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16
03
2016

Frederik Unewisse führt die starke Männerspitze mit (v.l.) Habtom Weldu, Simon Stützel, Markus Weiß-Latzko (verdeckt), Endisu Getachew und Jeylan Mohamedaman an. ©Wilfried Raatz/ wus-media

Schnelle Zeiten im Bienwald – Simon Stützel interpretiert Beschilderung falsch und verpasst EM-Norm – Halbmarathonsieg und Streckenrekord nach 1:05:15 mit drei Sekunden Vorsprung vor seinem Karlsruher Trainingskollegen Habtom Weldu – Wilfried Raatz berichtet

By GRR 0

Der 13. März 2016 sollte bei vielen in nachhaltiger Erinnerung bleiben. Die Wahlergebnisse der Landtagswahlen in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt brachten denkwürdige Ergebnisse, beim 41. Bienwald-Marathon im Wahlland Rheinland-Pfalz in Kandel lagen Freude, Zufriedenheit, Enttäuschung und Frust ähnlich dicht beieinander wie nach der Auszählung der Stimmen aus den Wahlkabinen.

An dieser Stelle soll jedoch das Sportliche im Vordergrund stehen. Obenan in der Skala stehen natürlich die beiden Streckenrekorde auf der Halbmarathondistanz von Simon Stützel und Lisa Hahner von 1:05:15 und 1:14:28 Stunden. Da aber in diesem, trotz Irritationen an der Wendemarke schnellen Rennen die beiden Äthiopier Habton Weldu (1:05:17) und Endisu Getachew (1:06:01) auch noch unter der bisherigen Höchstmarke des Kenianers Hillary Kemboi (1:06:19), die Frauenzweite Tanja Grießbaum mit 1:15:36 nur knapp über der ebenfalls seit 2008 bestehenden Rekordmarke von Hillary’s Landsfrau Regina Nguria (1:15:27) ins Ziel ins Bienwaldstadion lief, geht dieser zum 38. Mal ausgetragene Halbmarathon als bislang schnellster Lauf in die Annalen dieser Traditionsveranstaltung ein.

Aber auch ein Weltrekord konnte in diesem außergewöhnlichen Lauf erzielt werden: Der Ludwigshafener Berufsfeuerwehrmann Lars Kegler steigerte die globale Bestmarke um neun Minuten auf 1:38:59 Stunden.

Die begehrte 2000 Teilnehmer-Marke wurde hingegen lediglich in der Anmeldedatei mit 2138 übertroffen, denn die umfangreiche Ergebnisliste erfasste mit 1771 Läufern zwar eine bemerkenswerte Finisherzahl, doch auch eine sicherlich eine starke Zahl an Nichtstartern bzw. nicht zu Ende laufenden Läufern.

Selten hat es aber auch einen derart missgelaunten Tagessieger und Streckenrekordler gegeben als dies nun einmal Simon Stützel war. Mit den wenig druckreifen Worten lief der Neu-Karlsruher wutentbrannt durch das Ziel, vorbei an den Fotografen und Journalisten – und auf dem direkten Weg aus dem Stadion.

„Ich bin 13 Jahre einer EM-Norm hinterhergelaufen – und dann so etwas!“

Von Entspannung selbst zwei Stunden nach dem Rennen noch keine Spur. Durchaus verständlich, denn der 30jährige im Trikot des fränkischen ASICS Team Memmert war im Verbund mit seinen Tempomachern Frederik Unewisse (der allerdings wegen einer Erkältung schon nach drei Kilometern diesen Part aufgeben musste) und Habtom Weldu auf EM-Kurs. Im Schlepp dabei die beiden für den LAC Quelle Fürth laufenden Äthiopier Endisu Getachew und Jeylan Mohamedaman.

Das rund 200 m vor der eigentlichen Wendemarke platzierte Schild „Marathon geradeaus, Halbmarathon Wende“ mit dem kleinen Zusatz „200 m“ interpretierte Simon Stützel falsch und drehte hier bereits um. Das offizielle Führungsrad war bereits einige Meter vorausgefahren. Nach einem kurzen Stopp drehte die Vierergruppe um und stürmte zur regulären Wendemarke weiter. „Als Läufer ist man natürlich im Tunnel“, weiß Veranstaltungsleiter Roland Schmidt aus eigener Erfahrung. „Du rennst im 3-Minuten-Tempo auf ein Schild zu. Wie willst du da Kleingeschriebenes in diesem Moment erfassen…!“ 

