Kluge Ideen und Partnerschaften sind mehr denn je gefragt.
Probleme und Hoffnungen – Aufgaben, die Berlins Sport künftig zu stemmen hat – Interview mit LSB-Direktor Norbert Skowronek – Hansjürgen Wille in „Sport in Berlin“
Vor großen Herausforderungen steht der Berliner Sport in den kommenden Monaten: Sicherung der Sportförderung, Ganztagsschulen, effiziente Ausnutzung der Sportstätten, Bildung eines Top-100-Teams ein Jahr vor Olympia, Anerkennung der Ehrenamtlichkeit sowie Großveranstaltungen mit internationaler Bedeutung.
LSB-Direktor Norbert Skowronek erläutert, dass Ausruhen auf bisherigen Erfolgen der größte Fehler sei und nennt folgende Stichworte.
Bilanz 2010. Es war ein aufregendes Jahr mit einer sehr ordentlichen Bilanz. Eisschnelllauf-Gold durch Katrin Mattscherodt und Silber durch Jenny Wolf bei den Winterspielen in Vancouver, außerdem 46 Medaillen (17 – 20 – 9) bei Welt- und Europameisterschaften in den olympischen Sportarten. Leichtathleten, Schwimmer und Wasserspringer, aber auch Ruderer hatten einen guten Anteil daran, so dass optimistisch in die Zukunft geblickt werden kann. Rückschläge beziehungsweise Dellen gab es bei einigen Topmannschaften: Hertha BSC (Abstieg), Alba, Eisbären.
Rahmenbedingungen. Sie sind in jedem Fall verbesserungswürdig, wenn der hohe Leistungsstand gehalten werden soll. Das im Frühjahr aufzustellende Top-Team für die Olympischen Spielen in London braucht jegliche Unterstützung. Darüber hinaus muss an die Talente für 2014 und 2016 gedacht werden. Dazu ist unbedingt die Sicherung der Sportförderung durch Senat/Abgeordnetenhaus vonnöten, auch damit Trainer leistungsgerecht honoriert werden können.
Konzentration der Kräfte. Kluge Ideen und Partnerschaften sind mehr denn je gefragt. So lobenswert die Unterstützung durch den Verein Berliner Kaufleute und Industrieller für elf Athleten ist, sie allein reicht nicht aus. Die vor einigen Jahren ins Leben gerufene Sportstiftung kann ebenfalls helfen, was fehlt ist eine breite Unterstützung der Berliner Wirtschaft. Wenigstens konnten mit den hiesigen Hochschulen und Universitäten gute Vereinbarungen getroffen werden.
Dennoch muss überlegt werden, ob es zu verantworten ist, dass sich Berlin langfristig 21 Schwerpunktsportarten leisten kann. Die Erfolgreichen dürfen nicht unter den Erfolglosen leiden. Nach London heißt es: Wer den Ansprüchen nicht genügt, wird die Konsequenzen tragen.
Ganztagsschule. Chance und Risiko zugleich. Jeder muss lernen, mit der neuen Situation vernünftig umzugehen. Momentan gibt es 676 Kooperationen zwischen Schule und Verein sowie 375 zwischen Verein und Kindertagsstätten, wobei LSB und SJB selbst Träger von 21 Kitas sind. Fest steht, dass dadurch die Möglichkeiten des Sporttreibens für Heranwachsende verbessert werden. Oft sind die Hallen bis in die späten Nachmittagsstunden blockiert und die Jungen und Mädchen an ihre Schule gebunden, was das Vereinstraining, vor allem für Spielsportmannschaften, aber auch für Wassersportler und Reiter erschwert. Wer im Leistungssport vorankommen will, sollte eine der vier Elite-Sportschulen in der Stadt besuchen.
Sportstätten. Eine effizientere Nutzung ist erforderlich, was auch für Schulturnhallen während der Vormittagszeit gilt, so dass die Schulen nicht die Nachmittagszeiten blockieren. Nach den schlechten Erfahrungen mit dem Gleisdreieck-Gelände, wo der Sport nicht wie erhofft zum Zuge kam, muss jetzt die Konzentration auf dem Areal des Flughafens Tempelhof und in ein paar Jahren auch auf Tegel liegen, wo sich sogar die Möglichkeit zum Ausbau einer Regattastrecke in Verbindung mit einem Naturerlebnispark anbietet. Mit der Eishalle an der Glockenturmstraße, quasi als Ersatz für die Deutschlandhalle, wird sich die Situation für die Eisläufer verbessern. Grundsätzlich gilt: Berlin ist mit funktionellen Sportanlagen gut bestückt.
Mitglieder. In den letzten 20 Jahren hat sich die Zahl im LSB deutlich erhöht. Ein stetiger Aufwärtstrend ist zu registrieren, der anhalten dürfte, weil das Interesse bei Senioren, aber auch in den jüngsten Jahrgängen, bedingt durch spezielle Initiativen (u. a. Kita-Gesellschaft „Kinder in Bewegung”), zunimmt. Das könnte sich weiter verstärken, wenn die Vereinbarung zwischen DOSB, Agentur für Arbeit und Jobcentern greift, dass bedürftige Kinder von Hartz IV-Empfängern mit einem Bildungs-Gutschein kostenlos in einem Verein Sport treiben können.
Breitensport-Aktivitäten. Im Vorfeld des ISTAF wird es auch 2011 auf dem Olympiapark-Gelände ein großes Festival geben, dass das letztjährige bei weitem in den Schatten stellen sollte, weil zum einen eine längere Vorbereitungszeit genutzt werden kann und der Termin nicht wieder in die Ferienzeit fällt. Wichtig ist, noch mehr Frauen im Sport und in ehrenamtlichen Funktionen einzubinden. Das dreijährige Förderprogramm läuft jetzt aus und wird durch eine ergänzende Initiative ersetzt.
Großveranstaltungen. Nicht jedes Jahr kann man eine Leichtathletik-WM ausrichten, doch in den kommenden Monaten stehen eine Vielzahl hochkarätiger Veranstaltungen auf dem Programm: WM-Eisspeedway-Finale, EM im Turnen und im Schwimmen von Menschen mit Behinderung, Eröffnungsspiel der Fußball-WM der Frauen und die Klassiker wie Marathon, ISTAF, Eisschnelllauf- und Schwimm-Weltcup, Sechstagerennen. Dass sich Berlin langfristig um neue Topereignisse kümmern muss, steht außer Frage. Angedacht ist die Bewerbung um die Leichtathletik-Europameisterschaft 2018 und um ein Deutsches Turnfest.
Wünsche. Zunahme des Stellenwerts des Sports verbunden mit einer garantierten finanziellen Unterstützung durch die öffentliche Hand, Stärkung der Vereine durch innovative Ideen, Wiedergewinnung der Stabilität bei einigen unserer Spielsport-Mannschaften und Aufstieg von Hertha BSC in die 1. Bundesliga, denn Berlin ist die einzige europäische Metropole, in der der Fußball nicht erstklassig ist.
Hansjürgen Wille in SPORT IN BERLIN – Januar-Februar 2011
EN