Doch Sebastian Bayer stellte alle anderen am Sonntag in den Schatten. Nach seinem ersten Sprung hatte er Nils Winter (Bayer Leverkusen), der mit 8,22 m Silber gewann, gefragt, wo der Europarekord stehen würde. „Als er mir sagte, das seien 8,56 Meter antwortete ich: Oh, das ist ein bisschen zu weit für heute.“
Sebastian Bayer auf den Spuren von Bob Beamon in Turin – Jörg Wenig berichtet
Turin. Die allerletzte Aktion der Hallen-Europameisterschaften der Leichtathleten in Turin produzierte die größte Sensation dieser Titelkämpfe – und dafür sorgte ein Deutscher: Weitspringer Sebastian Bayer (Bremer LT) landete nach einem unglaublichen Sprung bei 8,71 Metern. Als Goldmedaillengewinner hatte er bereits zuvor festgestanden, doch nun brach der 22-jährige den Hallen-Europarekord.
Gleich 15 Zentimeter weiter als der Spanier Yago Lamela, der vor zehn Jahren bei der Hallen-WM 8,56 m erreicht hatte, sprang Sebastian Bayer in Turin. Nie zuvor war ein Deutscher so weit gesprungen – auch nicht im Freien: Hier hält Lutz Dombrowski mit jenen 8,54 m die Bestmarke, mit denen er 1980 in Moskau Olympiasieger wurde.
Sebastian Bayer erzielte am Sonntag die zweitbeste je in der Halle gesprungene Weite. Den 25 Jahre alten Hallen-Weltrekord des legendären Carl Lewis (USA) verfehlte er nur um acht Zentimeter. In der Liste der besten Weitspringer aller Zeiten – Freiluft und Halle – belegt er nun Rang acht. Weiter sprang in diesem Jahrtausend nur einer: Irving Saladino (Panama), der im vergangenen Jahr 8,73 m erreichte. Sebastian Bayer krönte mit seinem Riesensatz ein starkes deutsches Abschneiden der deutschen Starter, die zehn Medaillen gewannen.
Als Bayers 8,71 m in Turin auf dem Ergebnissystem angezeigt wurden, dachten viele Journalisten im ersten Augenblick, es handele sich um einen Tippfehler und die Weite müsste 8,17 heißen – so unglaublich war die Leistung des 22-jährigen Bremers. Zurückblickend auf die jüngere Geschichte hatte die deutsche Leichathletik nur ganz wenige derartige Sternstunden. Dazu zählt zum Beispiel der 800-m-Olympiasieg von Nils Schumann in Sydney 2000.
„Sebastian Bayer ist der deutsche Bob Beamon“, schreibt die österreichische Kronenzeitung in ihrer Montagsausgabe. Der US-Amerikaner hatte 1968 bei Olympia in Mexiko City in der leistungsfördernden Höheluft den Weitsprung-Rekord auf 8,90 m geschraubt. Das ist vielleicht ein etwas kühner Vergleich, aber es gibt eine Parallele zwischen Beamon und Bayer: Der Amerikaner war bei seinem Weltrekord 22 Jahre alt – genauso alt wie Sebastian Bayer heute.
„Ich bin sprachlos, ich muss das erst einmal verarbeiten. Deswegen kann ich zu der sporthistorischen Bedeutung dieses Sprunges heute gar nichts sagen“, erklärte Sebastian Bayer, der seinen Wettkampf mit einem Sprung von 8,29 m perfekt begonnen hatte. In Führung liegend, verzichtete er auf die nächsten drei Versuche, dann war sein Sprung in Runde fünf ungültig. „Es war Ehrensache, in Führung liegend den letzten Sprung des Wettbewerbes zu machen. Ich war locker und der Sprung fühlte sich perfekt an. Ich hatte auf 8,30 bis 8,40 Meter gehofft. Als 8,71 angezeigt wurden, war ich sprachlos“, sagte Sebastian Bayer, der mit einer Bestleistung von 8,17 m nach Turin gereist war.
„Wie ich das gemacht habe, weiß ich nicht. Die Weitsprunganlage war hier sehr gut, zudem war ich zusätzlich motiviert, weil vor meinem letzten Sprung die Nationalhymne für Ariane Friedrich gespielt wurde.“
Die Hochspringerin der Eintracht Frankfurt gewann am Sonntag trotz einer Erkältung ebenfalls Gold. Während sie über 2,01 m sprang, kam es nicht zum erwarteten Zweikampf mit Blanka Vlasic. Die Kroatin musste bei 1,96 m die Segel streichen und wurde nur Fünfte.
Doch Sebastian Bayer stellte alle anderen am Sonntag in den Schatten. Nach seinem ersten Sprung hatte er Nils Winter (Bayer Leverkusen), der mit 8,22 m Silber gewann, gefragt, wo der Europarekord stehen würde. „Als er mir sagte, das seien 8,56 Meter antwortete ich: Oh, das ist ein bisschen zu weit für heute.“
Jörg Wenig
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