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10
02
2009

Es sind sicherlich die genannten Superlative, die diese Entwicklungen in einer Region der Erde fördern, die mit normalen Maßstäben kaum zu messen und zu verstehen sind. Gerade deshalb erscheint ein Versuch lohnenswert, die vielfältigen Aspekte etwas genauer unter die Lupe zu nehmen und den aktuellen Status zu reflektieren.

Quo vadis, Dubai? Anmerkungen zum Standard Chartered Dubai Marathon vom 16. Januar 2009 – Teil 1 – Helmut Winter berichtet

By GRR 0

Mit ungewöhnlichen finanziellen Ressourcen sowie unter der Mitwirkung des Superstars der aktuellen Marathonszene, Haile Gebrselassie, hat es der Standard Chartered Dubai Marathon innerhalb von nur zwei Ausgaben geschafft, ins Rampenlicht der Laufszene zu kommen.

Während in den ersten Jahren nach seiner Gründung vor 10 Jahren dieser Lauf nur Insidern bekannt war (obwohl es schon 2003 mit 2:09:33 eine ausgezeichnete Siegerzeit gab), hat sich dies spätestens seit dem letzten Jahr gravierend verändert. Mit einem in der Marathonszene ungewöhnlich hohen Preisgeld von jeweils 250.000 $ für Sieger und Siegerin (nicht ganz zu Unrecht bezeichnet man sich als der „world richest marathon“), das noch von einem Weltrekordbonus von 1 Million $ überstrahlt wird, bewegt man sich in finanziellen Regionen, in denen es auch für die etablierten Großveranstaltungen eng wird. Selbst für den zehnten Platz gibt es 10.000 $ und dazu reichte in diesem Jahr einen Zeit von (nur) 2:15:23.

Das hohe internationale Interesse an diesem Lauf in diesem Jahr am 16.1.2009 deutet an, dass zumindest
das Ziel der Veranstalter, Aufmerksamkeit zu erregen, in allen Belangen aufgegangen ist.
Obwohl die Berichterstattung aus dem Emirat nach wie in den Anfängen steckt, machte die Kunde von Hailes Scheitern bei der Jagd nach seinem eigenen Weltrekord schon in kurzer Zeit seine Runde um den Globus. Die Präsenz vor Ort des Race Directors vom London-Marathon, Dave Bedford, oder auch vieler ausgewiesener Experten der Marathonszene verschaulicht das schnell steigende Interesse an diesem Lauf.

Es sind sicherlich die genannten Superlative, die diese Entwicklungen in einer Region der Erde fördern, die mit normalen Maßstäben kaum zu messen und zu verstehen sind. Gerade deshalb erscheint ein Versuch lohnenswert, die vielfältigen Aspekte etwas genauer unter die Lupe zu nehmen und den aktuellen Status zu
reflektieren.

Teilnehmerzahlen

Während man bei den Preisgeldern die Großen der Marathonszene bereits hinter sich gelassen hat, ist das bei den Teilnehmerzahlen auch mit großen finanziellen Ressourcen nicht ganz einfach umzusetzen. Um mit London, New York oder Berlin zu konkurrieren, fehlt vor Ort die Akzeptanz im Umfeld und eine ausreichende Population von potentiellen Teilnehmern. Die Marathonbewegung ist in seiner Breite sicher noch nicht in der Wüste angekommen, wo ein Lauftraining außerhalb der wenigen Wintermonate fast „unmöglich“ ist (obwohl man dieses Adjektiv in Dubai ansonsten kaum zu kennen scheint). Und während die höchsten Gebäude
dort dem Himmel immer näher rücken, bleiben die Zahlen der Teilnehmer in irdischen Regionen.

Zwar wurde einen Monat vor dem Lauf in den dortigen „Gulf News“ ein Feld von insgesamt 20000 Aktiven für alle Wettbewerbe (Marathon, 10 km, 3 km Fun Run) erwartet und bereits 1500 Meldungen für den Marathon und 5000 für die 10 km genannt, ein Blick auf die „Finisher“ in den Ergebnislisten zeigt aber, dass man sich auch hier in einer oft üblichen Übertreibung von Teilnehmerzahlen übt. Danach erreichten fast genau 900 Teilnehmer das Ziel des Marathons, knapp 4000 beendeten die 10 km; über den 3 km Lauf liegen keine Zahlen vor.

Interessant ist diesbezüglich der Blick auf die Entwicklungen in den letzten Jahren, wo man zwar einen ausgeprägten Anstieg der Finisher feststellen kann (s. Grafik). Aber für einen Marathon mit derart hohen Leistungsansprüchen ist die Breite an Mitläufern sicher noch unterwickelt. Obwohl aktuell der finanzielle Rahmen sich kaum auf die Einnahmen von Teilnehmern gründen muss, dürfte es langfristig nicht ganz unwichtig für den Dubai Marathon sein, größere Massen anzuziehen, die man allerdings außerhalb des Emirates rekrutieren muss.