Simon Stützel schätzte den Zeitverlust mit dem Zuviel an Metern und der Reaktionszeit auf 20 bis 30 Sekunden ein, die Organisation allenfalls mit 5 bis 10 Sekunden. „Wir sind zwar drei Kilometer Vollgas gelaufen, doch dreißig Sekunden holst du nicht mehr auf!“

Bis dahin war es für Simon Stützel „gut gerollt. Das Tempo trotz Gegenwind ideal!“ Mit dem letzten Schuss Adrenalin stürmte er auf der Zielgeraden an seinem Trainingskollegen Habtom Weldu vorbei und sicherte sich den Tagessieg in 1:05:14 Stunden, drei Sekunden vor dem tapfer laufenden Äthiopier. Es nutzt sicherlich kein Lamentieren, die EM-Norm ist einfach mit 29 Sekunden noch ein Stück weit entfernt. „Es ist wie ein fieser Alptraum!“

Hinter Stützel und Weldu liefen dann die beiden Quelle-Läufer Gelachew (1:06:01) und Mohamedaman (1:06:40) an, dann der mit Ambitionen für einen schnelle Frühjahrsmarathon gestartete Markus Weiss-Latzko. Der 32jährige Jurist lief 1:07:42 als Fünfter ein und wusste auch eine Horrorstory mit einem Polizeimotorrad zu berichten.

Nach diesen Aufregern ging es freilich auf den weiteren Plätzen ausgesprochen entspannt zu. Der 19jährige Jens Mergenthaler freute sich über einen U20-BaWü-Rekord mit einer satten Steigerung auf 1:08:50 Stunden und lag damit vor einer Vierergruppe, die von Berglaufmeister Joseph Katib angeführt wurde.

Aus der großen Läufergruppe um die zunächst gemeinsam laufenden Lisa Hahner und Tanja Grießbaum liefen gleich zehn Läufer im 1:14er Bereich ein. Für Lisa jedoch mit einem sehr erfreulichen Ende: Der Hahner-Twin lief (ohne Zwillingsschwester Anna) ein bemerkenswertes Rennen, stetig dirigiert von Trainer Thomas Dold – und lieferte die vom DLV geforderte Leistungsbestätigung für Rio von 1:14:30 mustergültig ab. „Die Strecke ist offiziell vermessen, das Vermessungsprotokoll liegt dem Verband vor“, zerstreute Roland Schmidt etwaige Bedenken wegen der Anerkennung dieser Leistung.

„Olympia kann kommen!“

So einfach kann Lisa nun das Unternehmen Kandel umschreiben. Am Vortag war sie von einem Trainingslager aus Kapstadt erst zurückgekommen. „Das war eine recht spontane Entscheidung. Ich habe mich im Training in Südafrika sehr gut gefühlt und Kandel ist ja von Gengenbach auch nicht so weit entfernt!“

Gesagt, getan, die 1:14 als Marschroute stimmte. Zumal sich Frederik Unewisse nach seinem frühen Ausscheren aus der Männer-Spitze zur „Hahner-Gruppe“ zurückfallen ließ, um dort das Rennen im vorgesehenen Tempobereich zu absolvieren.

Auf dem Weg nach Rio ist für Lisa Hahner ein Start in Hannover vereinbart. Aber auf welcher Strecke? „Vielleicht Marathon“, antwortete die 26jährige zunächst, um dann aber mit einem Lächeln nachzuschieben: „Weshalb wäre ich denn am vergangenen Dienstag noch einen Vierziger gelaufen?“  Rio ist (zu) weit weg, aber vielleicht Amsterdam!? Tanja Grießbaum hatte zwar nach 11 km die „ideale, aber sehr schnelle Gruppe“ verlassen, um dann mit ihrem persönlichen Tempomacher, dem letztjährigen Bienwald-Marathon-Sieger Oliver Trauth, mit 1:15:36 eine klasse Leistung abzuliefern. „Na klar, zur Norm fehlt noch etwas mehr als eine halbe Minute! Doch es ist Bestzeit und ich weiß, es ist noch mehr drin! Jetzt versuche ich es in Bad Liebenzell noch einmal!“

Auch die Drittplatzierte Kerstin Stephan zeigte sich höchst zufrieden. „Ich bin der Form meines Lebens“, strahlte die Wiesbadener Läuferin nach 1:18:05 Stunden. Vor Wochenfrist hatte sie gerade erst die W40-Wertung bei den Deutschen Crossmeisterschaften gewonnen hatte.  

