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23
09
2007

Viel Freude beim „Schmökern“ wünscht Ihnen allen Ihre GRR-Internetredaktion beim Lesen. Diese Serie wird in den nächsten Wochen in insgesamt acht Folgen erscheinen und vermutlich ihresgleichen suchen!

Prof. Dr. Detlef Kuhlmann stellt bei German Road Races Klassiker der Laufliteratur vor – eine Ergänzung zu den schon unter „Szene“ rezensierten Büchern – lesen Sie sich lauffit und wissend! – Folge 4

By GRR 0

Die in dieser Serie vorgestellten Bücher haben mindestens zweierlei gemeinsam: Sie handeln alle vom Laufen, und sie stammen alle aus dem letzten Jahrhundert. Einzig deswegen sind sie hier als „Klassiker“ tituliert worden.
Ob dieses Prädikat wirklich gerechtfertigt ist, sollten Sie, verehrte Leserinnen und Leser, dieser Rubik auf der Internetseite von GRR selbst entscheiden, und zwar entweder gleich nach der Lektüre der Rezension unseres „Vorlesers“ Detlef Kuhlmann oder spätestens nach eingehender Lektüre des gesamten Buches – viel Freude beim „Schmökern“ wünscht Ihnen allen Ihre GRR-Internetredaktion, die in den nächsten Wochen in insgesamt acht Folgen erscheinen wird und die vermutlich ihresgleichen sucht!

Siegfried Lenz: Brot und Spiele.
Roman.
München: Deutscher Taschenbuch Verlag 1964. 173 S.

"Diesmal wird er nicht gewinnen. Es war ein Fehler, ihn aufzustellen, eine miserable Idee von Wiegand, denn er muss weit unter dreißig Minuten laufen, wenn er eine Chance haben will; er muss seinen alten Rekord erreichen, und das wird er nie schaffen, nie. Er ist der älteste von den acht Läufern, die sich am Start ausziehen, fertigmachen zum Endlauf" (7).
Dies sind die ersten Zeilen des Romans "Brot und Spiele" (dtv Band 233) von Siegfried Lenz (Jahrgang 1926), einem der erfolgreichsten deutschen Autoren der Gegenwart (u. a. "Deutschstunde", "Heimatmuseum"). Die ersten Zeilen deuten schon ein wenig das tatsächliche Ende des End¬aufs über 10.000 Meter bei den Europa-Meisterschaften an: Trotz großer letzter Anstrengung und Führung bis auf der Zielgeraden erreicht Bert Buchner das ("sein") Ziel nicht:
"Eine halbe Drehung – seine Hände greifen in die Luft, er wird nach vorn gerissen, fällt aus der Drehung auf die Schulter, schlägt mit dem Gesicht auf und bleibt liegen. Hellström und Seaborne vorbei – und jetzt hebt er den Kopf und stemmt sich empor und fällt wieder und …" (173). Dieser Finallauf ist jedoch nur eine Erzähl¬perspektive des Romans, sie bildet quasi den Rahmen für die rückwärtige Betrachtung der Lebens- bzw. Leidens-Karriere des gealterten Läufers Bert Buchner – da werden ständig Erinnerungen wach:
"… die Begegnungen im Gefangenenlager, Buchners Flucht, zufälliges Wiedersehen, die ersten Starts, Training, erste Siege und Rekorde – verknüpft und erkauft mit Verlegenheitsberufen, mit Enttäuschungen im privaten Leben und mit dem Verlust der menschlichen Integrität. Buchner hatte übersehen, dass sich mit sportlichem Ruhm kein Leben sichern lässt …" (Klappentext).

Hannes Lockenvitz:
Und niemand räumt die Hürden fort.
Stuttgart: Consens-Verlag 1990. 80 S.