Somit werden neben den Weltrekordjagden auch Entwicklungen in den Vordergrund drängen, inwieweit es gelingen wird, Marathon-Touristen statt für einen Start z.B. in New York oder Chicago für Dubai zu gewinnen. Mit den aktuellen Aktionen im Spitzenbereich hat man erste Schritte in Richtung „Public Relations“ initiiert, aber erst die Zukunft wird zeigen, wohin die Entwicklungen diesbezüglich gehen.
 
Die Jagd nach dem Weltrekord im Marathon

Primäres Ziel der Veranstalter ist es, den Weltrekord im Marathon der Männer in das Emirat zu holen. Dass man es damit sehr ernst meint, zeigt der Einsatz enormer finanzieller Ressourcen und der damit mögliche Auftritt des besten Marathonläufers aller Zeiten, Haile Gebrselassie, der nach einigen Schwierigkeiten beim Umstieg von der Bahn auf die Langdistanz der Straße mittlerweile eine Klasse für sich ist. Die Tabelle mit den zehn schnellsten jemals im Marathon erzielten Zeiten belegt dies nachdrücklich. Obwohl man das Ziel der Spitzenposition auch in diesem Jahr verfehlte, ist Dubai in diesem Ranking bereits bestens vertreten, und es erscheint sehr realistisch, dass sich dies in den kommenden Jahren weiter zu Gunsten Dubais entwickeln dürfte.

Die schnellsten Marathonläufe der Männer aller Zeiten

1. 02:03:59 Haile Gebrselassie         ETH Berlin 28.09.2008
2. 02:04:26 Haile Gebrselassie      ETH Berlin 30.09.2007
3. 02:04:53 Haile Gebrselassie      ETH Dubai 18.01.2008
4. 02:04:55 Paul Tergat                KEN Berlin 28.09.2003
5. 02:04:56 Sammy Korir              KEN Berlin 28.09.2003
6. 02:05:15 Martin Lel                  KEN London 13.04.2008
7. 02:05:24 Samuel Wanjiru          KEN London 13.04.2008
8. 02:05:29 Haile Gebrselassie      ETH Dubai 16.01.2009
9. 02:05:30 Abdherrahum Goumri  MAR London 13.04.2008
10. 02:05:36 James Kwambai        KEN Berlin 28.09.2008
 

Wie professionell man mittlerweile ans Werk geht, zeigen die Maßnahmen der weiteren Optimierung, die man für den diesjährigen Lauf ergriff. Den Start- und Zielbereich im wunderschönen Zabeel-Park verlegte man an das andere Ende der Pendelstrecke, um insbesondere vom aufkommenden Wind in der zweiten Stunde des Laufs profitieren zu können, wobei ferner die Strecke bis auf eine kurze Schleife nur noch gradlinig in der Nähe der Küste verläuft. Zieht man ferner noch den perfekten Belag der neu angelegten Straßen sowie vernachlässigbare Höhenunterschiede in Betracht, hat Dubai vermutlich den schnellsten Marathonkurs der Welt.

Nimmt man dann noch das sehr eingeschränkte Zuschauerinteresse über weite Teile der Strecke dazu, ist die Bezeichnung „Retortenrennen“ durch den Race Director des Berlin-Marathons, Mark Milde, durchaus angebracht. Andererseits haben die Spitzenzeiten im Marathon ein Niveau erreicht, das ohne optimale Randbedingungen kaum noch zu steigern ist. Diesbezüglich hatte man nicht nur das Berliner Konzept der
Schrittmacherdienste für Haile bei seinen Weltrekorden in den Jahren 2007 und 2008 übernommen, man bemühte sich auch um eine personell im Vergleich zu Berlin fast identische Besetzung der Pacemaker, was in diesem Jahr aber nicht ganz gelang.

Aber vier hochkarätige „Hasen“, nur für Haile abgestellt, unterstützten den Äthiopier bis zur Halbdistanz, und bis 32 km waren noch John Kales, Elijah Keitany und Joseph Ngolepus im Rennen. An der Zwischenzeit bei 30 km von 1:28:22 sei veranschaulicht (30 km Weltrekord: 1:28:00), welches Leistungsvermögen mittlerweile auch bei den Pacemakern erforderlich ist.

