Noch führt Maja Schmidt (170) die U20-Spitze an vor den Favoritinnen Julia Ehrle (leicht verdeckt), Franziska Drexler (48) und Emily Junginger (verdeckt/ 229). - Foto: Wilfried Raatz
Programm gemäßes und Überraschungen: Elena Burkard überrascht die eigentliche Favoritin und Straßen-EM-Zweite Eva Dieterich bei ihrer 10.000 m-Premiere – Wilfried Raatz berichtet
Nils Voigt gewinnt dagegen seinen dritten 10.000 m-Bahntitel mit einer reifen Meisterleistung bei den Deutschen Langstreckenmeisterschaften auf der Jahnkampfbahn in Hamburg
Die altehrwürdige Jahnkampfbahn im Hamburger Stadtteil Winterhude mit Baujahr 1919 ist die einzige Leichtathletikanlage der Hansestadt mit acht Rundbahnen.
Immer wieder gerne wird sie genutzt für spektakuläre Wettbewerbe wie die „Nacht der Zehner“ und zahlreichen Meisterschaften auf Landes- und Bundesebene. Und dies, selbst wenn die atmosphärische Anlage in Sichtweite des Planetariums und dem angrenzenden Stadtpark kaum Parkraum für auswärtige Teilnehmer bieten kann.
Die „Doppelveranstaltung“ mit den am Samstag anstehenden Langstreckenmeisterschaften über 10.000 m bzw. 5000 m für die U20 und alle Masterskategorien und den am Sonntag folgenden Langstaffel-Wettbewerben hatten also den besten Rahmen parat für Spitzenleistungen und spannende Entscheidungen um Gold, Silber und Bronze. Letztlich gib es in den einzelnen Wettbewerben um Qualifikationen für den Europacup in Pacé/ Frankreich (24. Mai), die EM-Normen für U23 in Bergen/ Norwegen (17.-20. Juli) und U20 in Tampere/ Finnland (7.-10. August), während für die im September in Tokio anstehenden Weltmeisterschaften noch andere Gesetzmäßigkeiten (sprich Quali-Hürden) gelten
Elena mit meisterlicher Taktik
Wäre alles vorhersehbar, dann würden selbst derartige Meisterschaften eher langweilig sein. Für d i e Überraschung sorgte dabei die eigentliche Hindernisläuferin Elena Burkard, die bei ihrer Bahnpremiere über die 25-Runden-Distanz mit einem beherzten Antritt eine furiose Schlussrunde hinlegte und die eigentliche Favoritin und Titelverteidigerin Eva Dieterichs schlug.
Immer wieder ist Eva Dieterich (vorne) die Lokomotive im Express vor Elena Burkard (mitte) und Lisa Merkel – Foto: Wilfried Raatz
Dass sowohl Elena als auch Eva persönliche Hausrekorde laufen konnten, dass jedenfalls ist alleine das Werk der Tübingerin, die vor wenigen Wochen 10 km-EM-Zweite in Leuven geworden war. Sie führte praktisch nach einer kurzen Abtastphase das gesamte Rennen über, spannte sich vor allem, als das Tempo zu verschleppen drohte, wieder als Lokomotive für die zumeist dreiköpfige Spitze mit der stets im Windschatten klebenden Elena und der jungen Lisa Merkel. Und war sichtlich niedergeschlagen ob des unerwarteten Rennausgangs im Ziel. „Ich hätte mir mehr Teamarbeit gewünscht“, so der kurze Kommentar der entthronten Siegerin von Wassenberg, ehe sie von der überragend nach einem Rückstand wieder zurück ins Rennen gefundenen Trainingskollegin Lisa Merkel getröstet wurde.
Isabelle Baumann, die Bundes- und auch Vereinstrainerin bei der LAV Stadtwerke Tübingen, jedenfalls wird eine intensive Nachbereitung mit Eva Dieterich benötigen, um die 26jährige für das wichtige Europacup-Rennen wieder aufzurichten.