Mit Eike Loch stellte sich übrigens ein früherer Spitzenläufer wieder einmal an die Startlinie. Für den 49jährigen Fürther wurden 1:12:21 notiert. „Ich war früher schon in Herxheim oder in Maximiliansau gelaufen, aber in Kandel noch nie. Da im Auto noch ein Platz frei war, bin ich kurzentschlossen mitgefahren!“

Noch bevor der Fokus auf die Marathonläufer im Bienwaldstadion gerichtet werden konnte, gab es anerkennenden Beifall für eine besondere Leistung: In Karlsruhe im vergangenen Herbst wegen zu warmen Bedingungen noch gescheitert, lief es jetzt für Lars Kegler perfekt – mit dem Weltrekord und dem Eintrag ins Guinness Buch der Rekorde. 1:38:59 Stunden benötigte der Berufsfeuerwehrmann aus Ludwigshafen, um mit „voller Montur“ (12 Kilogramm) die halbe Marathondistanz zu bewältigen. „Es lief super“, gestand der 35jährige und stellte sich schweißnass zusammen mit seinen beiden Begleitern Patrick Breitkopf und Markus Grandt den Fotografen.

Angesichts dieser massiven Spitze musste zwangsläufig der Marathon-Wettbewerb in den Schatten rücken.

Richard Schumacher ist in der Laufszene eher Insidern bekannt, schließlich gewann er im vergangenen Herbst den Schwäbisch Alb Marathon über 50 Kilometer. Über eine spezielle Renntaktik oder Zeitziel hatte sich der 33jährige aus der Nähe von Göppingen keine Gedanken gemacht. „Ich wusste nicht, wer hier überhaupt am Start ist. Unterwegs habe ich mich eigentlich auch nicht umgeschaut!“

Der Lagerist hatte durch Zufall eine Mitfahrgelegenheit von einem Laufkollegen vom Sparda Team Rechberghausen erhalten. „Ansonsten laufe ich in der Gegend, wo ich mit öffentlichen Verkehrsmitteln hinkomme. Und Kandel ist nicht einfach zu erreichen!“ Mit 2:30:49 Stunden durfte er sicherlich die Heimfahrt zufrieden antreten, schließlich liegt seine Bestmarke gerade einmal zwei Minuten besser. Und die weiteren Ziele des schüchternen Läufers: „Eventuell laufe ich die 100 km-Meisterschaften… „

Hier zwei brandneue Halbmarathon-Streckenrekorde, dort zwei Methusalem-Rekorde auf der Marathondistanz aus dem Jahr 1984.

Bei den seinerzeit integrierten deutschen Meisterschaften liefen Ralf Salzmann und Susanne Riermeier mit 2:14:15 bzw. 2:38:13 Stunden Klassezeiten, die zumindest auf der anerkannt schnellen Strecke im Südpfälzischen unerreichbar bleiben dürften. Dass selbst die Nächstplatzierten Raphael Grotti (2:39:22) und Bernd Vöhringer (2:39:53) schon neun Minuten hinter Richard Schumacher einliefen, das unterstreicht den aktuellen Stellenwert dies Traditionslaufes, der für den ambitionierten Marathonläufer eine gute Chance für einen schnellen Frühjahrsmarathon bietet, für absolute Spitzenzeiten jedoch sind die eher leistungsstarken Feldern bei den großen Stadtmarathonläufen vorzuziehen. Es sei denn, man strickt das entsprechende Umfeld für einen Marathon. Siehe die Ergebnisse auf der Halbdistanz.

Wie bei den Männern gewann mit Manishe Sina ein Debütant beim Bienwald-Marathon.

Die Trail verliebte Läuferin aus Frankfurt blieb dabei mit 2:59:08 Stunden erstmals unter drei Stunden. Allerdings musste sie bis zur Ziellinie kämpfen, denn mit der mehrfachen Ultrameisterin und zweifachen Bienwald-Marathonsiegerin Pamela Veith blieb ihr die erklärte Favoritin mit 2:59:29 Stunden stets im Nacken.

„Ich bin so stolz auf mich!“ gestand die 34jährige, die bislang über die Marathondistanz allenfalls eine 3:11 Stunden-Zeit vorzuweisen hat, dies allerdings als Durchgangszeit über 50 km. „Mit Moritz habe ich allerdings einen idealen Pacemaker gehabt“, gestand sie und blickte zu Moritz auf der Heide, der als Tempomacher für den 3-Stunden-Bereich eingeteilt war.

Den Swissalpine bezeichnet sie übrigens als großes Saisonziel. „Darauf bereite ich mich eigentlich schon seit Weihnachten vor!“

Wilfried Raatz 

author: GRR

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