Man geht in Dubai aber auch neue Wege, die Athleten bei der Jagd nach Spitzenzeiten zu unterstützen. So hatte in diesem Jahr der Marathon-Experte Sean Hartnett aus den USA eine 4 m2 große Matrix-Anzeigewand auf dem Führungsfahrzeug montiert, auf der neben der aktuellen Zwischenzeit und dem letzten km-Split auch die projizierte Zeit für den Halbmarathon und später für die volle Distanz aufleuchten (s. auch Foto). Mit dieser
Innovation will Hartnett den Informationsstand beim Straßenlauf auf das Niveau der Wettbewerbe auf der Rundbahn im Stadion bringen.

Die ersten Erfahrungen mit diesem System stimmen sehr positiv. Für die Pacemaker waren die Informationen eine große Hilfe, so dass man trotz der nicht günstigen Bedingungen die Halbmarathonmarke in der genau
vorgegebenen Sollzeit zu passierte. Auch für die Zuschauer war damit der Stand der Rekordjagd sofort ersichtlich, und diesbezügliche Nachfragen zeigten, dass die Informationen in der Tat den Mann/Frau am Straßenrand erreichen und bei der Einschätzung des aktuellen Stands der Dinge sehr hilfreich sind. Somit könnte der Dubai-Marathon Vorreiter einer technischen Entwicklung sein, die wir schon bald auch bei den großen Stadtmarathons im gezielten Einsatz sehen werden.

Eine weitere Maßnahme zur vermeintlichen Leistungsförderung war eine Vorverlegung der Startzeit auf 6:30 Uhr, die von Hailes Management gewünscht wurde. Man wollte so der schnell zunehmenden Einstrahlung der Sonne in den Morgenstunden entgegenwirken, was aber bei dem mit Regenwolken bedeckten Himmel keinerlei Rolle spielen sollte. Dafür geriet aber die Startphase des Laufs zu einer fast gespenstischen Kulisse, die sich in völliger Dunkelheit und im Regen vollzog. Über den Nutzen dieser Maßnahme kann man sicher streiten, zumal diese kaum dazu beiträgt, das ohnehin geringe Zuschauerinteresse entlang der Strecke zu steigern.

Auf z.B. den Berlin-Marathon im September übertragen, entspräche dies einer Startzeit um ca. 5:00, und die Läufermassen würden dann mit hoher Wahrscheinlichkeit gleichfalls durch leere Straßen der Hauptstadt rennen.
Nun einige Anmerkungen zur leistungssportlichen Komponente des Dubai Marathons, die sich fast ausschließlich auf Haile Gebrselassie konzentriert, auf den dieser Lauf in allen Belangen zugeschnitten ist. Der Superstar der Marathonszene ist dies natürlich auch in Dubai, er soll seinen Berliner Weltrekord ins Emirat verlagern. Dabei verzichtet man momentan (noch!?) auf eine noch stärkere Konkurrenz, die aktuell ausschließlich aus Kenia und vor allem Äthiopien stammt und nicht unbedingt der allerersten Garde der Szene zuzurechnen ist. Angesicht der weltweit einmaligen Preisgelder auch auf den nachfolgenden Plätzen grenzt dies schon fast an „Geldverschwendung“, aber das spielt in diesen Breiten derzeit noch kaum eine Rolle.

Jeder gestandene Veranstalter in unseren Regionen würde mit diesen Preisgeldern auch in der Breite ein Weltklassefeld an die Startlinie bringen, das den Vergleich mit dem London Marathon nicht scheuen müsste. In Dubai verhindern nur bedingt zu ergründende Abläufe und Abhängigkeiten im Augenblick eine weitere Öffnung der Felder im Elitebereich. Der langfristige Erfolg von absolutem „Spitzensport in der Wüste“ wird auch davon abhängen, inwieweit man die Rekordjagden eines einzelnen Ausnahmekönners auf den spannenden
Kampf einer breiteren Spitze transformieren kann. Zumal der stets mögliche Ausfalls des Stars zu einem gewaltigen Imageverlust führen würde. Sollten die Geldquellen auch in den kommenden Jahren nicht versiegen, sind die Perspektiven einer Besserung allerdings bestens.

Der Lauf hat schon jetzt eine ungewöhnlich hohe Popularität, und die rein sportlichen Voraussetzungen sind glänzend. Den bisher etablierten Großevents erwächst hier zumindest in der sportlichen Leistungsbreite ein ernsthafter Konkurrent, einen ersten Vorgeschmack geben schon heute die Weltbestenlisten im Marathon. Im Mittel der zehn besten jemals auf einem Marathon-Kurs erzielten Zeiten liegt Dubai mit 2:08:03 bereits auf dem 12. Platz, allerdings noch deutlich hinter den Spitzenreitern der Szene (Berlin 2:05:34, London 2:05:58, Chicago 2:06:12) zurück.

Hier wird man sich sicher in den nächsten Jahren deutlich nach vorne orientieren.

Helmut Winter

Teil 2 – morgen

author: GRR

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