Freude pur jedenfalls bei Elena Burkard, die nach eigenem Bekunden nach massiven gesundheitlichen Problemen schon das Karriereende im Blick hatte, nun aber nach dem starken (Straßen-)Auftritt der Europameisterschaften von Leuven wieder geerdet ist. Mit 31:40,79 Minuten lag sie, zumal ausgerüstet mit einer großartigen Portion Stehvermögen, fünf Sekunden vor Eva Dieterich, die mit 31:45,18 sogar ihre schnellsten (!) 25 Runden absolvieren konnte – lediglich auf der Straße war sie bei der EM nochmals zwanzig Sekunden schneller. „Ich habe nicht mit diesem Rennausgang gerechnet, denn Eva hat einen sehr starken Endspurt, was sie ja auch in Leuven gezeigt hat!“ Und bekannte, dass sie mit ihrem ersten 10.000 m-Rennen neue Erfahrungen gesammelt hat: „Eine coole Erfahrung!“
Überraschungsmeisterin bei der 10.000 m-Premiere: Elena Burkard – Foto: Jens Priedemuth
Eine starke Vorstellung gelang Lisa Merkel, die nach der Straßenlauf-EM krankheitsbedingt etwas kürzertreten musste, auf der Jahnkampfbahn aber ein außergewöhnliches Rennen absolvierte. Zunächst Tempo in der Spitzengruppe, dann mit leichtem Rückstand weiter auf Bestzeitkurs, um zwei Kilometer wieder zum Duo Dieterich/Burkard aufzuschließen. Mit 31:46,53 Minuten stürmte sie erstmals unter die 32-Minuten-Marke, wurde wie im Cross in Riesenbeck U23-Meisterin und setzt aber im Gegensatz zu ihren Mitstreiterinnen auf die 5000 m beim „Heimspiel“ ihres früheren Vereins bei der Karlsruher Langen Laufnacht.
Packend aber auch die Plätze hinter diesem Trio. Acht Zehntelsekunden trennten schließlich Carolina Schäfer (33:05,14), Pia Schlattmann (33:05,76) und Kiara Nahen (33:05,87) auf den vier bis sechs fünf im Gesamteinlauf, Silber und Bronze für Carolina und Pia der U23-Wertung, Kiara in der Endabrechnung Frauen-Dritte.
Regelrecht leer ausgehen mussten in diesem „Sprintfinale“ Eva Schultz mit 33:06,09 und die anfangs tapfer um das Tempo bemühte Kira Weis (33:12,84). Dennoch freute sich Kira, übrigens Nachwuchsläuferin des Jahres 2023, über ihren Wiedereinstieg nach längerer Verletzungsphase: „Natürlich war ich verunsichert, zumal ich wusste, dass ich noch nicht so weit bin, wie ich eigentlich in dieser Aufbauphase sein wollte!“
Der Meister der ungeraden Jahre: Nils Voigt
Nils Voigt gewann in Hamburg seinen dritten 10.000 m-Titel (dahinter Tom Förster) – Foto: Jens Priedemuth
Zwei Zeitläufe mussten hingegen bei den Männern und U23-Junioren über die Titel entscheiden. Und letztlich belohnte sich Hannes Burger als „B-Lauf“-Sieger mit Hausrekord von 29:31,20 Minuten und Rang fünf „overall“. Nils Voigt ist scheinbar der Mann für die „krummen“ Jahreszahlen, denn mit einer beeindruckenden Vorstellung gewann der Wattenscheider nach 2021 (Mainz) und 2023 (Mittweida) nun auch 2025 auf der Jahnkampfbahn. Und unterbot mit 29:19,83 zudem auch die Europacup-Norm von 28:20 Minuten. So sehr sich auch die Konkurrenten mit dem agilen Jan-Lukas Becker, Tom Förster und Markus Görger auch mühten, diese Norm war an diesem Abend nicht mehr machbar. Die Medaillen sicherten sich letztlich Tom Förster (28:36,93) vor Markus Görger und Jan-Lukas Becker.
„Ich bin 2021 beim Europacup Vierter geworden. Man hofft immer auf eine Medaille, ich weiß aber nicht, ob ich in dieser Form bin“, lässt sich Nils Voigt zitieren. Nun stehen für den Straßen-EM-Sechsten noch drei Wochen Training an, um in Pacé den Angriff auf die Medaillenränge zu starten.
Für den Europacup dürfen zumindest nach der erfolgreichen Qualifikation auch die U23-Junioren Robin Müller, Luca Madeo und Lukas Ehrle planen, denn in dieser Reihenfolge standen sie nicht nur auf dem Siegerpodest, sondern liefen auch unter der EM-Norm. Den besten Spurt hatte Robin Müller und sicherte sich den Titel nach 28:56,96 vor dem in den USA studierenden Überraschungs.-Halbmarathonmeister von Paderborn Luca Madeo (28:59,07). Für beide gab es zudem Hausrekorde wie auch für Lukas Ehrle mit 29:07,48. Der Berglauf-U20-Europameister kam erst am Vortag von seinem neuen Studienort Oxford im US-Staat Massachusetts, in den er aus sportlichen Gründen (und damit die Startberechtigung für die Division I) gewechselt ist. „Unter dem neuen Coach Adam Smith trainieren einige 28 Minuten-Läufer, von denen ich profitieren kann. Ein weiterer Vorteil ist das dort weitaus attraktivere Trainingsgelände!“
Souverän die Stärken ausgespielt: Julia Ehrle
Damit lasst sich umgehend auch der Bogen zu Lukas‘ Schwester Julia spannen, die in einem eindrucksvollen 600 m-Spurt die Spitzengruppe im 5000 m-Rennen der U20 sprengte und mit final 16:47,98 Minuten zu einem überlegenen Sieg kam, ihrer insgesamt neunten deutschen Meisterschaft. Elf Sekunden zurück sicherte sich wie im Vorjahr Franziska Drexler mit 16:58,12 die Vizemeisterschaft vor Emily Junginger. „Ich hatte eigentlich keine besondere Taktik, war aber überrascht, wie lange wir in der Spitze zusammengeblieben sind. Heute ging es mir nicht um die Zeit, denn die EM-Norm habe ich bereits mit 16:32 unterboten. Welche Strecke ich bei der EM laufe, das möchte ich mir noch offenlassen“, so die Berglauf-Europameisterin und EM-Cross-Vierte von Antalya.
