Helmut Winter berichtet
Mit der Schlagzeile „Simply sensational" auf der Webseite des Standard Chartered Dubai Marathons lassen sich nicht nur die Ereignisse vom 22. Januar 2012 auf den Straßen des arabischen Emirats sondern auch in der globalen Straßenlaufszene charakterisieren.
Dort, wo das Vorjahr 2011 endete, gekrönt von einem neuen Marathon-Weltrekord bei den Männern mit 2:03:38 durch Patrick Makau in Berlin, machte das Jahr 2012 nahtlos weiter. Vor allem in der Marathonszene der Männer entwickeln sich die Ereignisse auch 2012 weiterhin spektakulär, ein Ende der Entwicklungen scheint derzeit nicht absehbar. Es geht mit Volldampf voraus. Und wie!
Mittlerweile ist die „Globalisierung des Marathons" Realität und nicht mehr aufzuhalten. Die Dominanz der Frühjahrs- und Herbstläufe ist einem Betrieb gewichen, der über das ganze Jahr hinweg auf Hochtouren brummt, insb. im Winter auf der Nordhalbkugel konzentrieren sich die Veranstaltungen auf den asiatischen Raum, einschließlich den Wüstenregionen. Pausen im Terminkalender gibt so gut wie nicht mehr.
Und diese Entwicklungen sind mit einer Steigerung des Leistungsniveaus verbunden, die man vor wenigen Jahren kaum für möglich gehalten hätte. Noch bevor bei den Großen der Szene (Rotterdam, Boston, London,
Paris, etc.) Mitte April der Startschuss erfolgte, sorgten bereits andere Events für Furore. So liefen sich z.B. im Januar beim Dubai-Marathon weitgehende Nobodys in die Rekordlisten und die Leistungsbreite auf globaler Front ist in der Tat kaum noch zu fassen.
Etwa 330 Athleten haben im ersten Halbjahr 2012 den früheren Qualifikationsstandard von 2:13 schon unterboten, das schaffte man bis 2007 noch nicht einmal in einem ganzen Jahr. Auch der A-Standard von 2:12 für den Marathon der Männer für die Olympischen Spiele im August in London ist für die Topläufer kaum nennenswert, über 250 Läufer wären danach startberechtigt.
Allerdings kämen diese überwiegend aus Ostafrika. Und um das Thema gleich zu erledigen: Kein deutscher Läufer schaffte in den letzten Jahren diese Marke, Olympia 2012 „läuft" wieder ohne deutsche Marathon-Männer. In der Rückschau wird klar, dass ein Standard von 2:12 für deutsche Läufer eine unrealistische, aber auch demotivierend hohe Hürde darstellte. Die Welt ist den Deutschen auf der Marathondistanz weit enteilt.
Die Qualifikation für Olympia
Durchaus belebend für die Szene war der Kampf um die Startplätze für ostafrikanische Läufer bei den Olympischen Spielen in London, die vom Leistungsniveau völlig überbucht waren. Die Selektion der Athleten sorgte in der Tat für Spannung, endete aber mit Entscheidungen, die recht überraschend kamen und sehr bedingt nachzuvollziehen waren. Neben dem Luxusproblem der Kenianer aus dem Reservoir des Weltmeisters, Weltrekordlers, Marathon Majors Siegern und Topstars der Szene zu wählen, sorgten vor allem die Bemühungen von Haile Gebrselassie hinsichtlich einer Olympiateilnahme für Aufsehen.
Dass über seine Olympiateilname bereits Ende Januar beim Dubai-Marathon, den er durch seine drei Auftritte in den letzten Jahre in die Weltspitze katapultieren half, die Entscheidung fiel, ist schon fast eine Ironie des Schicksals. Man hatte nach seinen Ausstieg beim Berlin-Marathon im letzten Jahr und den Verlust des Weltrekords an Patrick Makau erwartet, dass Haile den schnellen Kurs in Dubai nochmals nutzen würde. Er entschied sich aber für den Tokyo einen Monat später, in Dubai waren ihm da seine jungen Landsleute schon uneinholbar weit davongelaufen.
