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World Athletics President Sebastian Coe - 2019 Zurich Diamond League Zurich, Switzerland August 29, 2019 Photo: Giancarlo Colombo@PhotoRun Victah1111@aol.com

Sebastian Coe: Der Lord bittet zur Kasse – Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung

By GRR 0

Sebastian Coe verteilt in der Leichtathletik als erster Verbandschef Prämien für Olympiasiege. Das passt zu seinen lange gepflegten Prinzipien – und wird Begehrlichkeiten wecken.

Von diesen zweieinhalb Millionen Dollar sollen mehr profitieren als die Goldmedaillengewinner in den 48 leichtathletischen Disziplinen der Olympischen Spiele.

Sebastian Coe, der sie ausgelobt hat für die Sommerspiele von Paris und damit ein Tabu von 128 Jahren bricht, könnte eine substanzielle Dividende einstreichen für diese Großzügigkeit, wie sie dem Internationalen Olympischen Komitee (IOC) und namentlich dessen Präsidenten Thomas Bach fernliegt.

Der olympische Apparat finanziert Verbände und mehr als zweihundert Nationale Olympische Komitees. Athleten zu finanzieren anstelle des Systems, das wäre ein Paradigmenwechsel.

Coe hat Zeit seines Lebens Geld als angemessene Anerkennung seiner Leistungen als Athlet und Vermarkter des Sports und seiner selbst verstanden. Noch vor seinem zweiten Olympiasieg, dem über 1500 Meter von Los Angeles 1984, soll er Millionär gewesen sein – in Pfund Sterling.

Seine, sagen wir, avantgardistische Haltung zu Antrittsgeld, bevor dieses generell erlaubt war, die spektakuläre, preistreibende Rivalität mit seinem Landsmann Steve Ovett und nicht zuletzt die Prämien für acht Weltrekorde – 1979 hielt er als erster Läufer zugleich die Bestmarken über 800 Meter, 1500 Meter und die Meile – verschafften Coe früh eine bemerkenswert Unabhängigkeit – ohne seinen Ehrgeiz einzuschränken.

Bekanntheit, Beliebtheit und Eloquenz ließen ihn zwei Jahre nach seinem Rückzug vom Sport, 1992, einen Wahlkreis in Cornwall für die Tories gewinnen; für fünf Jahre zog Coe ins Unterhaus ein. 2000 schlug ihn die Queen auf Lebenszeit zum Lord; er behielt seinen Sitz im Oberhaus bis 2022.

Neben seiner Leidenschaft für Jazz und Fußball – Coe ist Mitglied des Chelsea Football Club – gönnte er sich ungezählte Engagements in Sport, Politik und Unternehmungen, deren peinlichstes ein kurzer Aufenthalt in der Ethikkommission der FIFA 2006 gewesen sein dürfte, in der Ära Blatter. Coe spricht nicht darüber.

Seine zweifellos folgenreichste Unternehmung begann mit dem Aufstieg vom Botschafter der britischen Olympiabewerbung zu deren Vorsitzendem 2004. Bei der Abstimmung des IOC in Singapur im Jahr drauf gewann Coe, unter anderem mit der Präsentation Londoner Kinder, die Sommerspiele 2012 gegen Paris und Madrid.

Acht Wochen nachdem seine Zeit als Chef deren Organisationskomitees beendet war, heuerte er beim Marketing-Giganten Chime an, der im Zusammenhang mit den Spielen Aufträge im Wert von rund dreißig Millionen Pfund erhalten hatte. Coe übernahm nicht nur die Führung von dessen Sportmarketing, sondern integrierte auch seine eigene kleine Firma, Complete Leisure Group, in den börsennotierten Konzern. Die 93 Prozent, die Chime Sports Marketing davon übernommen hatte, wurden auf einen Wert von mehr als elf Millionen Pfund veranschlagt.

Spätestens seit 2015 amerikanische Investoren die Chime-Gruppe für umgerechnet mehr als 500 Millionen Dollar kauften, dürfte Coe ausgesorgt haben. Dennoch ließ er sich, als er 2015 in Peking zum Präsidenten des Leichtathletik-Weltverbandes gewählt worden war, fast fünf Jahre Zeit, sich aus dem operativen Geschäft mit der Akquise von Sportereignissen für den arabischen Raum zurückzuziehen.

Interessenkonflikte sah er weder in diesem Engagement noch in seinen Verträgen mit dem Sportschuhhersteller Nike und dem Laufbahn-Produzenten Mondo, die er erst nach seiner Wahl aufgab. Immerhin hatte er seine geschäftliche Verbindung mit Nike gekappt, bevor das FBI erfolglos dem Verdacht nachging, die Vergabe der Leichtathletik-Weltmeisterschaft 2021 just zum Fünfzigjährigen von Nike an dessen Gründungsort Eugene (Oregon) könnte andere als ehrenwerte Beweggründe haben.

Die WM fand wegen der coronabedingten Verschiebung der Sommerspiele von Tokio erst 2022 statt. Coe verteidigte die Entscheidung seines Vorgängers, des korrupten Präsidenten Diack, der keine Ausschreibung vorausgegangen war, stets als Schritt in einen neuen Markt.

Mit der Entscheidung, aus dem Anteil der Leichtathleten an den Milliardeneinnahmen des IOC Prämien auszuzahlen, tut Coe einen Schritt auf die Athleten zu. Viele von ihnen fordern schon lange, an dessen wirtschaftlichem Erfolg beteiligt zu werden.

Er positioniert sich so als Gegenspieler entweder zu IOC-Präsident Bach, wenn dieser eine dritte Amtszeit antreten wollte, oder zu einem Nachfolger, einer Nachfolgerin von dessen Gnaden.

Das Geld spricht für Coe.

Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Freitag, dem 12. April 2024

Michael Reinsch   Korrespondent für Sport in Berlin.

 

author: GRR