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29
07
2014

Leichtathletik Berlin 21.06.2014 Behinderten Sport IDM Berlin Markus Rehm (GER) Weitsprung Foto: Camera4

Pro Rehm, contra Prothese Lasst ihn springen! – Michael Reinsch, Ulm in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung

By GRR 0

Die Leistung des beinamputierten Weitspringers Markus Rehm bei den deutschen Meisterschaften der Leichtathleten am Samstag war aller Ehren wert.

Er ist der erste Behindertensportler, der je an deutschen Leichtathletik-Meisterschaften teilgenommen hat, und als solcher wäre er in Ulm auch dann in eine neue sportpolitische Dimension vorgestoßen, wenn er nicht den paralympischen Weltrekord auf 8,24 Meter verbessert und den Titel gewonnen hätte.

Doch er überraschte mit seiner Leistung und gab damit der Forderung „Fair Play vor Inklusion“ einen neuen Drall.

Während des Meisterschafts-Wochenendes tat sich argumentativ eine Kluft auf, über die der Meisterspringer möglicherweise nicht hinweg kommt: hier die gewinnende Persönlichkeit des jungen Athleten aus Leverkusen, vor dessen Ehrgeiz und Anstand jeder nur den allergrößten Respekt bekundet, dort die aus dem Sieg gespeiste Überzeugung, dass dessen aus einer Karbonfeder gewonnene Sprungkraft nicht mit dem Absprung nichtbehinderter Weitspringer zu vergleichen sei – und Rehm deshalb nicht mit ihnen in ein und denselben Wettbewerb gehöre.

Pro Markus Rehm, contra Prothese: im Fall des neuen deutschen Meisters im Weitsprung lassen sich diese beiden Perspektiven nicht getrennt vertreten.

Immer dringender wurde deshalb schon am Sonntag an die biomechanische Auswertung des Weitsprungs erinnert und an den mit ihr verbundenen Vorbehalt: Sollte sich die Karbonfeder als Hilfsmittel erweisen, die ihrem Träger einen Vorteil verschafft, würde Rehm entsprechend Regel 144 nachträglich aus der Wertung gestrichen werden, seinen Titel verlieren und auch nicht für die Europameisterschaften der Leichtathleten in Zürich nominiert werden.

Schon an diesem Montag soll das Ergebnis vorliegen und spätestens bis zur Nominierung am Mittwoch soll entschieden sein; selbstverständlich in einem offenem Gespräch und in vertrauensvoller Abstimmung mit dem betroffenen Athleten.
 
Man wird der Sportwissenschaft nicht Unrecht tun, wenn man konstatiert, dass damit der Weisheit letzter Schluss nicht gefunden sein wird; nicht nur wegen der Eile und der geringen Menge der Daten. Die Teilnahme und – schlimmer noch – der nachträgliche Ausschluss eines Behindertensportlers wegen seiner Prothese haben hohe symbolische und politische Wirkung. Objektivität wird es deshalb bei dieser Entscheidung kaum geben können.

Darüber hinaus wird die Diskussion mit dem Makel behaftet sein, dass es sie nur gibt, weil der Betroffene siegte. Einen drittplazierten Markus Rehm, da kann man sicher sein, würde der Verband nicht aus der Wertung streichen. Dem deutschen Meister Rehm aber droht dieses Schicksal und dem DLV deshalb eine hässliche Diskussion.

Wird auf einmal kleingeistig diskriminiert, wer zuvor großherzig inkludiert schien? Wird ein Athlet rausgeworfen, weil er alle Erwartungen übertraf und die Chance nutzte, die sich ihm bot? Wird zweifelsfrei bewiesen, dass die Prothese dem menschlichen Bein überlegen ist, sollte Rehm künftig außerhalb der Wertung starten.

Der Titel vom Samstag allerdings gehört ihm – niemand anders wird ihn beanspruchen wollen.

 

Michael Reinsch, Ulm in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Sonntag, dem 27. Juli 2014

author: GRR

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