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13
02
2007

Äußerst problematisch, so anschließend Professor Digel, habe sich das "Verhältnis von Distanz und Nähe" entwickelt. Vielen Journalisten fehle eine gesunde Skepsis gegenüber dem Gegenstand ihrer Berichterstattung.

Prof Dr. Helmut Digel auf dem Jour Fixe des Verbandes der Sportjournalisten Berlin-Brandenburg (VDS): Es fehlt das Korrektiv

By GRR 0

Für die Galerie oder für die Ewigkeit – welches Bild haben Sportjournalisten von ihrem Beruf? Knapp 30 Kollegen des Sportjournalisten-Verbandes Berlin-Brandenburg machten sich beim 37. Jour Fixe auf die Suche nach Antworten.

Sie holten sich dafür prominente Helfer: Professor Helmut Digel, Vizepräsident des Leichtathletik-Weltverbandes und Direktor des Instituts für Sportwissenschaft Tübingen,
Hans-Jürgen Pohmann, Sportchef des Rundfunks Berlin-Brandenburg (RBB), Stefan Frommann, Sportchef der Welt und der Berliner Morgenpost sowie Hajo Seppelt vom RBB.

Qualität hält nicht Schritt

Der einstige Leichtathlet und Bundesliga-Handballer Digel, nach eigenen Worten "ab dem 20. Lebensjahr konfrontiert mit Produkten des Sportjournalismus", hielt mit seinen Erfahrungen nicht hinterm Berg, stellte manche provokante These auf.

Die Rolle des Sports in den Redaktionen habe an Bedeutung gewonnen, getrieben durch die Kommerzialisierung des Sports sei der Sportjournalismus ein "Aufsteiger per se", meinte der 62-Jährige. Nur habe die Qualität nicht immer Schritt gehalten. Digel nannte eine zu große fachliche Orientierung, sprach vom "Fachidioten", der kaum über den Tellerrand hinausschaue.

Stefan Frommann warb angesichts des Zusammengehens der Sportredaktionen von Berliner Morgenpost und Welt für die "Konzentration als Chance". Die Welt gebe vor, was überregional im Sport passiere und werde in der Morgenpost übernommen. Die Reporter dort hätten dadurch mehr Zeit für die regionale Berichterstattung. "Ich habe mehr Köpfe, die nachdenken", schlussfolgerte Frommann.

Problematik Distanz und Nähe

Äußerst problematisch, so anschließend Professor Digel, habe sich das "Verhältnis von Distanz und Nähe" entwickelt. Vielen Journalisten fehle eine gesunde Skepsis gegenüber dem Gegenstand ihrer Berichterstattung.

Der Sportwissenschaftler sprach mit Verweis auf den Philologen Walter Jens vom "vorschnellen Duzen" und kritisierte die Auftritte von Waldemar Hartmann (Bayerischer Rundfunk) und Johannes B. Kerner (ZDF).

Boxen und Kirmesboxen

Nachrichten sind abhängig von den Rechten, die sie haben und die, die sie nicht haben", führte Digel weiter aus. Exemplarisch wurde die Berichterstattung vom Profiboxen bei ARD und ZDF beleuchtet. Nicht erst seit dem misslungenen Comeback von Axel Schulz (bei RTL) werden Kämpfe aufgebauscht. Ein Vorwurf, den Hans-Jürgen Pohmann trotz guter Quoten, die die öffentlich-rechtlichen Anstalten mit ihren Boxabenden erzielen, nicht völlig entkräften konnte.

"Ich gebe zu, dass wir drei, vier Boxabende haben, die waren nicht hochkarätig. Doch sollten wir deshalb die Kampfabende absagen?" "Nein. Aber wir müssen dem Zuschauer sagen, das ist Kirmesboxen", meinte Hajo Seppelt. "Promotion und kritische Betrachtung betrachte ich als Widerspruch."

Digel führte als weiteres Beispiel für "fehlgeleiteten Journalismus" die Berichterstattung vom Radsport an. "Sie zeichnet sich seit Jahrzehnten dadurch aus, dass sie von Reportern gemacht wird, die eine große Nähe haben.  Die Tour de France wird im Fernsehen von Fans kommentiert."

Gespaltener Journalismus

Ohne Außenbeleuchtung seien diese Schwächen nicht zu erkennen. Es fehle ein Korrektiv. Als negativer Höhepunkt gilt die Verschmelzung von Berichterstattung und Sponsoring durch die ARD beim Team Telekom.

Digel nannte eine Folge: "Der Dopingfall Ullrich wurde als Partysünde abgetan. In meinem Verband wäre er zwei Jahre gesperrt worden."

Ähnliches wussten Kollegen vom Fußball zu berichten. "Es gibt Journalisten, die gelten als Freunde. Es gibt welche, die manche bei den Pressekonferenzen am liebsten nicht sehen", berichtete Digel. "Der Journalismus ist gespalten. Alle Auszubildenden haben nur eine Gier:
Die möchten ganz schnell zum Fußball. Und ganz schnell zum Fernsehen."

Nicht bereit zur Weiterbildung

Eine These, die Pohmann nicht teilte. "Ich möchte vehement widersprechen! Sie versuchen einen Bruch zwischen schreibenden und elektronischen Medien herbeizuführen." Doch gibt es diesen Bruch nicht schon längst? Und haben nicht auch Sportfunktionäre Interesse an einer ihnen genehmen Berichterstattung?

Digel gab sich freimütig: "Ich war als Präsident des Deutschen Leichtathletik-Verbandes nonstop bemüht, Journalisten zu instrumentalisieren." Wie gestalte ich Pressekonferenzen? Wie gebe ich Informationen weiter?

Digel in provokanter Zuspitzung:

Viele Journalisten seien, beispielsweise in der Auseinandersetzung mit der Dopingproblematik, ganz einfach überfordert. "Der Berufsstand", so seine Kritik, "ist nicht bereit zur Weiterbildung.  Aber Qualität kommt von Qualifikation. Man muss damit vertraut sein, wie sportliche Höchstleistungen erreicht werden", forderte er.

Nach diesen Sätzen gab es nicht wenige verdutzte Gesichter unter den Zuhörern.

Jens Trommer
Verband der Sportjournalisten Berlin-Brandenburg (VDS)

VDS Berlin-Brandenburg

author: GRR

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