Bei der männlichen U20 wurde ebenfalls mächtig gebummelt, am Ende setzten sich aber mit Benjamin Klonowski (15:02,91) vor dem mächtig heranstürmenden Levin Saveur (15:03,.76) und dem lange führenden Elias Kolar (15:05,52) durch.
Überflüssig: Diskussion um Carbon-Laufschuhe bei Bahnwettbewerben
Spannung war zumeist Triumpf bei den Entscheidungen der Masters über die 5000 m-Strecke. Allerdings unerklärlich die entfachte Diskussion über die im Bahn-Wettkampf nicht zugelassenen Carbon-Laufschuhen. Das Kampfgericht hatte in den ersten Läufen verpasst, den ausdrücklich in den Ausschreibungsbestimmungen verfassten Passus über die Zulassung von Laufschuhen bzw. deren Einhaltung zu kontrollieren. Stattdessen wurde die Spikelänge geprüft. So lief vielleicht ein Duzend Mastersläufer mit den nicht zugelassenen, leistungsfördernden Carbon-Laufschuhen. „Das ist Betrug“, formulierte ein erfahrener Trainer, der aus naheliegenden Gründen nicht genannt werden möchte. „Diese massive Unsportlichkeit muss geahndet werden, denn damit konnten sich einige Läufer erhebliche Vorteile verschaffen!“ Nach Einspruch wurde zumindest die final zunächst zum Sieg gelaufene Marathonmeisterin Susan Witte im Nachgang disqualifiziert.
Soloauftritte für Mareike Ressing und Miguel Molero-Eichwein bei den Masters
Doch zum Sportlichen. Mit überragenden Solovorstellungen durften sich Mareike Ressing (W55) und Miguel Molero-Eichwein (M55) nach 19:08:61 bzw. 15:58,01 Minuten feiern lassen. Während Miguel mit drei Goldmedaillen bei den Masters-Weltmeisterschaften und den gerade erst gewonnenen DM-Titeln über Marathon (Hannover) und Halbmarathon (Paderborn) nach Hamburg gereist kam, plant die eigentlich aus der LG Wedel-Pinneberg hervorgegangene Mareike mit den Masters-Europameisterschaften auf Madeira wieder Bahnfeeling. Spannend hingegen ging es in der M60 zwischen Hardy Flum und Johannes Ritter zu, die gerade einmal fünf Zehntelsekunden auseinanderlagen. Auch Dany Schneider (M45) wollte den Sieg im gemeinsamen Wertungslauf mit M35/M40 und sprintete zusammen mit dem M35-Sieger Ralf Ulmer, die letztlich auch fünf Zehntelsekunden getrennt einliefen.
Die schnellste Endzeit aller Mastersläuferinnen schaffte Katka Wenzler als W35-Siegerin in 17:17,92. In diesem Feld liefen einmal mehr Sandra Morchner (W50) und Simone Raatz (W45) zu Gold, zum Auftakt des Meisterschaftstages gelang dies mit frappierender Häufigkeit Cornelia Wagener (W65) und Margret Göttnauer (W70).
Im Feld der Masters tauchte mit Timo Bracht ein Top-Triathlet vergangener Tage auf, der als Vizemeister der M50 auf einem neuen Terrain Erfahrungen sammeln möchte. „Ich habe neben meinem Job als Teamleiter des Sporema-Triathlon-Teams natürlich Aufgaben, aber auch eine Laufgruppe in Heidelberg und Mosbach. Ich habe einfach Lust auf Laufen und möchte nun eher 5000 m und 10.000 m laufen – und vor allem meine Freude und den Spaß am Laufen weitergeben!“
Und noch einer hat offensichtlich Spaß am Laufen, der mit 90 (!) Jahren älteste Teilnehmer der Langstreckenmeisterschaften Wilhelm Ehlers, der die zwölfeinhalb Runden in 33:24,55 Minuten absolvierte.
Wilfried Raatz
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