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20
09
2021

Symbolfoto - Zeitfahren - Foto: Horst Milde

RAD-WM 2021 in Belgien Italiener Ganna bleibt ein Gewinner ohne Kompromisse Tony Martin beendet Karriere Von KLAUS BLUME

By GRR 0

BRÜGGE – Zeitfahren, ein Bereich des Ausdauersports, in dem es keine Kompromisse gibt. Man liebt oder hasst es: So, wie derItaliener Filippo Ganna (26) , der am Sonntag im flämischen Brügge – nach 43,3 Kilometer an der Nordseeküste – erneut Weltmeister wurde.

Wieder Ganna, der bisher als einziger Italiener denTitel in dieser gnadenlosen Ausdauerdisziplin gewann.

Denn das, was jetzt am Sonntag in Belgien geschah, erforderte nicht nur hohes physisches Leistungsvermögen, sondern auch enorme mentale Stärke. Kurz gesagt: Härte gegen sich selbst. Und dabei immer gegen den Windwiderstand. Neunzig Prozent aller Kraft braucht es allein, diesen Widerstand zu überwinden. Denn im Grunde besteht das Einzelzeitfahren aus der Kunst der richtigen, der subjektiven Tempoeinteilung. Wesentlich ist dabei freilich die Erfahrung. Denn man muss als Rennfahrer eine Vorstellung entwickeln, wie lange sich ein bestimmtes Intensitätsniveau durchhalten lässt. Das Gehirn spielt bei der Tempoeinteilung die wichtigste Rolle. Denn dort laufen alle Informationen aus dem Körper zusammen: Puls, Atmung, Muskelzustand, Temperatur.

Als der englische Tour-de-France-Sieger Bradley Wiggins am 7. Juni 2015 in London 54, 526 Kilometer innerhalb einer Stunde zurück gelegt hatte, erklärte er mir danach in einem einstündigen Vortrag, ohne Punkt und Komma, wieviel Kilometer er geschafft hätte, wenn das Publikum nicht in triefenden Regenmänteln auf den Tribünen gehockt hätte. „Das kannst du dir gar nicht ausrechnen . . .“

Der südafrikanische Sportwissenschaftler Dr. Rosss Tucker erklärt dazu einleuchtend, wie der Körper dabei unterbewusst das richtige Tempo findet. Er nennt das Zeitfahren einen Ritt auf des Messers Schneide; ein Tick zu viel, und man überzockt. Ein Tick zu wenig und man hat alles verloren.

Die Geschichte hat bewiesen, das einige der besten Zeitfahrer aller Zeiten zugleich auch zu den erfolgreichsten Rennfahrern überhaupt gehört haben. Der Franzose Jacques Anquetil war ein solcher Fahrer. Er war der Erste, der die Tour de France fünfmal gewann. Alle seine großen Triumphe basierten dabei auf seinen Fähigkeiten als Zeitfahr-Spezialist. Sein einziger Trainer, der legendäre André Boucher, begleite ihn täglich auf einem Derny-Motorrad. Was hart genug war. Doch Anquetil baute in das Training auch noch alle fünf Kilometer temporeiche Intervalle ein. Unsereins würde dabei bewusstlos vom Rad fallen.

Übrigens: Tony Martin – viermal Weltmeister im Einzelzeitfahren und diesmal Sechster – wird nach dieser Straßen-WM endgültig seine Karriere beenden, Auch, weil sich seiner Auffassung nach “trotz vieler Diskussionen um Streckenführungen und Absperrungen die Sicherheit in Radrennen nicht verbessert hat.“

Da zieht der 36-Jährige sich lieber still zurück.

Klaus Blume
Uhlenhorster Weg 2
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