Dr. Daniel Möllenbeck - Präsident des Deutschen Sportlehrerverbands - Foto: LSB
Schlagabtausch: Noten im Sportunterricht? Dr. Daniel Möllenbeck, Präsident des Deutschen Sportlehrerverbands – Ohne Noten wird Sport abgewertet – SPORT IN BERLIN
Pro: Sportunterricht ist ein Unterrichtsfach wie jedes andere und muss deshalb gleichwertig behandelt werden.
Wenn Sportunterricht das einzige Fach ohne Noten wäre, dann hat er eine Sonderstellung und wird definitiv abgewertet. Das kann im nächsten Schritt dazu führen: Keine Noten, dann braucht man auch keine ausgebildeten Sportlehrkräfte mehr.
Dann können auch Übungsleitende aus Vereinen Sport unterrichten. Aber eine C-Lizenz im Breitensport ist kein fünfjähriges Studium mit Referendariat und pädagogischen Qualifikationen in den verschiedenen Bewegungsfeldern. Übungsleitende aus Vereinen kennen sich in der Regel nur in einer Sportart aus. Schulsport ist etwas völlig anderes als Vereinssport.
Schulsport ist auch kein Leistungssport. Früher gab es die Orientierung an Leistungstabellen in klassischen Sportarten. Das ist schon lange nicht mehr so. Heute fließen viele andere Komponenten in die Sportnote ein: Mitarbeit, Teamgeist, die Bereitschaft, sich anzustrengen, der individuelle Lernfortschritt. Da haben Lehrkräfte einen gewissen pädagogischen Spielraum.
Es ist eine falsche Annahme, dass die Sportnote auf Talent beruht. Sport ist kein Talentfach. Genauso wenig wie Mathe. Sport ist ein normales Unterrichtsfach, in dem Schülerinnen und Schüler etwas lernen, sich verbessern können und letztendlich eine gute Note bekommen können. Die Sportnote beruht nicht auf sportmotorischen Voraussetzungen, die ein Kind mit in die Schule bringt. Kinder, die im Sportverein sind, mögen es leichter haben. Aber auch Kinder, die nicht in einem Verein aktiv sind, können eine gute Note im Sport bekommen – wenn sie mitarbeiten und die entsprechende Einstellung haben.
Keine Noten wegen Angst- und Schamgefühl? Viele Kinder haben Angst vor Matheunterricht oder Bauchschmerzen vor Klassenarbeiten. Natürlich spielt die Körperlichkeit im Sportunterricht eine besondere Rolle. Aber eine ausgebildete Sportlehrkraft weiß das. Vorturnen vor der Gruppe oder Mannschaften wählen und zuletzt übrigbleiben – das sind die schlechten Beispiele von früher. Ausgebildete Sportlehrkräfte gestalten den Unterricht und die Leistungsprüfungen sensibel, damit die Kinder geschützt werden und niemand bloßgestellt wird.
Wie Umfragen zeigen, ist Sportunterricht das beliebteste Fach in den Schulen – auch mit Noten. Bei den allermeisten Schülerinnen und Schülern in Deutschland ist die Sportnote, glaube ich, eine gute Note.
Contra: Sebastian Heider, Leiter des Bischöflichen Montessori-Schulzentrums Leipzig
Sebastian Heider – Foto: LSB
Alle Kinder sind viel motivierter
In unseren fünften Klassen gibt es seit diesem Schuljahr im Sport keine Zensuren mehr. Eine Ad-hoc-Entscheidung war das nicht. Wir haben lange darüber diskutiert.
Die Initiative ging von unseren Sportlehrkräften aus: Wie schaffen wir es, dass alle Kinder Sport und Bewegung als etwas Schönes entdecken, das sie ihr ganzes Leben lang machen, weil es guttut. Dafür haben wir ein ausführliches Konzept erarbeitet. Es geht davon aus, dass Sport viele Facetten hat: gewinnen, verlieren, riskieren, wagen – auch Gesundheit und Körperempfinden spielen eine Rolle.
Aber noch zu oft liegt im Sportunterricht der Fokus nur auf Leistung. Wir wollen das traditionelle Notensystem überdenken. Dabei wollen wir nicht den Leistungsgedanken abschaffen, sondern das Bewertungssystem erweitern. Der individuelle Fortschritt der Kinder soll mehr in den Vordergrund rücken.
Es heißt jetzt nicht mehr „Du hast eine Zwei“, sondern „Du hast dich verbessert.“ Die Kinder sollen ganzheitlich beurteilt werden, nicht nur danach, wie weit sie springen oder wie schnell sie laufen. Zu oft bleibt heute bei den Kindern nämlich hängen „Du bist eine Zwei“.
Die individuelle sportliche Entwicklung derKinder,ihreAnstrengungsbereitschaft und ihre sozialen Fähigkeiten (Teamgeist, Fairplay, …) sollen genauso in die Beurteilung einfließen wie die absolute sportliche Leistung. Dadurch sollen alle – also auch nicht so sportliche – Kinder motiviert werden.
Motivation kommt von innen. Noten sind dabei nur bedingt hilfreich, eine Diskussion, die auch in anderen Fächern geführt wird. Aber Sportunterricht hat auch Aspekte, die ihn von anderen Fächern unterscheiden, hat viel mit Körpergefühlt und Scham, mit Druck und Angst zu tun. Viele heutige Erwachsene kennen die furchtbare Erfahrung aus der eigenen Schulzeit – wie demotivierend es ist, zuletzt in ein Team gewählt zu werden oder vor den Augen der anderen die Kletterstange nicht hochzukommen.
So etwas prägt oft das ganze Leben.
Schon jetzt ist festzustellen: Alle Kinder haben mehr Spaß und Freude beim Sportunterricht – weil der Druck nicht mehr so groß ist. Sie bewegen sich mehr, denn im Unterricht wird Zeit eingespart, weil nicht jeder einzeln nacheinander geprüft werden muss. Jedes Kind führt ein Heft, wo die erbrachten Leistungen eingetragen werden – von den Lehrkräften und von den Kindern selbst. Auf dem Zeugnis wird auf das Heft verwiesen und bei „Sport“ steht: teilgenommen.
Die Lehrkräfte müssen mehr Zeit für die Unterrichtsvor- und nachbereitung aufbringen. Aber sie machen das gern, weil die Rückmeldungen von Kindern und Eltern bislang durchweg positiv sind – auch von den Kindern mit guten Noten im Sport.
Die Testphase geht vorerst bis Herbst und wird wissenschaftlich von der Sportfakultät des Uni Leipzig begleitet. Danach entscheidet sich, ob die Noten permanent wegfallen.
Quelle: SPORT IN BERLIN – 1/2025
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