Dieses Büchlein ist in mehrfacher Hinsicht ungewöhnlich: Es ist gedruckt im hochgestellten Brieftaschenformat, besteht ausschließlich aus Texten in Versform – und: Man kann es fast beim Durchblättern lesen, weil es sich um eine "angenehm leicht verdauliche" Lektüre handelt, die zudem noch mit Zeichnungen des Autors auf fast jeder Doppelseite angereichert ist.
Apropos Autor: Über Lockenvitz (Jahrgang 1938) lesen wir auf der rückwärtigen Umschlagseite, dass er u. a. als Trainer jugendlicher Leichtathleten tätig ist, bisher in sportpädagogischen und militärischen Fachzeitschriften veröffentlicht hat und hier nun sein erstes eigenes Buch vorlegt, "in dem man immer wieder ein Augenzwinkern spürt und schmunzelnd zu Nachdenklichkeiten und überraschenden Selbsterkenntnissen geführt wird".
Das ist nicht nur nett formuliert, trifft wohl auch auf die meisten seiner Betrachtungen zu, von denen nicht einmal alle vom Sport (geschweige denn vom Laufen) handeln. Eigentlich handelt es sich nämlich um drei eigenständige Werke, eins mit dem Titel "Allerlei Sportliches", ein nächstes mit "Vereinsmeieren" und schließlich ein drittes mit dem Titel "Alltagsweisheiten"; insgesamt sind es knapp 50 Gedichte, von denen mich aus der Rubrik des sportlichen Allerlei eins besonders ansprach.
Es ist überschrieben mit "Auf die Plätze, fertig los"; es kommt hier zu einer einfachen "gereimten Symbiose" von Anforderungen beim Laufen und Leben – hören wir ruhig mal mittenrein: "So mancher Mensch hat, kaum geboren – bevor er losläuft, schon verloren. – Dann gibt es auch die seelisch Zarten, – die auf den Schritt der andren warten. – Dann diesen dort, der permanent – zu früh aus seinem Startblock rennt. – Und jene, die mit guten Karten – im Ziel sind, eh' die andren starten; – und manchem wird es niemals klar – dass er zum Start gerufen war."
Nachtrag: Der Consens-Verlag hat eine eigene "Humor-Reihe" etabliert, in der u. a. das "Berlin Brandenburger Bürger Büchlein. Ein vergnügliches Sammelsurium" erschienen ist; jeder illustrierte Band ist – so die Verlagswerbung – "ideal als Dankeschön oder Mitbringsel für alle Gelegenheiten" verwendbar – aber eben auch noch zum Lesen geeignet …

Klaus Lubbers:
Vom Trotten. Die Kunst des gemächlichen Laufens.
Reinbek: Rowohlt 1995. 155 S.

Schon ein erster Blick in das Inhaltsverzeichnis dieses Bandes, das in der neu gestalteten Sportbuchreihe des Rowohlt-Verlages erschienen ist, lässt vermuten, dass es um sehr persönliche Notizen und Erfahrungen eines Läufers – besser wohl: eines Trotters – gehen muss (z.B. gibt es unter den 21 Kapiteln welche mit den Überschriften "Wie ich meine Wege fand" oder "Wie sich meine Strecke anfühlt").

Wer dann beim Vorwort anfängt zu lesen, findet diese Einschätzung gleich bestätigt – denn der Text "handelt ausschließlich von meinen Erfahrungen und nicht von denen anderer. Ich möchte sie nicht verallgemeinern. Es sind die Aufzeichnungen eines Ehrgeizlosen, der herausfand, was ihm gut tat". Allein dieses Statement könnte Beweis genug sein, dass sich "Vom Trotten" von allen anderen Büchern zum Thema Laufen unterscheidet. Aber halt, denn um das Laufen geht es ja nicht einmal.
Klaus Lubbers entwickelt eine neue Bewegung, nämlich die des selbst erfahrenen Trottens. Dazu schreibt er gleich ein ganzes Lexikon des Trottens und grenzt es vom Jogging und Running ab – summa summarum: "Denke ich ans Trotten, gewinne ich eine ganz bestimmte Vorstellung von der Art meiner Fortbewegung. Sie stimmt mit meinem Laufstil überein. Zu diesem Stil habe ich erst mit der Zeit gefunden. Nun erkenne ich, dass das Wort Trotten zu ihm passt".
Wer wollte ihm da gleich widersprechen? Der Autor führt uns in seinem Buch eben auf unterschiedlichste Weise in diese Kunst des gemächlichen Laufens ein, die einzelnen Abschnitte, in denen er dies versucht, mögen uns aus anderen Büchern vielleicht bekannt vorkommen (z.B. "Von den Schuhen", "Von den Wehweh¬chen" oder "Von der Motivation"), was er jedoch dazu schreibt, enthält eben die besondere Trott-Variante…
Am Rande: Normalerweise ist es üblich, dass in vergleichbaren Büchern hinten irgendwo Angaben zur Person des Autors gemacht werden. In diesem Band suchen wir danach vergebens. Mag sein, dass Kurt Lubbers ausdrücklich darauf verzichtet hat, weil wir im Text selbst ja genug über ihn als Trotter erfahren! oder hat der Trotter nur unter einem Pseudonym geschrieben?

Dietmar Lüchtenberg:
LAUFEN in Schule, Verein und Freizeit.
Aachen 1995: Meyer & Meyer. 151 S.

