2011 IAAF World Outdoor Championships Daegu, South Korea August 27-September 5, 2011 Photo: Jiro Mochizuki@PhotoRun Victah1111@aol.com 631-741-1865 www.photorun.NET
Russischer Doping-Skandal – Ein Bayer in Moskau – Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung
Wird in der russischen Leichtathletik systematisch gedopt? Nicht nur die Fälle gesperrter Athleten legen das nahe. Auch hochrangige Anti-Doping-Berater sollen beteiligt sein. Ein Münchner Ermittler soll nun für Aufklärung sorgen.
Ein Polizist aus Bayern soll den russischen Doping-Sumpf trockenlegen. Jedenfalls hat die Welt-Anti-Doping-Agentur in Montreal (Wada) Günter Younger für einen speziellen Einsatz angefordert. Joachim Herrmann, der Innenminister des Freistaats, bestätigte dieser Zeitung am Mittwoch, dass er den Leiter des Dezernates 54 im Landeskriminalamt München für vorerst ein halbes Jahr freigestellt habe, damit dieser gegen Doping und für das Vertrauen in den internationalen Spitzensport kämpfen könne.
Von Februar an wird der 47 Jahre alte Younger der dritte Mann der unabhängigen Kommission der Wada sein, welche dem Vorwurf des systematischen Dopings im russischen Sport nachgehen soll. Wie viele Funktionäre im deutschen Sport wurden auch Younger und sein Dienstherr von der Berufung überrascht. „Sie ist eine Auszeichnung und eine Ehre“, sagte Younger am Telefon.
Younger hieß bis vor kurzem Seibold
Younger ist den Verantwortlichen im deutschen Sport auch deshalb unbekannt, weil er den Namen seiner neuseeländischen Frau angenommen hat. Das Paar hat vor vier Wochen geheiratet. Die Wada und ihr Generalsekretär David Howman allerdings haben den Ermittler, der als Günter Seibold geboren wurde und in Passau aufwuchs, nicht aus den Augen verloren, seit er ihnen bei Interpol auffiel. Younger war als Leiter der Abteilung für die Bekämpfung von Drogen-Kriminalität in Lyon unter anderem an der Operation Raw Deal beteiligt.
Diese ließ 56 illegale Doping-Laboratorien für die Herstellung von Steroiden, Wachstumshormon und andere Substanzen auffliegen, überwiegend in den Vereinigten Staaten. 124 Personen wurden festgenommen und 11,4 Millionen Steroid-Dosierungen beschlagnahmt. Präsident der Wada war damals Richard Pound, der nun Vorsitzender der Ermittlungskommission wurde. Er und Younger arbeiten darin mit dem kanadischen Juristen Richard McLaren zusammen. Younger kehrte 2010 zum Bayrischen Landeskriminalamt nach München zurück und baute das Dezernat für Internet-Kriminalität auf, Cybercrime.
Nun erwartet ihn eine gewaltige Aufgabe. Erst am Dienstag hat die russische Anti-Doping-Agentur Rusada fünf erfolgreiche Geher gesperrt, darunter die Olympiasieger Olga Kaniskina, Sergej Kirdjapkin und Waleri Borchin. Womöglich werden ihnen die Medaillen aberkannt, die sie bei den Sommerspielen von London 2012 gewannen.
Darauf deutet jedenfalls der Hinweis des Internationalen Olympischen Komitees hin, den die russische Nachrichtenagentur Tass verbreitet. Über die Neuvergabe der Medaillen entscheide der internationale Leichtathletikverband IAAF.
Dieser teilte am Mittwoch mit, die Zahl russischer Doping-Fälle generell in der Leichtathletik und speziell im Gehen erfülle ihn mit größter Besorgnis. „Wir ermitteln umfassend die jüngsten Doping-Vorwürfe gegen die russische Leichtathletik“, heißt es, „mit Unterstützung der Wada.“ In der jüngsten Übersicht der IAAF von Athleten, die wegen Dopings gesperrt sind, vom Dezember 2014, sind allein 69 russische Leichtathleten aufgeführt. Russische Medien schreiben, innerhalb der vergangenen fünf Jahre seien 25 russische Geherinnen und Geher des Dopings überführt worden.
Heimliche Ton- und Bildaufnahmen
Sportminister Witali Mutko hat daraufhin „ernsthafte organisatorische und personelle Veränderungen“ im Leichtathletik-Verband angekündigt. Ob die Athleten Bauernopfer sind oder im schwerbelasteten Leichtathletik-Verband ein Kurswechsel hin zu sauberem Sport stattfindet, wird auch Younger herauszufinden versuchen.
Doch über laufende Ermittlungen spreche er grundsätzlich nicht, sagt er, und eingearbeitet sei er auch noch nicht. Selbstverständlich hat auch er im Dezember den Film in der ARD gesehen, in dem die 800-Meter-Läuferin Julija Stepanowa und ihr Mann Witali den Vorwurf des systematischen Dopings im russischen Sport erheben („Geheimsache Doping: Wie Russland seine Sieger macht“). „Das wäre ein spannender Fall“, habe er damals gedacht, erinnert sich Younger. Er ist zuversichtlich, ihn innerhalb von sechs Monaten weitgehend zu lösen. Die Kommission selbst hat sich Zeit gegeben bis Ende des Jahres.
Für ihn sei nicht verwunderlich, dass die Wada bei der weltweiten Suche nach einem hochrangigen Ermittler Younger ausgewählt habe, lobte Minister Herrmann. Auch durch seine Einsätze bei Europol und Interpol habe dieser Kompetenz und Erfahrung erworben.
Gespräche mit Julija Stepanowa
Zu den ersten Gesprächspartnern Youngers dürften die beiden Kronzeugen gehören, die mit heimlichen Ton- und Bildaufnahmen belegt haben, dass der Cheftrainer der russischen Leichtathleten, Alexej Melnikow, der Leiter des Doping-Kontrolllabors Moskau, Gregori Rodschenkow, sowie der hochrangige Anti-Doping-Berater und Verbandsmitarbeiter Sergej Portugalow maßgeblich an systematischem Doping beteiligt sind, unter anderem durch den Handel mit Epo, Wachstumshormon und Testosteron, deren Verabreichung und das Vertuschen von Doping-Proben. Das Paar hat mit dem gemeinsamen Kind Russland verlassen.
Julija Stepanowa machte die Wada erstmals im Januar 2013, damals noch in einem Brief, auf systematisches Doping in der russischen Leichtathletik aufmerksam. Auf den Vorwurf des russischen Verbandspräsidenten Valentin Balachnitschew, der Film sei allein auf Provokation aus und enthalte nur Lügen, erwiderte sie im Interview mit der F.A.Z.: „Wir haben Beweise. Viel mehr, als das deutsche Fernsehen zeigen konnte.“ Bislang haben weder die IAAF noch die Wada um diese nachgesucht.
11,4 Millionen Steroid-Dosierungen beschlagnahmt
Younger wird sich auch mit Lilija Schobuchowa unterhalten wollen. Die mit einer Bestzeit von 2:18,20 Stunden zweitschnellste Marathonläuferin der Welt berichtete ebenfalls in der ARD, dass sie mit der Zahlung von knapp 450.000 Dollar an russische Funktionäre eine Doping-Sperre zumindest zeitweise verhindern konnte.
Der russische Leichtathletik-Präsident Balachnitschew klammerte sich derweil weiter an sein Amt. „Wenn die höheren Autoritäten entscheiden, dass mein Rücktritt notwendig ist“, versprach er, „werde ich definitiv gehen.“
Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Donnerstag, dem 22. Januar 2015
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