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22
06
2009

Nach Schulschluss ist es ein besonderes Gefühl, rund ein Drittel der Kleinen nach Hause rennen zu sehen. Dabei ist in den Ganztagsschulen die tägliche Sportstunde obligatorisch.

Robert Hartmann – Eine Geschichte über Professor Dr. Mike Boit von der Yomo-Kenyatta-University in Nairobi. Kenia – Tei I.

By GRR 0

Woran denken wir zuerst, wenn wir von Kenia hören? Nun, das sind die Tierparks, die herrlichen Strände am Indischen Ozean mit Mombasa, der Hafenstadt, und wer von uns die Sportseiten der Tageszeitungen liest, weiß, dass in diesem Land im Osten Afrikas die besten Langstreckenläufer der Welt aufwachsen. Es ist ein Touristen- und Sportler-Paradies.

Meinen Gästen sage ich oft, ich lade sie am Abend zu einem Bier ein, wenn sie mir bei unserem täglichen Ausflug ein einziges dickes Kind zeigen könnten. Statistisch betrachtet ist die Chance groß, eigentlich. Denn in Kenia ist jeder Einwohner jünger als 15 Jahre alt.

Nach Schulschluss ist es ein besonderes Gefühl, rund ein Drittel der Kleinen nach Hause rennen zu sehen. Dabei ist in den Ganztagsschulen die tägliche Sportstunde obligatorisch.

Das Klischee lebt. Und das Bier habe ich bisher noch nicht ausgeben müssen.

Jetzt sind wir der Antwort auf die Frage, wer dieses Land überhaupt noch retten kann, schon nahe gekommen. Wir erinnern uns ja an die schlimmen Ereignisse am Anfang des vorigen Jahres, als es nach der Parlamentswahl bei Stammesauseinandersetzungen 1.200 Tote und 600.000 Vertriebene gab. Ich denke also, dass Kenia besonders mit Hilfe der Bildung, der Erziehung, geheilt werden kann. Durch die Kultur des Miteinanders. Dies hätte dann Hand in Hand mit der Aufklärung zu gehen.

Dazu möchte ich Ihnen drei Mut machende Beispiele mit einem sportlichen Hintergrund vorstellen. Eine radikale Lösung kann eh niemand anbieten. Das kann nicht einmal Barak Obama, der neue US-amerikanische Präsident, dessen Vater bekanntlich vom Ufer des kenianischen Viktoriasees stammt. Immerhin aber zeigt er mit seinem Schwindel erregenden Aufstieg, was in dieser Welt und in dieser Weltgegend möglich sein kann.

Mein erstes Beispiel ist eine Geschichte über Professor Dr. Mike Boit von der Yomo-Kenyatta-University in Nairobi. Jetzt müssen wir erst einmal wissen, dass es in Kenia die so genannten Läufervölker gibt, und auf sie hatte sich auch das oben genannte Angebot mit dem Bier bezogen.

Bei den Läufervölkern handelt es sich um die Stammesgruppe der Kalenjin, die in den Hochebenen über 1.800 m Höhe im Nordwesten Kenias siedeln, im berühmten Rift Valley. Sie sind nur drei Millionen Menschen. Das sind weniger, als Berlin Einwohner besitzt. Neunzig Prozent aller großen Stadt-Marathons werden von Kalenjin gewonnen. In der gesamten Sportwelt gibt es nichts Eindrucksvolleres. Jedes ihrer Lauftalente, sobald sie über einen höheren Schulabschluss verfügen, erhält zurzeit von einer US-amerikanischen Universität ein Leichtathletik-Stipendium angeboten. Also ein vierjähriges Studium bei freier Kost und Logie.

Einer der früheren Laufstars, der Hindernisläufer Moses Kiptanui, sagte mir einmal, 95 Prozent der Lauftalente kommen von sehr armen Familien. Ich habe es oft erfahren, dass die Läufer mit ihren in Europa und den USA verdienten Siegprämien die Schulgebühren ihrer jüngeren Verwandten finanzieren. Ich habe nur von zwei erfahren, die dies nicht taten.

Mike Boit, der seinen Doktortitel als Sportwissenschaftler in Eugene im US-Bundesstaat Oregon erwarb, war bis Mitte der 80er Jahre 15 Jahre lang ein Weltklasseläufer über 800 m und 1500 m. In München 1972 gewann er die olympische Bronzemedaille über 800 m.

Er galt schon immer als ein Mann der Bücher, schon seine Mutter legte Wert darauf, dass er sich im Unterricht immer unter den besten drei Schülern befand, weil sein Vater dann von den sonst obligatorischen Schulgebühren befreit war. Man sollte wissen, dass die Privatschulen den staatlichen akademisch hoch überlegen sind.

Vor vier Jahren setzte Mike, der inzwischen Professor ist, eine faszinierende private Idee in die Tat um. Es gelang ihm nämlich, die besten Secondary- und Highschool-Absolventen seiner Kalenjin zu den besten amerikanischen Universitäten zu schicken. Wie Boston, Yale, Stanford.

Voraussetzung für ein Stipendium sind die Schul-Abschlüsse A, Minus A und B plus. Wir würden sagen „sehr gut“ und allenfalls 2 plus. An einem bestimmten Tag im November versammelt Mike seit vier Jahren die junge geistige Elite auf dem Universitätssportplatz nahe der Provinzstadt Eldoret, um sich in einem 1500-m-Lauf nicht nur akademisch, sondern auch sportlich für die künftige Hochschul-Mannschaft zu qualifizieren.

Unabhängig von seinem ehrgeizigen Förderprogramm hält Mike auch anderweitig seine Augen offen. So berichtete er vor rund einem Jahr von einem jungen Mann namens Samuel Waweru. Der Junge hätte fünf Jahre lang auf den Straßen von Nairobi gelebt und war dann auf eine Spezialschule für Straßenkinder gegangen, die er mit einem verblüffend guten Abschluss beendete.

Nachdem die beiden sich kennen gelernt hatten, begann Mike ihn bald in der Absicht, als Läufer zu trainieren, um ihm später vielleicht ein Leichtathletik-Stipendium in den USA besorgen zu können. Samuel erhielt dann von der US-Botschaft in Nairobi nach einem strengen Interview auch das erforderliche Visum, und Mike brachte ihn tatsächlich in den Vereinigten Staaten auf einer Universität unter.

Doch jetzt türmte sich erst einmal das große Aber vor dem jungen Mann auf! Und zwar deshalb: Samuel sagte, auf den Straßen von Nairobi sei er es gewohnt gewesen, kleine 5-Schilling-Beträge zusammen zu betteln, Pfennige; jetzt brauchte er für das Flugticket jedoch 70.000 Schilling. Oder 700 Euro. Das war unmöglich. Mike hatte irgendwann die Idee, Catherine Ndereba um Hilfe anzurufen, die Weltmeisterin und Olympia-Zweite im Marathonlauf.

Am Ende ihres Gesprächs erkläre sie sich einverstanden, das vollständige Ticket zu bezahlen. Sie stellte keine Bedingungen. Ein ungewöhnlich stilles Mäzenatentum. Zurzeit studiert der junge Mann auf der Wichita-University das Fach „Nursery“. Krankenpflege.

Robert Hartmann – morgen lesen Sie den Teil II. Kenia

author: GRR

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