Der Titel dieses Buches klingt einladend und verlockend: Wer von uns läuft, wenn er denn läuft, nicht in der Schule, im Verein oder in der Freizeit? Hier ist also (fast) jeder angesprochen – und doch muss ich die Erwartungen derjenigen, die dieses Buch deshalb vielleicht einmal zur Hand nehmen oder gar lesen wollen, vorab ein wenig bremsen, zumindest vom Titel her gesehen. Er spielt nämlich kaum eine größere Rolle im Buch selbst, außer dass vorab im ersten Kapitel („Zielgruppenspezifische Laufausdauerschulung“) unterschieden wird in Ausdauerleistungssport, Freizeit- und Breitensport, Schulsport, Gesundheitstraining und Seniorensport.
Das mag manchem schon ein wenig irreführend vorkommen. Die weiteren acht Kapitel (u. a. „Traditionelle Organisationsformen des Laufens“ oder „Leistungsoptimierendes Training“) sind im Großen und Ganzen trainingswissenschaftlichen Aspekten gewidmet. Ich vermute, das meiste kann man so oder so ähnlich auch schon in anderen Büchern nachlesen. Das gilt sogar für den meiner Ansicht originellsten Abschnitt zum Thema „Run & Bike“, den der Autor teilweise sozusagen von sich selbst aus einem anderen (früheren) Beitrag abgeschrieben hat, den er bereits im DLV-Kongreßband "Leichtathletik im Lebenslauf“ (herausgegeben von U. Becker, Aachen 1994) publiziert hat.
Trotzdem: Bei "Run & Bike" zeigt uns Dietmar Lüchtenberg, im Hauptberuf Dozent in der Fachgruppe Sportwissenschaft an der Universität Konstanz, einige Möglichkeiten auf, wie "zwei Personen als Team eine bestimmte Strecke belastungsteilig auf einem Fahrrad bzw. laufend zurücklegen können. Dabei läuft ein Partner, während der andere Partner radelt. Ein Wechsel ist beliebig oft und jederzeit möglich" (80) – das klingt einfach und ziemlich logisch.
Es muss der "ultimative Renner" im wahrsten Sinne des Wortes sein…

Ronald Lutz:
Laufen und Läuferleben. Zum Verhältnis von Körper, Bewegung und Identität.
Frankfurt/New York 1989: Campus Verlag. 229 S.

Bei diesem Buch handelt es sich um eine "Doktorarbeit" (synonym: Dissertation): Ronald Lutz beschäftigt sich – das klingt ganz simpel – mit dem Läuferleben, also mit uns oder zumindest einigen von uns, die er befragt hat über ihre Motive zum Laufen, wie diese Aktivität in ihren Alltag eingegliedert ist, wie sich durch diese Lauftätigkeit ihr Verhältnis zum Kör¬per, zur Natur, zu anderen (nahe und fern stehenden) Menschen verändert hat.
Diese und andere Fragen hat er auf den über 200 Seiten seiner Arbeit "kulturanthropologisch verortet" – soll heißen: Er hat die Welt und einen Ausschnitt aus der Wirklichkeit dieser Welt der Läuferinnen und Läufer nachgezeichnet. Er hat uns allen quasi einen Spiegel vorgehalten. Sein Zugang ist ein wissenschaftlicher, indem er bestimmte anerkannte Methoden anwendet. Und dennoch lassen sich seine Ausführungen literarisch umdeuten für diejenigen, die nicht so sehr auf der Suche nach neuer wissenschaftlicher Erkenntnis, sondern mehr nach einem Genuss reichen Lesevergnügen sind.
Dafür stehen in erster Linie die Äußerungen der Laufbewegten selbst, die Ronald Lutz (übrigens selbst Marathonläufer, versteht sich!) befragt hat – am Beispiel: "Laufen ist der Kitt, der den Tag zusammenhält, durch das Laufen kommt ein bisschen Struktur und Sinn in den Tagesablauf, es rundet den Alltag ab". Das klingt gut und überzeugend – aber trotzdem sollten wir vor-sichtig sein. Am Ende seiner Arbeit warnt uns Ronald Lutz sogar: "Der Laufbewegte erhofft sich mit seinem Glück, das aus dem Körper kommt, offensichtlich sehr viel. Doch in seiner Jagd nach dem Glück, die ihn so typisch für die moderne Welt sein lässt, kann er auch ein Gejagter werden, der den Prozessen seines eigenen Handelns erliegt".
Heinz Maegerlein: Auf die Plätze – fertig – los. Deutsche Leichtathleten erzählen. Frankfurt: Limpert 1959. 160 S.

Prof. Dr. Detlef Kuhlmann stellt vor – Teil 1
Teil 1

Prof. Dr. Detlef Kuhlmann stellt vor – Teil 2
Teil 2

Prof.Dr. Detlef Kuhlmann stellt vor – Teil 3
Teil 3

author: GRR

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