Dubai mit einem Lauf der Superlative
Nach einem enttäuschenden letzten Jahr für die äthiopischen Marathonläufer kam bei Standard Chartered Dubai Marathon am 26. Januar die eindrucksvolle Wende. Auf dem veränderten Kurs – Start und Ziel befinden sich nun am Fuße des höchsten Gebäudes der Welt – nutzte eine Meute junger Nachwuchsläufer die Gunst guter Bedingungen, und es bedurfte nicht der Topstars Lel und Merga (die stiegen beide aus), um eine Flut absoluter Spitzenleistungen zu erzielen.
Die großartige Zeit des überraschenden Sieger Ayelo Abshero in 2:04:23 hat nicht nur alle weiteren Läufe im ersten Halbjahr in der Weltjahresbestenliste überstanden, Haile verlor mit seinem Streckenrekord im Emirat eine weitere Rekordmarke.
Bezeichnenderweise brachte dieser Lauf den jungen Äthiopier an die Startlinie des Olympia- Marathons. Das gleiche gilt auch für den Zweiten dieses Laufs, sein Landsmann Dino Sefir in 2:04:50. Nicht nach Olympia reichte es für die nachfolgenden Plätze, auf denen Markos Geneti (ETH) in 2:04:54 und der erste Kenianer Jonathon Maiyo in 2:04:56 gleichfalls unter 2:05 einliefen. Das gab es in einem Lauf bisher noch nie! Und auch die Breite im Emirat war großartig. So reichte es für Eshetu Wendimu (ETH) auf Platz 11 in 2:07:28 schon nicht mehr für ein Preisgeld, das ansonsten in Dubai immer noch üppig ausfällt. Ferner fegten die tollen Ergebnisse in der Breite Dubai in die Spitzengruppe der weltweiten Marathons, mit einem Zehnermittel der dort jemals erzielten Zeiten von 2:05:10 liegen nur noch Berlin (2:04:55) und Rotterdam davor.
Dass der Lauf von Dubai die Basis weiterer Topleistungen in den kommenden Jahren werden könnte, ist anzunehmen. Die „Großen" der Szene werden dies in den Bestenlisten registrieren müssen, insbesondere auch die modifizierte Strecke bietet das Potential für sehr schnelle Zeiten. Die Ergebnisse von 2012 und die immer noch gewaltigen Preissummen werden dies weiter fördern. Schon in diesem Jahr steht nach allen Frühjahrsklassikern der Dubai-Marathon immer noch an der Spitze im weltweiten Ranking.
Die Globalisierung des Marathons schreitet voran!
Auch die Ergebnisse bei den Frauen in Dubai waren 2012 schlichtweg Weltklasse. Aselefech Mergia (ETH) siegte in 2:19:31 und zog dabei auch die Debütantin Lucy Kabuu (KEN) in 2:19:34 und Mare Dibaba (ETH) in 2:19:52 unter die magische Grenze von 2:20. Die beiden Äthiopierinnen werden wir im August in London wiedersehen. Für Luca Kabuu ist die Konkurrenz im eigenen Land zu stark, um diesmal bereits um Olympia-Medaillen zu kämpfen.
Schon vor dem Lauf in Dubai hatte das Jahr 2012 gut begonnen. Im chinesischen Xiamen gewann Peter Kamais (KEN) am 7. Januar in guten 2:07:37. Noch schneller war knapp eine Woche zuvor Fancis Kibiwott (KEN) in 2:07:30 in Tiberias/Israel. Erstaunlich die Breite beim Lauf um den See Genezareth, nicht weniger als 10 Läufer blieben dort unter dem Olympischen A-Standard von 2:12. Die Leistungsexplosion im Marathon schreitet überall voran.
