Symbolbild - Foto: Horst Milde
RAD-WM 2021 im Radsport-Land Belgien – Ein Fest fürs Leben! Nicht nur Weltmeister Julian Alaphilippe jubelte – Von KLAUS BLUME
LEUVEN – Wout van Aert – oder gewinnt doch irgendein Fremder die Rad-Weltmeisterschaft 2021? In Belgien war das am letzten Sonntag sogar eine Frage von nationaler Bedeutung.
Der Franzose Julian Alaphilippe beantwortete sie im flämischen Leuven mit der Verteidigung seines Titels aus dem Vorjahr.
Doch 500 000 begeisterte Zuschauer feierten nicht nur ihn, sondern vor allem ihren belgischen Landsmann Wout van Aert, der 150 Meter von seinem Elternhaus entfernt, den 11. Platz belegte.
Wobei Wout van Aert nicht irgendein Rennfahrer ist, sondern auch völlig aus der Art zu schlagen scheint. Denn heute werden im Radsport Spezialisten verlangt, die entweder sprinten, klettern oder besonders schnell gegen die Uhr fahren können. Wout van Aert aber kann alles, so wie vor Jahrzehnten der große Eddy Merckx. Das bewies der Flame auf der letzten Tour de France. Dort siegte Wout van Aert im Zeitfahren, zweimal oben auf dem Mont Ventoux und zuletzt sogar beim Sprint auf den Champs Elysees in Paris.
Völlig altmodisch, doch seitdem werden Pressekonferenzen mit Wout van Aert in Belgien fast so feierlich inszeniert wie ein Auftritt des Königs. „Es ist schon ein Traum, diese Position zu erleben“, hatte Van Aert noch vor zwei Tagen gesagt. „Denn in unserem Heimatland eine Weltmeisterschaft zu haben und der Typ zu sein, den man dabei besonders beobachten muss, das ist ein schönes Gefühl. Natürlich ist damit viel Druck verbunden, aber ich versuche, es zu genießen.“
Denn Flandern, das seien ja nicht nur die traditionsreichen Kulturstädte Brügge, Antwerpen, Gent oder Leuven – das sei eben auch der Radsport mit seinen vielen traditionellen flämischen Rennen. Kein Land auf der Welt ist schließlich so radsportbegeistert wie Belgien. Nahezu jedes Wochenende finden im Lande kleinere und größere Rennen statt. So standen sie denn auch am Sonntag in Fünferreihen an der WM-Strecke zwischen Antwerpen und Leuven. Zum zehnten Male fand eine Rad-Weltmeisterschaft in Belgien statt, zum siebten Male in Flandern. Hier ist Radfahren Volkssport Nummer eins, populärer sogar als Fußball. Die Stars von gestern, wie Eddy Merckx oder Rik van Looy werden als Nationalhelden verehrt.
Und alle diese Idole finden noch immer ihre Nachahmer. So radeln zehntausende flämischer Amateure Woche für Woche auf einem der zahlreichen Kirmesrennen um die Wette und Ehrenurkunden. Mit 11,46 Millionen Einwohnern ist Belgien zwar eher ein kleines Land in Europa, aber wenn es um den Radsport geht, ganz groß. Fast 16 Prozent aller Wege werden in Flandern per Rad zurück gelegt, bemerkte jetzt die flämische Tourismusbehörde. Für eine Region, die auch ländliche Gebiete umfasst, eine ganze Menge. Doch anders als in den benachbarten Niederlanden ist Radfahren für viele Belgier ausschließlich Sport. Niemals würden sie mit dem Rad zur Arbeit oder zum Einkaufen fahren. Doch an fehlenden Radwegen liegt es sicher nicht, wenn so wenige Menschen in Brüssel ihr Rad benutzen. Es liegt wohl hauptsächlich daran, dass die Radwege dort fast immer zugeparkt sind.
Doch außerhalb Brüssels warten sie, wie am Sonntag bei der Weltmeisterschaft, stundenlang mit viel Geduld am Straßenrand auf ihre Rennfahrer. Wer noch die dabei gewesen ist, versteht das alles nicht. So lange warten – und in drei Minuten sind die Rennfahrer dann vorbei! Marc, Mitte Fünfzig, Ingenieur, gepflegter Schnauzbart, wetterfester Parka, steht fast jeden Sonntag irgendwo in Belgien an irgendeiner Straße und jubelt den Radrennfahrern zu.
Mal den hoch bezahlten Profis, mal den Frauen, mal den Jugendfahrern. Warum so viel Leidenschaft? Man käme dabei nicht nur an die frische Luft, sondern auch mit wildfremden Menschen in Gespräch. Und wenn es allzu heftig regnen würde, könne man ja in die nächste Kneipe gehen, wo mit Sicherheit im Fernsehen irgendein Radrennen übertragen würde.
Das gehöre nun mal zur flämischen Lebensart.
Auch, wenn Wout van Aert mal wieder das Finale vergeigt habe.
Klaus Blume
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