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20
06
2012

Die neue Leichtathletik-Generation in der Nationalmannschaft macht Fehler und verliert auch mal – aber sie hat Spaß an der Leistung - Thomas Hahn in der Süddeutschen Zeitung ©DLV

Schluss mit Nörgeln – Thomas Hahn in der Süddeutschen Zeitung

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Wattenscheid – Aleixo-Platini Menga schaut in irgendeine Ferne, in der er den Weltrekordler Usain Bolt rennen sieht und Christophe Lemaitre, den WM-Dritten über 200 Meter aus Frankreich, und in Gedanken rennt er ihnen nach. Ja, sagt Aleixo-Platini Menga, der deutsche Jahresbeste im 200-Meter-Lauf, diese Jungs motivieren ihn.

„Deren Arbeit zeigt ja, dass nix unmöglich ist“, sagt er, „dahin zu kommen, wäre ein Traum.“ Aber geht das überhaupt, dahin zu kommen? Kann er das? Bolts 200-Meter-Weltrekord liegt bei 19,19 Sekunden, Lemaitre ist der erste weiße Sprinter, der die 100 Meter in 9,92 Sekunden zurückgelegt hat. Aleixo-Platini Menga dagegen hat sich in diesem Jahr mit persönlicher Bestzeit von 20,33 Sekunden für Olympia qualifiziert, seine 100-Meter-Bestzeit liegt bei 10,27. Stößt er da nicht schon an seine Grenzen, wenn er nur daran denkt, wie schnell Bolt und Lemaitre rennen? „Nee“, sagt Aleixo-Platini Menga, „also, was ich im Vornherein mit meinem Trainer festgemacht habe: Wir setzen uns keine Grenzen.“

Der Sportsoldat Aleixo-Platini Menga, 24, betreut von Coach Axel Berndt bei Bayer Leverkusen, ist einer von 94 Sportlern, die der Deutsche Leichtathletik-Verband (DLV) Sonntagnacht beim Europa-Verband EAA offiziell für die EM in Helsinki (27. Juni bis 1. Juli) gemeldet hat. Mehr noch: Er ist einer von jenen Athleten, die mit einer besonderen Leistung dazu beigetragen haben, dass man in der Spitzensport-Abteilung des DLV gerade besonders zufrieden ist. Seine 20,33 Sekunden waren die drittschnellste 200-Meter-Zeit, die je ein Deutscher gelaufen ist. Dass er sich als Sprinter für den olympischen Einzelstart empfehlen konnte, war eine echte Errungenschaft, ein weiteres Zeichen dafür, dass es in den Lauf-Disziplinen vorwärts geht. Aleixo-Platini Menga ist der Vertreter eines Sportlertyps, der den DLV in die Zukunft führen soll, und an der Art, wie er spricht und denkt, kann man ganz gut sehen, was diesen jungen Leichtathleten-Schlag ausmacht, der gerade durchstartet in diesem Olympiajahr.

Aleixo-Platini Menga ist in Angola geboren. Wie seine Sprintkollegin Tatjana Pinto, 19, Tochter eines Portugiesen und einer Angolanerin, wie Weitspringer Alyn Camara, 23, dessen Vater aus dem Senegal stammt, oder Weitspringerin Sosthene Moguenara, 22, die im Tschad geboren wurde, steht er im DLV-Kader für die bunte Republik Deutschland, die längst auch das Erscheinungsbild des Leichtathletik-Nationalteams prägt. Allerdings ist dieser Umstand dem jungen Menga „total wurscht“. Integration ist für ihn praktisch kein Thema, weil er ohnehin nicht zwischen weißen und schwarzen Deutschen unterscheidet. „Das ist die Globalisierung“, sagt er, „ich finde, da müssen wir offen sein.“

Nicht so wurscht ist ihm dagegen seine Einstellung zum Sport. Er hat zwei Seuchenjahre hinter sich, im vergangenen Sommer bremste ihn eine Muskelverletzung. Das hat ihm ein klares Bewusstsein für sein Wohlergehen gebracht. „Ich pflege meinen Körper besser“, sagt er. Es gab mal eine Athleten-Generation, die auf Gesundheitsmanagement wenig gab – das ist bei der heutigen anders.

Spiel mit der eigenen Natur

Vor allem aber haben sich Leute wie Menga frei gemacht von einem strengen Leistungsglauben, hinter dem die Freude am Sport verschwindet. Es klingt etwas vermessen, wenn Menga davon spricht, dass er sich keine Grenzen setze. Zumal er das am Sonntag bei den deutschen Meisterschaften in Wattenscheid nach dem 200-m-Finale tut, bei dem er seine Grenzen ziemlich deutlich gespürt hat. Als Favorit ist er Zweiter geworden hinter Julian Reus mit 20,64 zu 20,58 Sekunden. Er hatte noch das 100-Meter-Turnier in den Beinen, bei dem er auch Zweiter war. „Ich konnte einfach nicht locker bleiben“, sagt er, „das muss ich üben.“

 Aber bei dem Gedanken, dass nichts unmöglich sei, geht es ja auch gar nicht darum, wie ein leibhaftiger Superman Wunderdinge zu vollbringen. Es geht um eine Art des positiven Denkens, das sich damit befasst, was alles klappen kann, nicht damit, was alles nicht klappen kann. Lust an der Herausforderung, Spaß am Spiel mit der eigenen Natur – das sind die Prinzipien, nach denen die Mengas im Team sich auf den Weg gemacht haben. Geht nicht, gibt’s nicht – die Mengas räumen auf mit dem deutschen Nörgelwesen und schauen einfach mal. Bolt? Lemaitre? „Ich bin bei weitem noch nicht da, wo die sind“, sagt Aleixo-Platini Menga, „und deshalb macht mein Sport so einen Spaß, weil ich noch so einen weiten Weg zu gehen habe.“

Diese jungen deutschen Leichtathleten haben sehr wohl ihre Grenzen. Zur Weltklasse fehlt noch Einiges, und sie machen Fehler. In Wattenscheid hat Sosthene Moguenara, in diesem Jahr schon mit olympiatauglichen 6,88 Metern notiert, ihren Anlauf verhauen und wurde mit 6,06 Zehnte. Gregor Traber, 19, steuerte im Finale über 110 Meter Hürden auf den Sieg zu und stürzte an der letzten Hürde.

Und Aleixo-Platini Menga hat sich etwas verzettelt beim Anspruch, das volle Sprintprogramm mitzumachen. Trotzdem sind sie alle dabei bei der EM, und fünf Wochen später wohl auch bei Olympia in London. Kann schon sein, dass sie dort nichts gewinnen werden. Aber sie haben Spaß am Risiko und an ihren Möglichkeiten, die noch ungenutzt in irgendeiner Ferne liegen.

 

 Thomas Hahn in der Süddeutschen Zeitun, Dienstag, dem 19. Juni 2012

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