Haile verpasst Olympia
Ende Februar stand dann der Tokyo-Marathon im Fokus des Interesses, vor allem auch deshalb, weil sich Haile Gebrselassie nach seiner Absage im Vorjahr diesmal in der japanischen Hauptstadt noch ein letztes Mal für Olympische Spiele qualifizieren wollte. Vor allem nach den Resultaten in Dubai war dies ein fast aussichtsloses Unterfangen, das letztlich auch scheiterte. Dass der Superstar der Laufszene der letzten beiden Dekaden auch eine Portion Pech hatte, bleibt diesbezüglich unbedingt zu erwähnen. Unfähige Pacemaker, schlechte Logistik und ein fürchterlich trister Streckenverlauf im Schlussteil haben sicherlich
dazu beigetragen, dass er den Zug nach London auf den letzten 5 km des Laufs noch verpasste.
Dabei hatte es bis ca. 35 km mit seiner Führung und mit Kurs auf einer Zeit im Bereich von 2:05 noch vielversprechend ausgesehen. Doch innerhalb von Minuten hatte die Herrlichkeit ein Ende, Haile brach ein und wurde neben dem Sieger Michael Kipyego (KEN) in 2:07:37 auch noch von zwei weiteren Läufern passiert. Platz 4 und 2:08:17 waren für Olympia zu wenig. Auch der neue Medienstar der japanischen Marathonszene, der voll berufstätige (!) Yuki Kawauchi, bleibt im August zu Hause. Nach seinen tollen Vorstellungen beim Fukuoka-Marathon 2011 und auch beim letztjährigen Tokyo-Marathon schaffte er diesmal nur 2:13.
Dagegen zeigte sich sein Landsmann Arata Fujiwara in Bestform, rollte das Feld aus der zweite Gruppe heraus auf und wurde mit 2:07:48 Zweiter und löste damit das Ticket für Olympia.
Dieses Ticket hat der Schweizer Victor Röthlin schon in der Tasche, er konnte aber seine Nominierung durch einen kaum zu erwartende Leistung bestätigen. Mit 2:08:32 wurde er hinter Haile Fünfter in Tokyo. Japan schien überhaupt Ende Februar ein gutes Pflaster für die Europäer zu sein. Im strömenden Regen beim Lake Biwa-Marathon in Otsu schaffte der Pole Henryk Szost mit 2:07:39 als Zweiter eine Klassezeit und neuen polnischen Rekord. Den Lauf gewann der Kenianer Samuel Ndungu in 2:07:04.
Und auch in den USA stand der Olympische Marathon bereits am 14. Januar im Fokus. Im texanischen Houston leistete man sich den Luxus, einen Tag vor dem Houston-Marathon in gesonderten „TRIALS" die US-Starter für London zu ermitteln. In einem recht flotten Rennen setzten sich bei dieser Extratour am Ende die vermeintlich Besten durch. Bei den Männern der Silbermedaillengewinner von Athen 2004 Meb Keflezighi (2:09:08), Ryan Hall (2:09:30) und Abdi Abdirahman (2:09:47), bei den Frauen Shalane Flanagan (2:25:38), Desiree Davila (2:25:55) und Kara Goucher (2:06:04). Am Tag danach war der Sieger des eigentlichen
Houston-Marathons deutlich schneller, der Äthiopier Tariku Jufar lief mit 2:06:51 Streckenrekord.
Von vielen weiteren beachtlichen Ergebnissen auf den Marathonstrecken der Welt in den ersten drei Monaten des Jahres 2012 ist unbedingt der Dong-A Seoul-Marathon Mitte März zu erwähnen. Dort glänzte im Schlussteil der zuvor unbekannte Kenianer Wilson Erupe Loyanae mit einem historischen Finale. Von der 35 km-Marke lief er in 20:23 ins Ziel, das gab es in der Geschichte des Marathons noch nie, und seine Zeit im Ziel von 2:05:37 war hochklassig und neuer Streckenrekord.
Auch die Leistungen auf den weiteren Plätzen in Seoul belegen, auf welchem Niveau die internationale Marathonszene angekommen ist. Aber selbst vier Läufer unter 2:06 oder 17 (!) Läufer unter 2:12 (der A-Standard für Olympia) werden in der Öffentlichkeit außerhalb Koreas kaum wahrgenommen.
Helmut Winter
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